Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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man den Jungen nicht einfach für tot erklären? Er könnte im Wald von Wölfen gefressen worden oder einfach nur verhungert sein. Es dürfte für Euch doch nicht allzu schwer sein, eine Kindsleiche zu beschaffen und sie vor dem König als Rogars Leichnam auszugeben.“

      „Glaubt Ihr, ich hätte das nicht bereits versucht? Allerdings ist der König kein Narr. Er hat die Echtheit der bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leiche angezweifelt. Eine zweite falsche Leiche vorzulegen, würde König Ottos Vertrauen in mich schwer erschüttern und man könnte mir vorwerfen, ihn absichtlich täuschen zu wollen. Von solchen Gedanken ist es dann nicht mehr weit bis zu dem Verdacht, ich könnte mit dem Tod meines Bruders selbst etwas zu schaffen haben.“

      Rurik machte eine kleine Pause, sprach dann aber überzeugt weiter. „Das Einzige, was uns jetzt noch helfen kann, ist die echte Leiche des Jungen. Rogar muss gefunden und, falls am Leben, getötet werden. Sein Leichnam sollte möglichst unversehrt sein und nach einem Unfall aussehen, damit keine Zweifel aufkommen können. In dieser Sache darf kein Fehler unterlaufen, sonst steht es schlecht um meine Glaubwürdigkeit und den Titel. Daher verbiete ich Euch weitere unsinnige Vorschläge zu äußern!“

      Walram atmete tief ein und richtete sich auf. „Ich habe Euch schon mehrfach berichtet, dass Rogar in unserer Abtei weilt. Er ist unter falschem Namen als Novize aufgenommen worden. Sein Verschwinden würde kaum Aufsehen erregen.“

      Der Burgherr blickte den Mönch streng an. „Ich hatte doch eben gesagt, dass ich Fakten benötige. Was diesen Novizen angeht, so hegt Ihr doch lediglich die Vermutung, es könne sich um Rogar handeln. Ihr habt keinerlei Beweise. Keine Sorge, ich bin Euren Hinweisen durchaus nachgegangen. Doch weder ich noch mein Weib oder das Gesinde haben den besagten Novizen bei unserem Besuch im Kloster als Rogar erkannt.“

      Mit einem Mal geriet Rurik ins Grübeln, und als bekäme er plötzlich eine Einsicht, fuhr er fort: „Vielleicht liegt das Schweigen des Gesindes auch daran, dass es meinem Bruder noch immer treu ergeben ist. Sie würden Rogar niemals verraten und ich kann nichts daran ändern.“

      Das war eine bittere Erkenntnis für Rurik: Die Burgbewohner trauerten noch immer um ihren alten Herrn, statt ihm, dem neuen Herrn, von ganzem Herzen zu folgen. Erbost darüber machte er Walram seinen Standpunkt noch einmal klar:

      „Ich benötige Beweise, bevor ich handeln kann. Oder glaubt Ihr etwa, ich könnte ohne weiteres einen Novizen aus einer Abtei verschwinden lassen? Ihr scheint dabei eines zu vergessen: Falls es sich bei dem Knaben tatsächlich um Rogar handelt, so würde es mich wundern, wenn Euer ehrwürdiger Abt nicht darüber Bescheid wüsste. Es ist sogar damit zu rechnen, dass er ein besonderes Augenmerk auf den Jungen hat. Das dürfte die Sache weiter erschweren. Sollte ich auch nur im Entferntesten mit dem Tod eines Novizen in Verbindung gebracht werden, wird sich König Otto gegen mich wenden.“

      Walram schluckte schwer, versuchte dennoch vorsichtig Rurik erneut zum Handeln zu ermutigen. „Könnt Ihr Euch denn nicht im Entferntesten an Euren Neffen erinnern? Fällt Euch oder Eurem Weib denn kein einziges Merkmal ein, um den Novizen als Rogar zu erkennen?“

      „Wenn Ihr glaubt, dass ich all die Jahre nicht Besseres zu tun hatte, als mir das Gesicht eines Bastards einzuprägen, so habt Ihr Euch getäuscht. Was ist mit Eurer eigenen Erinnerung? Ihr selbst habt meinen Bruder mehrfach gesehen, wenn schon nicht seinen Sohn. Findet Ihr eine Ähnlichkeit im Gesicht des Novizen? Selbst wenn, so macht ihn das noch lange nicht zum Erben! Ähnlichkeit ist kein Beweis. Ein Beweis wäre der verschwundene Siegelring. Könnt Ihr ihn vorweisen? Wohl kaum, sonst hättet Ihr es längst getan. Verschwendet meine Zeit also nicht mit Spekulationen! Es gibt nur diesen einen Beweis: Den Jungen mitsamt dem verschwundenen Siegelring.“

      Rurik wurde nachdenklich, dann fuhr er fort: „Wenn ich es mir recht überlege, bedarf es nur des Siegelringes. Hielte man ihn in Händen, würde man eine jede Knabenleiche als Rogar ausgeben können. Dann wäre dieser Novize ohne Bedeutung, selbst wenn er Rogar sein sollte und am Leben bliebe.“

      Diese Gedanken schienen Rurik zu erheitern. Er lachte kurz und laut auf, verstummte allerdings schnell wieder. Was brachte ihm diese Idee, wenn die Umsetzung nicht möglich war? Nicht das Geringste!

