Название | Fünf Minuten vor Mitternacht |
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Автор произведения | Celina Weithaas |
Жанр | Контркультура |
Серия | Die Chroniken des Grauen Mannes |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347090866 |
Meine Eltern warten vor dem Buffet auf mich, ebenso strahlend wie ich selbst. Vater hat einen Arm um Mutters Taille gelegt. Sie hat ihre Absatzhöhe perfekt auf Vaters Körpergröße abgestimmt. Wäre Mutter nur einen Zentimeter größer als Vater an dem heutigen Abend, wären die Spekulationen der Presse unerträglich gewesen. Der Anblick des gepflegten Mannes neben ihnen lässt mein Herz höherschlagen. Meine Mundwinkel kräuseln sich von allein. Das I-Tüpfelchen meines perfekten Lebens. Der Verlobte, der nicht nur reich und gutaussehend ist, sondern mindestens genauso treu. Mit einem anerkennenden Lächeln entdeckt er mich, streckt mir die Hand entgegen und in diesem Moment bin ich weniger die erhabene Göttin als die verliebte Prinzessin, die auf ihren Prinzen zueilt, der es kaum erwarten kann, sie endlich in die Arme zu schließen.
2
„Achim.“ Ich schlinge ihm eine Nuance zu überschwänglich die Arme um den Hals. Seine Wärme, seine Nähe. Beides habe ich bis zur Besinnungslosigkeit vermisst. Achim schüttelt kaum merklich und mahnend den Kopf. „Nicht so stürmisch, Liebste.“ Sanft drückt er mir einen Kuss auf die Lippen. Diese sanfte Berührung ist ebenso beherrscht, elegant und schön wie alles an ihm. „Hat sich dein Fest bereits für dich gelohnt?“ Für einen flüchtigen Moment berührt Achims Hand meine Hüfte und gibt mir Halt. Ich strahle ihn an, verliere mich in diesen endlos blauen Augen.
Wimpernschläge lang fühlt sich alles perfekt an. Ich stehe genau dort, wo ich hingehöre, werde von dem Mann berührt, der meiner würdig ist. Spüre die Blicke aller Anwesenden auf mir wie anerkennende Handschläge. Viel zu schnell macht Achim einen Schritt zurück und lässt mich los. Ich schenke ihm ein glattes Lächeln. In der Öffentlichkeit ist es immer so. Körperkontakt wird vermieden, jeder steht seine Autorität für sich allein. Eine Frau an seiner Seite benötigt ein Mann erst, wenn sie seinen Namen trägt und die Feste gemeinsam mit den preisgekrönten Managern plant und ausrichtet.
Das ist die Welt, in der ich aufgewachsen bin. Der Mangel an Nähe ist mir bekannter als mein Name oder mein atemberaubendes Spiegelbild. Nachdem wir uns allerdings beinahe zwei Monate lang kaum gesehen und nicht berührt haben – exakt der Zeitraum, in dem die ominösen Briefe erstmals auftauchten – habe ich auf wenige Sekunden mehr mit ihm gehofft. Auf einen aufrichtigeren Kuss oder eine schmetterlingszarte Berührung mehr.
Hin und wieder malte ich mir vor dem Zubettgehen aus, wie er meine Hand für einige Sekunden hält und die Fotografen diesen kostbaren Augenblick für die Ewigkeit festhalten. Kühne Träume. Sobald er meinen Nachnamen trägt, werden sie endlich wahr werden.
