Название | Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod. |
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Автор произведения | Sarah Markowski |
Жанр | Триллеры |
Серия | Nils Johansen und Arne Lassen |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347028630 |
Theo lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen, in dem sie seit Tagen zusammen eingepfercht sind. Ohne Fenster, ohne Türen, kein Tageslicht, nur diese grellen Scheinwerfer, die jeden Tag zur gleichen Zeit an- und ausgehen. Ab zwanzig Uhr verbleibt nur noch der fade Lichtschein der Nachttischlampen, die glücklicherweise selbst gesteuert werden können. Glatter Linoleumboden, Wände mit einer seltsamen Verkleidung, die Möbel sind alle aus demselben Material, weiß. Der Tisch mit den fünf Stühlen, die Betten, die Regale an der Wand – alles identisch, alles in reinweiß gehalten, und alles strahlt so sehr im kühlen Licht der Lampe, dass es Kopfschmerzen verursacht. Es gibt keine Ecken, alles ist rund. Sogar das kleine angrenzende Badezimmer hebt sich optisch nicht vom Rest des Raumes ab. Nur der Speiselift lässt darauf schließen, dass der Raum noch in irgendeiner Weise mit der Außenwelt verbunden ist. In regelmäßigen Abständen bekommen sie Nachrichten oder Anweisungen über einen Projektor, der auf die kahle Wand gerichtet ist. Wann die letzte Nachricht kam, weiß Theo nicht mehr. Ebenso wenig weiß er, wann und warum er hierher gebracht wurde. Warum gerade er, und was verbindet ihn mit den anderen vier Personen, die ebenfalls hier festgehalten werden? Nach Gemeinsamkeiten haben sie bereits gesucht, vergebens. Es gibt scheinbar nichts, was sie auch nur ansatzweise verbindet. Theo schwitzt. Wie lange soll es noch so weitergehen? Wie lange muss er das noch aushalten? Wie lange kann er das noch aushalten? Theo merkt, wie seine Hände anfangen zu zittern. Er versteckt sie unter dem Tisch und versucht, ruhig durchzuatmen. Früher hat das immer geholfen. Doch es ist nicht die Platzangst, unter der er seit seiner Kindheit leidet, es ist die Ungewissheit, die ihn psychisch kaputt macht.
Samstag, 29.06.2019, 08: 26 Uhr
- Mia -
Sie dreht und wendet die Gabel in ihrer Hand, betrachtet schweigend die Erdbeere. Hunger hat sie plötzlich keinen mehr, im Gegenteil, es fühlt sich so an, als hätte sie ihren Magen soeben mit einem Haufen Backsteinen gefüllt.
„Hey, du solltest deine gute Laune nur mit mir teilen und sie nicht komplett ablegen“, scherzt Theo, doch ihr ist nicht zum Lachen zumute. „Alles in Ordnung?“
Nichts ist in Ordnung.
Ihre positive Fassade bröckelt. Die Schutzmauer, die sie so mühevoll aufrechterhalten hat, droht einzustürzen.
Lächeln, ermahnt sie sich selbst, doch es nützt nichts, macht alles nur noch schlimmer. Theo ist verwirrt. Sie sieht an seinem Gesichtsausdruck, dass er sich gerade den Kopf darüber zerbricht, was er falsch gemacht oder gesagt hat.
Gute Laune, beinahe hätte sie lachen müssen. Dabei weiß sie doch um ihr schauspielerisches Talent. Gefühle verstecken, Emotionen unterdrücken, anderen etwas vorspielen und Sicherheit geben, während sie selbst innerlich zerbricht, das alles ist ein leichtes Spiel für Mia; das war es schon immer. Seit dem Kindergarten ist sie das brave Mädchen, der kleine Sonnenschein, später die Musterschülerin, everybodys darling. Stets gut gelaunt, ein Lächeln auf den Lippen, gehorsam, angepasst, nie aufmüpfig oder gar rebellisch. Perfekt eben, wie es nicht nur ihre Eltern, sondern auch die Eltern von Freunden oder Mitschülern und ausnahmslos alle Lehrer zu sagen pflegten. Sie war schon immer ein von Grund auf positiver Mensch, keine Frage, aber Emotionen wie Wut, Ärger und Neid zuzulassen hätte nicht ins Bild gepasst, das die anderen von ihr hatten. Und die Maske, die sie sich schon als kleines, Pferde liebendes, mit Puppen spielendes Mädchen zugelegt und stets trainiert hat, scheint heute zu bröckeln.
„Mia?“, fragt Theo vorsichtig. Erschrocken zuckt er zusammen, als sie sich so ruckartig von ihrem Stuhl erhebt, dass dieser schwungvoll über den glatten Boden nach hinten gleitet. Mit einem lauten Knall prallt er an der gegenüberliegenden Wand ab und fällt dann scheppernd zu Boden. Es ist still, niemand regt sich, alle Augen sind auf sie gerichtet.