      Wieder herrschte Stille in der kleinen Kammer. Nur vom Burghof drang Lärm von Mensch und Tier durch das schmale Fenster. Es war eine merkwürdige Mischung aus Sprache, Geräuschen und Schreien, die sich anhörte, als würde man sich dort unten über die Ränke der beiden Männer belustigen. Walram ließ sich dadurch nicht beirren und dachte weiter fieberhaft nach, fand allerdings keinen Weg aus der Misere.

      „Es mag sich für Euch nur wie eine Vermutung anhören“, begann der Mönch noch einmal vorsichtig „doch ich bin fest davon überzeugt, dass sich beide, der Junge und der Siegelring, in unserer Abtei befinden.“

      „Dann besorgt mir den Ring, wenn Ihr Euch so sicher seid. Schließlich habe ich bereits einen weiteren Teil unserer Abmachung erfüllt, im Gegensatz zu Euch.“

      Walram schaute überrascht und Rurik fuhr fort: „Ja, Ihr habt richtig vernommen. Oder habt Ihr tatsächlich geglaubt, Drogos Unterbringung in Eurem Kloster sei mir tatsächlich so viel wert, wie Eure Abtei im Gegenzug erhalten hat? Ihr dürft mich nicht mit meinem Weib verwechseln. Drogos Erziehung hätte ich auch mit weitaus geringerem Aufwand erreichen können.“

      „Und was ist mit meinem Anteil?“, spuckte Walram schließlich aus.

      Das war es, um was es ihm eigentlich ging.

      „Was wollt Ihr noch? Wir haben eine klare Vereinbarung! Darin ist geregelt, wann Ihr das erhaltet, was Ihr begehrt. Das erfolgt jedoch erst, wenn man mir den Grafentitel verliehen hat. Dann, und nur dann, bin ich gewillt und in der Lage, meinen Einfluss geltend zu machen, um Euch zum Amt des Abtes zu verhelfen. Doch überschreitet Eure Grenzen nicht! Ich habe bereits viel für Drogos Aufnahme an das Kloster abgetreten, was man sicherlich zu Euren Gunsten anrechnen wird. Fordert nicht noch mehr, denn es könnte als Unverschämtheit ausgelegt werden.“

      Auf diese scharfen Worte seines Gegenübers war Walram nicht vorbereitet. Er musste zugeben, dass Ruriks Argumente schlagend waren und er an dessen Stelle auch nicht anders handeln würde. Walram wollte keinen weiteren Fehler begehen und wurde wieder vorsichtiger, denn jedes weitere Verhandeln könnte schnell zu einem lebensbedrohlichen Wagnis werden. Der Mönch war hilflos und sein letzter Versuch klang entsprechend.

      „Dann helft mir auf irgendeine Weise, den Siegelring zu finden!“

      „Und wie soll ich das anstellen, Prior?“, fragte Rurik leicht resigniert und sarkastisch. „Das Kloster ist Euer Revier, nicht meines. Erwartet Ihr etwa, dass ich es einnehme? Glaubt Ihr, Euer Abt würde einfach zusehen, wenn wir vor seinen Augen die Abtei bis in die kleinsten Winkel durchsuchten. Unterschätzt diesen Mann nicht. Wenn er tatsächlich Beweise für die Identität dieses Novizen zurückhält, so hat er sie längst vor neugierigen Augen gut verborgen. Sie zu finden ist allein Eure Sache!“

      „Wie soll das gehen?“ Walram klang verzweifelt.

      „Fragt doch den allmächtigen Herrn, dem Ihr dient. Ich sorge mich um das Wohl meiner Burg. Ebenso sollte Euer Herr es mit der Abtei halten. Oder fehlt Euch etwa das Vertrauen in seine Macht?“

      Der Spott in Ruriks Worten war unverkennbar und er fuhr ebenso sarkastisch fort: „An dieser Aufgabe könnt Ihr beweisen, dass Ihr dem Amte eines Abtes gewachsen seid und Euch bei Euren Mitbrüdern durchsetzen könnt. Bringt sie dazu, Euch den Beweis zu liefern. Wenn Euch das nicht gelingt, wäre es ohnehin ein Fehler, Euch zum Abt zu erheben! Beweist Euch also und zeigt Euch würdig, dann sehen wir weiter! Je früher der König mich zum Grafen ernennt, umso früher könnt Ihr Euch Abt nennen. Sollte ich jedoch unnötig lange darauf warten müssen, so rückt auch Euer Ziel immer ferner.“

      Rurik blickte Walram tief in die Augen, um sicher zu gehen, dass seine letzten Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. Die Unsicherheit des Mönches war deutlich zu sehen. Rurik trat zurück und schien zufrieden, machte schließlich kehrt, um den Raum zu verlassen. Als er die Tür öffnete, raunte er Walram noch ein paar letzte Worte zu. „Besorgt mir das Notwendige und Eurem Ziel wird nichts mehr im Wege stehen. Andernfalls