Название | Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod. |
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Автор произведения | Sarah Markowski |
Жанр | Триллеры |
Серия | Nils Johansen und Arne Lassen |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347028630 |
Es ist Julius, der seine Sprache als erstes wiederfindet. „Ich verstehe nicht, was das alles mit uns zu tun hat.“
Julius scheint trotz sehr erfolgreich abgeschlossenem Abitur nicht gerade der Hellste zu sein. Laut seiner Aussage hat sein Daddy ziemlich viel dafür hingeblättert, dass er die beste Privatschule in der Umgebung besuchen konnte. Oliver konnte sich damals schon seinen Teil dazu denken, denn er kennt die Schule und ihren unumstrittenen Ruf als sichere Abi-Zeugnis-Quelle, wenn man nur einen ausreichend prall gefüllten Geldbeutel besitzt; oder einen Daddy mit genügend grünen Scheinen. Dennoch geht es Oliver im Moment nicht anders als Julius, denn auch er kann sich keinen Reim darauf machen, was es mit dieser Geschichte auf sich hat. Und mit den falschen Namen, die anscheinend irgendeine Bedeutung haben; so viel steht mittlerweile fest.
„War das alles?“
Oliver beugt sich zu Helena hinunter, die mittlerweile mit geschlossenen Augen an der Wand lehnt und nachzudenken scheint. Vielleicht verzweifelt sie auch gerade, beides wäre denkbar. Er wirft einen Blick auf das Manuskript, das aufgeschlagen auf ihren Oberschenkeln liegt.
„Darf ich?“
Helena nickt, ohne die Augen geöffnet zu haben. Obwohl sich irgendetwas in ihm dagegen sträubt, nimmt Oliver den dünnen Stapel Papier in die Hand. Er hat Angst, doch wovor? Unbehagen macht sich in ihm breit, doch die Neugier siegt. Oliver muss einfach selbst einen Blick in dieses Manuskript werfen. Er überfliegt die erste Seite, dann die zweite und die dritte; seine Augen rasen nur so von Zeile zu Zeile. Im Grunde ist es nichts Neues, Helena hat in gekürzter Form bereits alles wiedergegeben. Dennoch löst diese Geschichte etwas in ihm aus. Oliver horcht dem wilden Klopfen seines Herzens. Er hat schon viel gelesen, doch nie war ihm ein Buch so nahe gegangen. Er kann es sich nicht erklären, doch es fühlt sich so an, als hätte er Mia gekannt.
Ich kenne keine Mia.
… oder hätte sie kennen müssen.
Olivers Blick fällt auf die dicken schwarzen Buchstaben am Kopf der Seite: Kapitel 7. Scheinbar handelt es sich um einen Auszug aus einem Text; dem Inhalt nach zu urteilen aus einem Buch oder einem Bericht, doch der Schreibstil lässt eher auf Ersteres schließen. Oliver blättert weiter. Er möchte mehr von Mia und ihrem Schicksal erfahren, doch gleichzeig fürchtet er sich davor. Wieder siegt die Neugier, doch er wird enttäuscht. Mit dem Ende der Seite scheint das Kapitel vorbei zu sein – jedenfalls in diesem Manuskript. Enttäuscht lässt Oliver die Blätter sinken. Was hat er sich erhofft? Plötzlich fällt sein Blick auf ein weiteres Blatt Papier, das unter Helenas Bein hervorschaut.
Steckbrief und Regieanweisung, ist das erste, was ihm ins Auge springt. Vorsichtig zieht er daran; sollte es Helena stören, zeigt sie es nicht. Er streicht das zerknitterte Papier auf seinem Oberschenkel glatt und studiert neugierig den Inhalt.
Mia Geiger,
vierundzwanzig Jahre alt,
Einzelkind,
Lehramtsstudentin,
geboren in München, aufgewachsen in Emden…
Oliver hält den Atem an.
… gestorben in Greetsiel.
Samstag, 29.06.2019, 12: 09 Uhr
- Helena -
„Helena!“
Irgendjemand rüttelt an ihrem Bein. Der Stimme nach zu urteilen ist es Oliver.
„Ja?“
Ihre Augen sind immer noch geschlossen.
