Название | Gartenzaun Connection |
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Автор произведения | Doris Zielke |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347099289 |
Sie wählte die Telefonnummer der Wasserburger Polizeistation.
„Grüß Gott, Polizei Wasserburg, Schwenke am Apparat“, kam die kurze und knackige Ansage einer weiblichen Person.
„Äh, ja, Grüß Gott. Mein Name ist Karin Müller und ich bin die Nichte von der verstorbenen Frau Hildegard Müller.“
„Mein herzliches Beileid.“ Die Stimme am anderen Ende des Apparats nahm einen weicheren Klang an.
„Äh, ja danke. Ich bin die einzige Verwandte und wollte fragen, wie weit die Ermittlung, ich meine, es ist doch völlig absurd, dass es etwas anderes als plötzliches Herzversagen gewesen ist, ich meine, wann kann ich denn meine Tante beerdigen?“
„Die Ermittlungen müssen Sie schon uns überlassen“, die Stimme hatte abrupt eine gewisse Schärfe angenommen. „Es gibt leider eine Verzögerung bei der Obduktion in München. Mein Kollege hat gestern extra nochmal dort angerufen, aber die Hälfte der Rechtsmediziner liegt anscheinend mit Sommergrippe zu Hause oder ist in Urlaub. Es werden im Moment nur die ganz dringenden Fälle obduziert. Wenn sie mir ihre Telefonnummer hinterlassen, rufen wir sie aber gerne an, sobald wir Näheres wissen.“
„Ja, danke. Aber ich bin in einer gewissen Notlage. Meine Koffer sind weg und im Haus meiner Tante liegt Kleidung. Wäre es denn möglich, dass ich mir da etwas rausholen kann? In ihrem Testament bin ich auch als Alleinerbin aufgeführt, es hat also alles seine Richtigkeit, wenn ich mir meine Anziehsachen heraushole.“
Am anderen Ende war ein scharfes Zischen zu hören. „Auf gar keinen Fall!“ Karin konnte fast laut die unausgesprochenen Gedanken der Polizistin hören von Kontaminierung des Tatorts‘ bis ‚wieder so eine, die ihr Erbe nicht abwarten kann‘. Resigniert hinterließ sie ihre Telefonnummer und legte den Hörer auf.
Grauenhafte Vorstellung, dass Tante Hildegard weiterhin in der Rechtsmedizin lag und sie keiner als „wichtig“ erachtete. Und mit ihrem Gestotter im Telefonat hatte sie jetzt wohl das Brandmal einer gierigen Erbin auf der Stirn. Mist verdammter!
Dabei hatte sie einfach kein Geld mehr, um sich neu einzukleiden. Das bisschen Guthaben, das sie noch auf dem Konto hatte, brauchte sie für die Fahrt nach Edinburgh, um ihre restlichen Möbel und Dinge abzuholen. Und es ging ja auch nicht nur um die Klamotten aus Tante Hildegards Haus. Streuner ging ein und aus und wer weiß, was der Kater alles anstellte. Sollte sie nochmal bei der Polizeistation anrufen und das klarstellen? Wohl besser nicht. Vielleicht verschloss die Polizei auch noch das Kellerfenster und dann drehte Streuner komplett durch oder verschwand für immer.
Karin griff erneut zum Telefon, vielleicht konnte der Flughafen ihr endlich Auskunft geben, bis wann die Koffer geliefert wurden. Dann wäre zumindest ein Problem gelöst. Bis jetzt war sie trotz mehrfacher Versuche nicht bei der Fundstelle durchgekommen.
„Always look on the bright side of life… didum didum..“, trällerte es in Dauerschleife vom Band, „der nächste freie Mitarbeiter ist gleich für Sie da.“ Karin rollte mit den Augen. „Didum, didum – Sie sprechen mit Peter Weinzirl, was kann ich für Sie tun?“ Karin glitt vor Schreck, eine menschliche Stimme zu hören, das Handy aus der Hand. „Hallo, ist da jemand?“, tönte es dumpf irgendwo aus den Falten ihres weiten Sweatshirts hervor. „Ja, ja, Moment“, keuchte Karin und fingerte hektisch nach dem Telefon. „Ich wollte nachfragen, wo mein Gepäck bleibt.“, zum Glück hatte der Onkel auf der anderen Seite noch nicht aufgelegt. „Sie haben das Gepäckstück bereits als vermisst gemeldet?“
„Ja.“
„Dann die Referenznummer, bitte?“
„Äh, welche Referenznummer?“
„Die Referenznummer ihrer Gepäckverlustmeldung, welche Sie direkt am Serviceschalter erhalten haben.“, die Stimme des Service-Onkels klang einen Hauch genervt.
