Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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zumindest befriedigt fest, dass das Treffen bisher wie vereinbart verlaufen war. Er hatte auch nichts anderes erwartet, denn die heutige Zusammenkunft war nicht die erste dieser Art. Wie schon einige Male zuvor hatte ein Vertrauter am vereinbarten Treffpunkt beim Waldrand auf ihn gewartet und ohne viele Worte hierher geführt.

      Obwohl der Gottesmann sich unter der Kapuze nicht zu erkennen gegeben hatte, war ihm ohne Fragen Einlass in die Feste gewährt worden. Niemand versuchte seine Identität zu ergründen oder hinter das Dunkel der Kapuze zu blicken. Das Pferd des Klerikers wurde auf dem Burghof wortlos entgegengenommen und verpflegt, jedoch nicht abgesattelt. Konspirativ könnte man dieses Verhalten bezeichnen, und genau das war es auch. Der Mönch hoffte, dass derjenige, gegen den diese Verschwörung gerichtet war, nicht die leiseste Ahnung davon hatte.

      Unruhig begann der Benediktiner in der kleinen Kammer auf und ab zu gehen. Er versprach sich einiges von dem bevorstehenden Gespräch, wenn man ihn auch lange warten ließ. Immerhin war er nicht vergessen worden, denn ein Krug mit Wein war zu seiner Erfrischung gebracht worden. Das war eine Geste, die der Mönch durchaus zu schätzen wusste. Gerne hätte er jetzt einen Schluck zu sich genommen, doch er ließ den Rebensaft unberührt. Vor einem wichtigen Treffen Wein zu trinken kam für ihn nicht in Frage. Vielleicht würde er sich danach einen Schluck gönnen, doch das hing vom Ausgang der Unterredung ab.

      Während des endlos scheinenden Wartens blieb der Mönch oft am schmalen Fenster stehen und beobachtete aus der schützenden Dunkelheit des Raumes das Treiben im Burghof. Oberflächlich betrachtet glich es einem heillosen Durcheinander, über dem der beißende Gestank nach Schweiß, Getier und Kot hing. Selbst hier oben roch es noch so stark, als stünde man dort inmitten des Gedränges von Mensch und Tier. Wer das Treiben jedoch genauer beobachtete, erkannte, dass jeder einer bestimmten Aufgabe nachging. Jeder Einzelne war in diesem Durcheinander ebenso auf ein Ziel ausgerichtet wie es auch ihr heimlicher Beobachter war. Wie jene dort unten musste auch der Mönch hier oben bisher so manchen Umweg durch Unrat und Gestank in Kauf nehmen, um seine Ziele zu erreichen.

      Der verhüllte Kleriker fragte sich, ob sein eigenes Treiben ebenso chaotisch wirken mochte wie das auf dem Hof. Doch es war ihm letztendlich gleich, denn im Vergleich zu den Menschen dort unten gab es bei seiner Aufgabe einen wichtigen Unterschied: Seine Bestrebungen waren ihm nicht von irgendeinem Herrn aufgetragen worden, sondern dienten seinem selbst gesteckten Ziel. Und nach jahrelangen Mühen war er endlich nahe daran, dieses Ziel zu erreichen und den Lohn für all die Risiken einzustreichen. Zumindest erhoffte er sich das von der bevorstehenden Unterredung.

      Der Mann stand immer noch regungslos am Fenster und blickte in den Hof hinab, als sich die Tür der Kammer öffnete und Rurik eintrat. Er war allein gekommen, wie vereinbart, und seine Erscheinung war imposant wie immer.

      Erst jetzt, als sich der Mönch umdrehte und aus dem Dunkel trat, nahm er die Kapuze ab und gab sich zu erkennen. Pechschwarzes Haar umgab die Tonsur, und sein Gesicht war frisch rasiert. Sein Auftreten wirkte gepflegt und nobel. Rurik hatte mit diesem Mönch im vergangenen Jahr viel zu tun gehabt und ergriff kurz angebunden das Wort, ohne den Besucher anzusehen. „Seid willkommen in meiner Feste, Prior Walram. Wein?“

      Der Mönch hielt nicht viel von Floskeln und so fiel auch seine Antwort knapp aus: „Danke, nein!“

      „Was wollt Ihr hier?“, fuhr der Sachwalter der Grafschaft kühl fort, während er sich gelassen einen der tönernen Becher nahm und sich reichlich Wein eingoss.

      „Ich komme wegen unserer Vereinbarung.“

      „Was genau meint Ihr damit?“

      „Wenn Ihr Euch erinnert, betraf ein Teil unserer Vereinbarung für Euch die Erlangung der Grafschaft. Dieses Ziel ist vor nahezu einem Jahr erreicht worden, maßgeblich durch meinen Einfluss. Es liegt nun in Eurer Pflicht, den zweiten Teil der Vereinbarung, der mich betrifft, in die Tat umzusetzen.“

      Noch immer gelassen stellte Rurik die Weinkaraffe beiseite und leerte den Becher in einem Zug. Erst dann antwortete er dem Prior, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Außer dem König ruft mich keiner in die Pflicht, schon gar nicht Ihr. Habt Ihr mich verstanden?“

      Rurik wartete, bis der Mönch leicht mit dem Kopf nickte. Erst dann fuhr er ruhig fort. „Ihr glaubt also, dass Ihr Euren Teil der Vereinbarung eingehalten habt und dass gewisse Ziele erreicht worden sind …?“ Wieder wartete Rurik auf ein Nicken, ehe er fortfuhr. „Es wird Euch gewiss überraschen zu erfahren, dass dem nicht so ist!“

      „Wie …? Was …? “, stotterte Walram mit großen, ungläubigen Augen.