Achim spiegelt mein Lächeln exakt: professionell, glatt, ausschließlich für den unbeteiligten Beobachter charmant. Selbst mit dem Wissen, dass wir nach dieser Feierlichkeit, voraussichtlich gegen drei, vier Uhr morgens, in mein Zimmer verschwinden werden und dann endlich Zeit für uns allein haben, bessert sich meine Laune kaum. Soweit ich informiert bin, geht morgen um drei Uhr nachmittags sein Flieger zurück nach London. Wenn das Fest endet, wie Mutter es geplant hat, und die Müdigkeit uns nicht einholt, haben wir erbärmliche zwölf gemeinsame Stunden. Zwölf Stunden, in denen ich ihn berühren darf, wie ich es möchte. Höchstens zwölf Stunden in denen wir all das sagen dürfen, was nur für unsere Ohren bestimmt ist. Eine winzige Zeitspanne, um sich geliebt zu fühlen. Danach wird er seinen Geschäften erneut nachgehen und ich mein perfektes Image pflegen.
„Bisher war der Abend mäßig erfolgreich“, antworte ich. Es ist mir gleichgültig, dass mein Verhalten gegen die Etikette verstößt. Ich drücke Achim einen weiteren winzigen Kuss auf die Lippen. Achim lässt es zu. Ich konzentriere mich auf seinen warmen Atem, den bekannten Duft, seine heiße Haut. Hinter geschlossenen Lidern sehe ich das Blitzlicht flackern. Wenige Atemzüge stehle ich uns noch, dann beende ich den Kuss. Achims Augen funkeln. Die Wangen schimmern unter dem sorgfältig aufgetragenen Puder rot. Mein Herz schlägt höher und ich lasse mich in eine kurze Umarmung sinken. Sie geht von ihm aus. Achims Geburtstagsgeschenk an mich? „Ich habe heute erst mit einer Person gesprochen. Dieser jemand hatte kein Interesse daran, mir zu gratulieren”, fahre ich fort. Achim hebt eine Augenbraue und legt locker einen Arm um meine Hüfte. Ich verbiete mir, zu meinen Eltern zu sehen. Ich kann ihre tadelnden Blicke spüren, ohne mich rück zu versichern. „Gioseppe Riva. Hast du von ihm gehört?“ Achim verzieht leicht den Mund, das Gesicht sonst starr gehalten, während er über die Menge blickt. Wir werden in weißes Licht getaucht, das wie Blitze über uns hinwegrast. Jedes Zucken bedeutet ein Bild. Ein Bild, das nie wieder aus dem unendlichen Gedächtnis des Internets verschwinden wird. „Nein“, sagt Achim. „Er ist niemand, mit dem man sich befassen muss.“ Zu dem gleichen Schluss bin auch ich gekommen. Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich davon, dass es eine wertlose Füllung war, das Gioseppes Schneidezahn versiegelte. Das Material war zu glanzlos. Für Platin hat es nicht ausreichend geschimmert. Eine bodenlose Peinlichkeit. Damit hätte Gioseppe exakt die gleiche, wenn nicht sogar noch eine schlechtere, Behandlung erhalten wie jeder gewöhnliche Bürger mit seinem Monatseinkommen von rund 3.000 Dollar. Solche Menschen sollten sich nicht in meiner Gesellschaft befinden. Erfahrungsgemäß wissen sie sich nicht angemessen zu verhalten. Geschweige denn, dass sie sich der Ehre bewusst werden, die es bedeutet, hier anwesend sein zu dürfen.
Allein die möglichen reißerischen Überschriften der Presse halten mich davon ab, Gioseppe persönlich der Feier, meiner Feier, zu verweisen. Ich versuche, zu beurteilen, ob es sich bei dem Schemen mit der schlechten Haltung links vom Eingang um Gioseppe handelt. Sicher ist, dass mein Zimmermädchen sich angeregt mit diesem jungen Mann unterhält. Sollte er es sein, kann sie vielleicht einen Teil ihres Monatsgehalts in seine jämmerlichen Goldaktien investieren. „Beruhigend“, nehme ich den Faden wieder auf und neige den Kopf leicht in Achims Richtung. Achims Atem streicht über meine Wange wie eine warme Sommerbrise. Ich kämpfe gegen den Impuls an, genüsslich die Augen zu schließen. „Gioseppe Riva wirkte auf mich wenig vielversprechend.“ Achim lächelt mich an. Wieder strahlen seine