„Ich habe keine Referenznummer bekommen.“
„Dann einen kleinen Moment, ich muss Sie weiterverbinden.“
„Moment!“, schrie sie, doch schon erklang wieder „… bright side of life, didum, didum…“
Karin knirschte mit den Zähnen.
„Mein Name ist Petra Kleinert, was kann ich für Sie tun?“
„Mein Name ist Karin Müller und ich vermisse meine zwei Koffer, die sie mir nachliefern wollten.“
„Ihre Referenznummer bitte, die Referenznummer finden Sie rechts oben auf der Bescheinigung, die ihnen am Service-Schalter ausgestellt wurde“, fügte die serviceorientierte Frau Kleinert hilfreich hinterher.
„Ich habe keine Referenznummer, deshalb hat mich ihr Kollege doch weiter verbunden!“
„Dann bitte einen kleinen Moment“‚ und schon wieder erklang Musik. Statt ‚didum didum‘ war es diesmal das auch nicht wirklich hilfreiche ‚Don’t worry, be happy‘. Karins Nerven begannen zu flattern. Die letzte Woche war nicht spurlos an ihr vorbei gegangen. Die Trennung von Andrew, der plötzliche Tod von Tante Hildegard, die Ankündigung einer Erbschaft und die noch ausstehende Beerdigung ihrer heißgeliebten Tante. Sie würde jetzt am Telefon andere Seiten aufziehen! Sollte doch noch einmal einer nach dieser beknackten Referenznummer fragen, dann konnte er oder sie aber etwas erleben. Doch als die letzten Takte von Bobby McFerrin verklungen waren, flog sie aus der Leitung. Flopp!
Waren ihre Koffer nun Teil des Flughafenuniversums geworden und dröselten von Gepäckförderband zu Gepäckförderband, bis sie irgendwann in einer Resteverwertung auf einer Versteigerung landeten, wenn sie niemanden am Telefon auftreiben konnte, der ihr ohne Referenznummer weiterhelfen konnte?
Karin packte die Wut. Was für ein Unfug, dass sich Tante Hildegard selbst umgebracht hat. Oder sie sogar ermordet wurde! Von wem denn? Und weshalb? Ich hänge hier nutzlos herum, dachte sie. Florian hat doch total recht, mir gehört das Haus, Streuner braucht Liebe und Geborgenheit und ich meine Wäsche. In der Gewissheit, dass ihre unkonventionelle Tante Hildegard wahrscheinlich genau das Gleiche getan hätte, beschloss Karin nun doch, in ihr zukünftiges Haus einzusteigen. Sie würde schon vorsichtig genug sein, dass keiner etwas bemerkte.
Auf dem Weg zur St.-Benedikt-Straße besorgte sie wie geplant frisches Katzenstreu und einige Dosen Katzenfutter. Einmal abgesehen davon, dass sie sich ernsthafte Sorgen um Streuner machte, musste der Anblick, wenn sie das Grundstück mit der offensichtlichen Absicht betrat, die Katze zu versorgen, sogar bei Herrn Lohmeier unverdächtig erscheinen. Auf den hinteren Teil des Hauses konnte nur der neue Nachbar blicken, doch um die Uhrzeit musste der sich sicherlich auf der Arbeit befinden. Was der wohl machte? Boxtrainer? Aber egal, das ging sie nichts an, Hauptsache sein Hund war an der Kette oder im Nachbarhaus. So unverantwortlich konnte selbst der Glatzkopf nicht sein, das Biest frei herumlaufen zu lassen.
Vorsichtshalber drehte sie noch eine Runde durch den Garten und spähte über die Hecke in das Nachbarsgrundstück. Alles ruhig. Gut so!
„Streuner, Streuner“, lockte sie leise, „schau, was ich dir mitgebracht habe!“ Der Kater war nirgendwo zu sehen.
Vielleicht war er im Haus? Die letzten Skrupel, das Haus illegal zu betreten, flogen über Bord. Karin näherte sich dem offenen Kellerfenster, sondierte nochmal die Lage. Alles blieb weiterhin ruhig in der schwülen Mittagssonne. Sie ging in die Hocke und ließ sich langsam rückwärts durch das Kellerfenster gleiten. Ihre Füße tasteten nach einem Widerstand und sie erwischte dabei einige lose aufgestapelte Kisten, die polternd von einem Tisch unter dem Kellerfenster fielen. Anhand dieser Konstruktion konnte Streuner wohl die Distanz zwischen Kellerboden und Garten überwinden. Sie musste die Kisten also wiederaufbauen, damit die Katze weiterhin ein- und ausgehen konnte.
Endlich war sie im Keller. Ein eigenartiges Gefühl. Hier roch alles nach Kindheit.