„War ja klar, dass hier jemand früher oder später austickt.“
Mia nimmt die Stimme des straßenköterblonden Jungen wahr, der bisher noch kaum den Mund aufbekommen und den sie insgeheim als Muttersöhnchen abgestempelt hat. Doch sie reagiert nicht darauf. Dieses Mal hält die Stille länger an. Theo ist der erste, der eine Regung zeigt. Nervös rutscht er auf seinem Stuhl herum, weiß nicht, was er tun oder sagen soll.
„Mi-“
Sie lässt ihn nicht ausreden, denn das wäre einmal Mia zu viel gewesen.
„Ich bin nicht Mia!“, schreit sie den Gedanken heraus, der sie schon so lange belastet. Am Anfang dachte sie noch, sie wäre hier falsch, ein Irrtum läge vor. Doch mit der Zeit hat sie herausgefunden, dass Mia eine Art Codewort ist, mit dem sie hier, in diesem Raum, angesprochen wird. Ihr Bett, ihre Kleidung, ihr Waschzeug, alles trägt diesen Namen. Auch Nachrichten, die Informationen über sie selbst enthalten und eindeutig an sie adressiert sind, lauten auf den Namen Mia.
„Ich bin nicht Mia“, wiederholt sie, dieses Mal ruhiger, aber dennoch mit Nachdruck. „Mein Name ist Helena.“
Samstag, 29.06.2019, 08: 31 Uhr
- Mia Helena -
Es ist still. So still, dass Helena ihr eigenes Herz schlagen hört – bum, bum, bum. Das Blut zirkuliert in ihren Adern, rauscht durch ihren Körper. Sie spürt wie es pocht, begleitet von einem unangenehmen Kribbeln im ganzen Körper.
„Ich bin Helena, nicht Mia.“
Ihr Blick fällt auf das schlicht bedruckte Namensschild neben ihrem Teller. Sie betrachtet es voller Abscheu, nimmt es in die Hand und zerreißt es in kleine Papierfetzen, die nun langsam zu Boden rieseln. Jetzt fühlt sie sich besser, irgendwie befreiter. Erschöpft lässt sie sich auf den Stuhl sinken, an dessen Lehne sie sich die ganze Zeit über unbewusst festgeklammert hat. Sie zittert, merkt, dass plötzlich alles vor ihren Augen verschwimmt.
Tränen, denkt sie, doch dieses Mal stört es sie nicht. Nicht so wie sonst, nicht im geringsten. Es ist, als hätte der Schutzwall seine Funktion aufgegeben und damit auch seine Bedeutung verloren. Es ist das erste Mal, dass Helena weinen kann, ohne sich dafür schuldig zu fühlen oder zu schämen. Befreiend. Plötzlich spürt sie eine Hand auf ihrer Schulter, sanft und behutsam. Helena wischt die Tränen mit dem Ärmel aus den Augenwinkeln und schaut langsam auf. Ihr Blick wandert über die helle Leinenhose und das schlichte Shirt hinauf zum Gesicht der jungen Frau, mit der sie bisher noch kein Wort gewechselt hat. Ihre Augenbrauen sind pigmentiert, die Wangenknochen stechen unnatürlich spitz hervor, und die Lippen sind eindeutig professionell aufgespritzt worden, das erkennt Helena auch als Laie.
Unschön, findet sie, aber jedem das Seine.
Bis auf ihr äußeres Erscheinungsbild hat die Barbiepuppe bisher noch keinen bleibenden Eindruck bei Helena hinterlassen. Statt auf gegenseitigen Austausch setzt sie scheinbar lieber auf regelmäßige Schwächeanfälle in schauspielerischer Höchstleistung, verbunden mit Selbstmitleid und der Frage, wie sie ohne Smartphone ihre Abonnenten auf Social Media auf dem Laufenden halten soll.
„Zwanzigtausend“, jammert sie regelmäßig. Dann noch irgendetwas von Content und Kooperationen, doch an dieser Stelle driftet Helenas Aufmerksamkeit meistens ab. Die Barbie macht den Mund auf. Helena rechnet schon damit, dass sie sich ihr nun anschließen und auch ein paar verzweifelte Tränen vergießen wird, schließlich ist seit den letzten eine ganze Nacht vergangen. Allerdings verfällt die Barbie, entgegen ihrer Erwartung, nicht schon wieder in Selbstmitleid. Ihre Mundwinkel zucken.
Ist das etwa ein Lächeln?
„Du bist nicht allein“, flüstert die junge Frau kaum hörbar. Sie lächelt tatsächlich, doch in ihren Augen spiegelt sich Unsicherheit.
„Du meinst, immerhin vegetiere ich hier drinnen nicht völlig einsam vor mich hin“, spottet Helena.
Immerhin drehe ich nicht alleine durch, sondern