Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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gutgläubig seid Ihr eigentlich, dass Ihr Rurik derart unterschätzt? Er scheint Euch einige Schritte voraus zu sein, denn selbst Eure vermeintlichen Verbündeten haben sich gegen Euch gewandt. Es hatte nicht den Anschein, als hätten sie es freiwillig getan.“

      „Nein, das haben sie nicht. Rurik bedroht ihre Familien, doch es dürfte schwer sein, dies zu beweisen.“

      „Rurik scheut keine Mittel, um zu erreichen was er begehrt.“

      Gerold nickte nüchtern. „Mein Sohn hegt die Vermutung, dass Rurik hinter dem Angriff auf Farolds Burg steckt.“

      „Diese Vermutung ist mir schon einmal zu Ohren gekommen, doch hierfür gibt es noch weniger Beweise als für das Leben eines Jungen, den Ihr zum Grafen erheben wollt. Ist Euch eigentlich klar, dass Ihr beinahe das Gegenteil erreicht hättet? Hätte Rurik diese Torheit mit der Knabenleiche nicht begangen, so wäre ich geneigt gewesen, ihm die Grafschaft schon heute zu übertragen.“

      „Er wäre kein gerechter Herr für die Ländereien und das Volk, wie es mein König wünscht.“

      „Nicht jeder Mann im Reich handelt nach meinem Wunsch. Doch Rurik ist einflussreich und hat mächtige Verbündete. Er besitzt ausreichende Mittel, um viele Männer wehrfähig bereit zu stellen. Das erwartet ein König von seinem Vasallen. Insofern spricht nichts dagegen, Rurik nach Ablauf der gesetzten Frist zum Grafen zu ernennen.“

      „Weshalb habt Ihr es dann nicht schon heute getan, mein Herr? Einzig wegen der Knabenleiche?“

      Der König schwieg nachdenklich und schritt langsam den Säulengang entlang. Die Männer folgten ihm und warteten, bis er antwortete: „Farold war mir ein getreuer Vasall und ein ehrenvoller Ritter. Er und seine Männer haben unter Konrad dem Roten erfolgreich die Ungarn zurückgedrängt und geschlagen, obwohl sie bereits in die Nähe meines Haufens gekommen waren. Zeitweise kämpfte ich mit Farold Seite an Seite. Ich weiß, was ich ihm zu verdanken habe. Die Heilige Lanze wäre beinahe verloren gewesen, hätte er sie nicht im letzten Augenblick gerettet. Gerold, Ihr wart auch dabei. Ihr wisst, wovon ich spreche. Diese Verbundenheit ist es, weshalb ich Rogar den Titel seines getreuen Vaters vermachen möchte, sollte er tatsächlich noch am Leben sein. Doch viel Zeit bleibt Euch jetzt nicht mehr, ihn zu finden.“

      „Was können wir Eurer Ansicht nach tun, mein König?“

      Otto schwieg eine Weile. Zu dritt schritten sie unter dem Säulengang weiter, das kleine Gefolge des Königs in einigem Abstand hinter ihnen. Schließlich sprach der Herrscher erneut. „Sollte Eure Vermutung wahr sein und Rurik tatsächlich hinter dem Überfall auf die Burg stecken, so hat er sich des schlimmsten Vergehens schuldig gemacht. Er hätte einen Brudermord wie Kain begangen, was nicht ungestraft bleiben dürfte. Dieses Verbrechen könnte Rurik einholen und selbst als Graf noch stürzen, ganz gleich wie viel Zeit vergangen, und ob Farolds Sohn noch am Leben ist. Doch solange Ihr Eure Vermutung nicht beweisen könnt, wird Rurik die Grafschaft führen. Wenn Ihr allerdings die Anklage eines Tages beweisen könnt, solltet Ihr Euch überlegen, wer den Titel erhalten soll, falls Rogar bis dahin nicht aufgefunden wird.“

      Gerold begriff sogleich, worauf der Herrscher hinaus wollte. „Es liegt nicht in meinem Bestreben, die Grafschaft für mich zu erlangen, mein König. Brandolf schwor Farold, sich um seinen Sohn und seine Belange zu kümmern. Nichts anderes liegt in unserer Absicht.“

      „Ich schenke Euch gerne Glauben, Gerold. Dennoch ist nicht sicher, ob Rogar gefunden wird, um Rurik von seinem Platz zu verdrängen. Das würde dem Jungen nach Ablauf der Frist nur dann gelingen, wenn der Brudermord nachgewiesen werden könnte. Denn einen verliehenen Titel kann ich Rurik nicht ohne weiteres wieder entziehen. Vor allem nicht, wenn er mir bis dahin gute Dienste erbracht hat. Gerold, geht nicht immer von einem lebenden Rogar aus, sondern zieht auch die Möglichkeit in Betracht, dass er tot sein könnte. Was gedenkt Ihr in diesem Falle zu tun?“

      „Ich weiß es nicht. Wem würdet Ihr die Grafschaft übertragen, wenn wir Ruriks Schuld nachweisen könnten, Rogar jedoch verschollen bliebe, mein König?“