      „Seht Ihr“, kommentierte Rurik leicht amüsiert, „ich wusste, es würde Euch überraschen!“

      „Wie könnt Ihr so etwas behaupten?“

      „Wenn Ihr Euch wiederum erinnert“, zitierte Rurik den Gottesmann etwas spöttisch, „so gab es ein klar formuliertes Ziel. Könnt Ihr es wiedergeben? Nur um sicher zu gehen, dass wir nicht von unterschiedlichen Vereinbarungen sprechen.“

      In Walrams Augen funkelte Zorn, doch er beherrschte sich. „Natürlich kann ich das: Ziel war es, Euch zur Grafschaft zu verhelfen. Hierfür habe ich all meinen Einfluss geltend gemacht und entsprechende Abkommen bei Fürsten getroffen, ohne deren Hilfe Ihr niemals die Mittel für dieses Unterfangen gehabt hättet. Ich habe dabei viel gewagt. Wenn man sich umschaut und bedenkt wo diese Unterredung heute stattfindet, besteht wohl kein Zweifel, dass das Ziel erreicht worden ist. Damit ist es an Euch, Euer Versprechen einzulösen.“

      Ruriks Tonfall blieb kühl: „Eure erste Feststellung war richtig, die zweite leider falsch. Ziel war es, die Grafschaft für mich zu erlangen. Die Annahme, dass dies bereits erfolgt sei, nur weil ich Herr einer Burg bin und den Platz meines Bruders in der großen Halle eingenommen habe, ist jedoch ein fataler Irrtum.“

      Die Worte des Sachwalters hallten in der kleinen Kammer nach. Ein Schlucken des Mönches machte deutlich, dass er verunsichert war. Rurik sprach weiter: „Die Grafschaft wird erst dann mein sein, wenn man mir auch offiziell den Grafentitel verliehen hat. Euch dürfte nicht entgangen sein, dass dies auch beim vergangenen Osterfest nicht erfolgt ist. Oder kennt Ihr etwa einen Erlass des Königs, der mir entgangen sein sollte?“

      Walram wusste von Ruriks Scheitern vor König Otto, versuchte die Tatsache aber zu mildern: „Das ist doch nur noch eine Frage der Zeit und zudem reine Formsache! Ihr seid unweigerlich Regent dieser Lande oder wollt Ihr das bestreiten? Binnen Jahr und Tag lautete der Beschluss des Königs, wenn ich mich nicht täusche.“

      Rurik sah es offensichtlich anders. Walrams Worte brachten ihn aus der Fassung und er donnerte den tönernen Becher mit einem lauten Knall auf den Tisch, der unter der Wucht zusammenzubrechen drohte. Er machte zwei große Schritte auf den Mönch zu, der versuchte zurückzuweichen, jedoch bereits mit dem Rücken an der Wand stand. Ruriks säuerlicher, nach Wein stinkender Atem schlug ihm ins Gesicht.

      „So, reine Formsache nennt Ihr das? Warum ist dann diese Formsache noch nicht erledigt, wenn sie so nebensächlich ist? Weshalb muss ich noch ein weiteres Jahr warten, in der ungewissen Hoffnung, dass Rogar nicht gefunden wird?“

      Schweigen.

      Walram wusste darauf keine Antwort. Schließlich trat der Sachwalter einen Schritt zurück und gab dem Mönch etwas Raum. Rurik goss sich ein zweites Mal Wein ein und leerte den Becher, bevor er wieder sprach.

      „Ich will Euren Gedanken etwas auf die Sprünge helfen, weshalb ich den Titel noch nicht besitze. Mein Bruder war schlichtweg zu beliebt. Wahrscheinlich fühlt sich König Otto, dieser elende Liudolfinger, noch immer wegen Farolds Hilfe auf dem Lechfeld verpflichtet. Sicherlich wäre meine Ernennung zum Grafen nur ein Akt weniger Worte auf etwas Pergament, wie Ihr jetzt wahrscheinlich denkt. Doch diese Worte können noch nicht niedergeschrieben werden. Dieser Edelherr Gerold und sein Sohn Brandolf haben für Rogars Anspruch vor dem König zu Ingelinheim Partei ergriffen. Daher bleibe ich zunächst nur der Verwalter der Ländereien, bis in einem Jahr neu darüber befunden wird!“

      Ruriks Unzufriedenheit war unverkennbar. Daher wählte Walram seine Worte sorgfältig.

      „Ein Jahr ist keine lange Zeit …“