„Hast du das gelesen?“
Ohne sie zu öffnen, weiß sie, was er meint.
„Ja.“
„Und, und, …“
Er stottert aufgeregt herum. Helena hält die Augen geschlossen, sie möchte im Moment niemanden sehen, denn dafür ist sie viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, und damit, diese irgendwie zu sortieren oder wenigstens annähernd in Ordnung zu bekommen. „Was machst du jetzt?“
Verzweifeln, einen Heulkrampf bekommen, zusammenbrechen?
„Keine Ahnung.“
„Keine Ahnung?“, wiederholt er ihre Worte. Sie spürt förmlich, wie er ungläubig den Kopf schüttelt. Sie nickt langsam, ihr Kopf stößt gegen die Wand.
„Am liebsten würde ich aufwachen und feststellen, dass alles nur ein Traum war.“
„Helena, Frühstück!“
In Gedanken hört sie die glockenreine Stimme ihrer Mutter.
„Aber das hier ist kein Traum, nicht wahr?“, fragt sie seufzend und öffnet die Augen, die nun so lange geschlossen waren, dass sie sich erst wieder an die Helligkeit gewöhnen müssen.
Alles weiß, schießt es Helena durch den Kopf. Alles so steril. Keine Fenster, kein Eingang, kein Ausgang – keine Verbindung zur Außenwelt.
Am liebsten würde sie schreien, ganz laut schreien, doch sie hält den Drang zurück.
Wo zur Hölle bin ich hier? So etwas gibt es in der Wirklichkeit gar nicht, das muss ein Traum sein!
„Nein“, Oliver seufzt, als hätte er ihre Gedanken gelesen, „kein Traum.“
Doch er hat nur auf ihre vorangegangene Frage geantwortet.
Samstag, 29.06.2019, 16: 03 Uhr
- Oliver -
„Okay, ganz ruhig.“
Oliver hebt beschwichtigend die Hände. „Noch mal von vorne, und dieses Mal voll konzentriert.“
„Ich bin konzentriert!“, schreit Helena und stampft wütend auf den Boden. „Was guckst du so blöd?“
Oliver grinst.
„Jetzt lachst du auch noch?! Was gibt es da zu lachen?“
„Nichts…“
Er schüttelt den Kopf und zwingt sich zu einem mehr oder weniger ernsten Gesichtsausdruck. „Es ist nur… Das ist das erste Mal, dass ich dich so erlebe; so…“
„Echt? Unkontrolliert?“, hilft ihm Manni auf die Sprünge.
„Genau!“
Helena senkt unsicher den Blick, während sie eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger wickelt und die Fußspitze in den Boden zu bohren versucht.
„Entschuldigt… Lasst uns weiter machen.“
Sie strafft die Schultern und schaut auf die Uhr. Ihr erschrockener Gesichtsausdruck lässt vermuten, dass es bereits später ist als erwartet. Oliver ordnet die Blätter in seiner Hand und sucht die Seite nach der Zeile ab, an der sie hängengeblieben waren. Helena schüttelt den Kopf.
„Fangen wir noch mal von vorne an.“
Oliver nickt.
„Okay, ich bin so weit.“
Helena holt tief Luft. Manni, Sabrina und Julius stehen aufmerksam daneben.
„Warum?“, fängt sie an und bewegt sich theatralisch durch den Raum. „Was sollte das? War das Absicht? Rache dafür, dass ich im letzten Semester besser als sie abgeschnitten habe?“
Helena setzt die imaginäre Flasche an den Mund und trinkt einen Schluck Bier daraus. „Sie ist meine Freundin, sie würde mir niemals so etwas antun! Ja, sie hat das Auto ihrer Schwester zerkratzt, weil es ein neueres Modell als ihr eigenes war. Ja, sie hat das Portemonnaie ihrer Mutter geklaut, als die ihr kein neues Paar Schuhe kaufen wollte und ja, sie hat einer Mitschülerin einmal einen Bob verpasst, weil sie sie wegen ihres schief geschnittenen Ponys ausgelacht hat; aber ist das nicht etwas völlig anderes? Wahrscheinlich…“, Helena stockt mitten im Satz. Oliver wartet einen Moment, bevor er ihr als