      „Einzig einem Getreuen, der sich als würdig erwiesen hat. Da Ihr und Euer Sohn Euch dieser Angelegenheit angenommen habt, wäret Ihr ein ehrbarer Anwärter auf den Titel. Doch vorher müsst Ihr mir beweisen, dass Ihr zu solchen Taten schreiten könnt wie Rurik.“

      „Ich verstehe Euch nicht ganz, mein Herr.“

      „Bietet mir das, was ich von Rurik als Vasall sicher bekomme und stellt Euch ihm damit gleich. Ich benötige vielleicht schon bald viele Männer. Versöhnt Euch mit Euren Verbündeten und sorgt dafür, dass sie Euch nicht noch einmal so schändlich verraten wie heute. Schart sie hinter Euch und wartet mit den Männern auf, wenn ich nach Euch rufe.“

      Gerold war verblüfft, denn der Herrscher deutete unmissverständlich einen geplanten Feldzug an.

      „Mein König, ich bitte um Verzeihung, doch es wird mir niemals gelingen, die gleichen Mittel oder Mannzahl wie Rurik bereitzustellen. Mein Einfluss ist zu gering, als dass ich das bewirken könnte.“

      „Ich weiß“, beruhigte der König den besorgten Edelherrn. „Doch wenn Ihr Männer bereit haltet, die mit Herz und Seele für ihren König kämpfen wollen, so kann ein Mann mehr ausrichten als ein Dutzend von Ruriks bezahlten Söldnern. Bemüht Euch um Verbündete, sucht ihr Vertrauen und begeistert sie für eine gerechte Sache, dann könnt Ihr Rurik ebenbürtig ins Auge blicken und die Grafschaft nach seinem Fall übernehmen.“

      Damit hatte der König alles gesagt. Ohne weitere Worte ließ er Gerold und Brandolf in dem grünen Hof zurück. Vater und Sohn schauten einander an. Schließlich begriffen sie, welche Möglichkeiten ihnen der Herrscher soeben offenbart hatte.

      „Brandolf, bist du bereit für diese Sache zu sterben?“

      „Ich habe einen Eid geleistet, Vater! Natürlich bin ich bereit, mein Leben dafür zu geben.“

      „Tue es dennoch nicht leichtfertig, mein Junge“, murmelte Gerold nachdenklich. Dann sprach er wieder klarer: „Ich weiß, dass du ein mutiger Ritter bist, doch du bist manchmal noch etwas ungestüm. Sei vorsichtig bei deinen Bemühungen, Rogar zu finden. Du darfst nicht vergessen, dass wir auch noch Ländereien zu versorgen haben. Das Volk darf wegen unseres Vorhabens keinen Nachteil erleiden. Wenn wir das Vertrauen der Leute verlieren, verlieren wir unsere treuesten Verbündeten. Auf sie sind wir angewiesen, wenn wir Rogar jemals finden wollen. Zudem hat der König Recht. Wir müssen auch damit rechnen, Rogar niemals zu finden. Deshalb sollten wir auch nach Hinweisen suchen, die Ruriks Verbrechen nachweisen können.“

      Brandolf stutzte. „Strebst du die Grafschaft für dich an?“

      „Nein, mein Sohn, nicht für mich. Dafür bin ich zu alt. Ich bin zufrieden mit den Ländereien und dem Stand, den mir Gott zugeteilt hat. Ich strebe lediglich an, dem Volk Rurik zu ersparen. Unter seinem Joch werden die Menschen leiden, dessen bin ich mir sicher.“

      Brandolf verstand nur zu gut und ihm wurde klar, dass die Suche nach Rogar länger als ein Jahr andauern könnte, sollte sie überhaupt erfolgreich sein. Zudem gab es noch weitere Umstände zu beachten, um dem Eid gerecht zu werden. Brandolfs Bürde schien noch schwerer geworden zu sein. Doch es stimmte ihn zuversichtlich, dass König Otto ihnen eine Aussicht auf Erfolg gegeben hatte. Festen Schrittes machte er sich mit seinem Vater auf, um die Heimreise anzutreten und um die ersten Bündnisse zum Erfolg ihres Vorhabens zu schließen.

      * * *

      Der dunkel gekleidete Mann wartete geduldig im Schatten des Raumes. Trotz des warmen Frühjahres machte er keine Anstalten, sich des dicken Umhangs zu entledigen, unter dem er die Ordenstracht der Benediktiner trug. Die starken Mauern der Festung hielten noch immer die Kälte des Winters in den Räumen gefangen.

      Die kleine Kammer, in der sich der Mann befand, war karg ausgestattet. An einer Wand stand ein einfacher Tisch mit zwei Schemeln. In der gegenüberliegenden Mauer befand sich ein kleines, glasloses Fenster, welches einen Blick in den tiefer gelegenen Burghof ermöglichte und doch nur wenig Licht in den Raum dringen ließ. Die Wände bestanden aus glatten, dunkelgrauen Steinblöcken, deren Kanten exakt bemessen und handwerklich