Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Название Gesammelte Erzählungen
Автор произведения Jules Verne
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783958555143



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begriff ich alles. Um mir vernehmlich zu werden, mußte ich hart neben der Wand sprechen, welche meine Stimme, wie der elektrische Draht, fortleitete.

      Aber ich hatte keine Zeit zu verlieren. Entfernten sich meine Gefährten noch eine kurze Strecke, so war die Akustik nicht mehr möglich. Ich trat also nahe an die Wand heran, und sprach so deutlich, wie möglich, die Worte:

      »Mein Oheim Lidenbrock!«

      Ich wartete in höchster Spannung. Der Ton läuft nicht äußerst schnell, und die dichtere Luft erhöht nicht seine Schnelligkeit, sondern nur seine Stärke. Einige Sekunden verflossen, bis endlich diese Worte zu meinem Ohr drangen:

      »Axel, Axel! Bist Du’s?«

      * * *

      »Ja! ja!« erwiderte ich.

      * * *

      »Mein Kind, wo bist Du?«

      * * *

      »Verloren, im tiefsten Dunkel!«

      * * *

      »Aber Deine Lampe?«

      * * *

      »Verloschen.«

      * * *

      »Und der Bach?«

      * * *

      »Verschwunden.«

      * * *

      »Axel, armer Axel, fasse wieder Mut!«

      * * *

      »Warten Sie ein wenig, ich bin erschöpft! Habe nicht mehr die Kraft zu antworten. Aber sprechen Sie zu mir!«

      * * *

      »Mut, fuhr mein Oheim fort. Rede nicht, lausche mir. Wir haben Dich auf- und abwärts in der Galerie gesucht; konnten Dich nicht finden. Ich habe sehr um Dich geweint, mein Kind! Endlich, in Voraussetzung, Du seist noch längs dem Hansbach, sind wir wieder abwärts gegangen und haben unsere Flinten abgefeuert. Jetzt können unsere Stimmen zwar akustisch zusammen kommen, aber die Hände noch nicht sich berühren! Doch verzweifle nicht, Axel! Sich hören zu können, ist schon etwas!«

      * * *

      Während dessen hatte ich überlegt. Eine gewisse, noch unbestimmte Hoffnung kam mir wieder. Vor Allem war mir ein Punkt von Wichtigkeit. Ich hielt meine Lippen an die Wand und sprach:

      »Mein Oheim?«

      * * *

      »Mein Kind? Hörte ich nach einer kleinen Weile.«

      * * *

      »Vor allem, wie weit sind wir von einander?«

      »Das kann man leicht erfahren.«

      * * *

      »Haben Sie Ihren Chronometer?«

      * * *

      »Ja.«

      * * *

      »Nun, nehmen Sie ihn. Sprechen Sie meinen Namen und verzeichnen genau die Sekunde. Ich will ihn wiederholen, sobald er zu mir gelangen wird, und Sie verzeichnen ebenso genau den Augenblick, wo meine Antwort eintreffen wird.«

      * * *

      »Gut, und die Hälfte der Zeit zwischen meiner Frage und Deiner Antwort wird angeben, wieviel meine Stimme braucht, um bis zu Dir zu gelangen.«

      * * *

      »Richtig, Oheim.«

      * * *

      »Bist Du bereit?«

      * * *

      »Ja.«

      * * *

      »Nun, gib Acht, ich spreche Deinen Namen.«

      * * *

      Ich hielt mein Ohr an die Wand, und sobald das Wort »Axel« bei mir anlangte, antwortete ich unverzüglich »Axel«, dann wartete ich.

      * * *

      »Vierzig Sekunden«, sagte darauf mein Oheim. Vierzig Sekunden verflossen zwischen den beiden Worten; der Ton brauchte also zwanzig Sekunden, um zu mir zu gelangen. Nun, da tausendundzwanzig Fuß auf die Sekunde kommen, so macht das zwanzigtausendvierhundert Fuß, d.i. über fünfzehn Kilometer.

      * * *

      »Fünfzehn Kilometer!« murmelte ich.

      * * *

      »Nun, das kann man schon fertig bringen, Axel!«

      * * *

      »Aber, muß ich auf- oder abwärts?«

      * * *

      »Abwärts, und zwar deshalb: Wir sind an einen weiten Raum gekommen, wo eine Menge Galerien münden. Ohne Zweifel wird die, welche Du eingeschlagen hast, Dich dahin führen, denn es scheint, alle diese Spalten, diese Risse im Erdkörper, bilden einen Strahl um die ungeheure Höhle, wo wir uns befinden. Mache Dich auf und setze Deinen Weg fort. Gehe, schleppe Dich fort; wenn’s Not tut, rutsche über steile Abhänge, und Du wirst unsere Arme finden, Dich am Ende des Weges aufzunehmen. Auf, mein Kind, auf den Weg!«

      * * *

      Diese Worte belebten mich wieder.

      »Adieu, Oheim, rief ich; ich gehe. Sobald ich diese Stelle verlassen habe, können wir nicht mehr durch Worte verkehren. Adieu also!«

      * * *

      »Auf Wiedersehen, Axel! Auf Wiedersehen!«

      * * *

      Dies waren die letzten Worte, welche ich hörte. Diese merkwürdige Unterredung, welche mitten durch die Masse der Erde in einer Entfernung von fast einer französischen Meile geführt wurde, schloß mit diesen Worten voll Hoffnung. Ich dankte Gott im Gebet, denn er hatte mich in dem unermeßlichen Dunkel an den Punkt geleitet, der vielleicht der einzige war, wo die Stimme meiner Gefährten zu mir gelangen konnte.

      Diese sehr erstaunliche Wirkung der Akustik ist durch die Gesetze der Physik leicht zu erklären; sie rührte von der Form des Ganges und der Leitungsfähigkeit des Gesteins her. Es gibt manche Beispiele solcher Fortpflanzung der Töne, welche in dem Zwischenraum nicht vernehmbar sind. Ich erinnere mich, daß diese Naturerscheinung an manchen Stellen beobachtet worden ist, unter anderen in der inneren Galerie der Paulskirche zu London, und besonders mitten in den merkwürdigen Höhlen Siziliens, den Latomien bei Syrakus, von welchen die merkwürdigste unter dem Namen »Ohr des Dionysius« bekannt ist.

      Diese Erinnerungen kamen mir in den Kopf, und es war mir klar, daß, weil meines Oheims Stimme bis zu mir drang, kein Hinderniß zwischen uns lag. Indem ich dem Weg des Tones mich anschloß, so mußte ich logisch ebenso wohl, wie er, ankommen, wenn mir die Kräfte nicht ausgingen.

      Ich richtete mich also auf und schleppte mich fort. Der Abhang war ziemlich jäh; ich ließ mich hinabgleiten.

      Bald nahm die Schnelligkeit, womit ich hinabrutschte, in erschreckendem Verhältniß zu, und drohte ein wirkliches Fallen zu werden. Es fehlte mir die Kraft mich zurückzuhalten.

      Plötzlich schwand mir der Boden unter den Füßen. Ich fühlte, daß ich über die Unebenheiten einer senkrechten Galerie abprallend hinabrollte. Mein Kopf schlug wider einen spitzen Felsen und ich verlor das Bewußtsein.

      Neunundzwanzigstes Kapitel

      Rettung

      Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem halbdunkeln Raum auf dicken Decken gelagert. Mein Oheim wachte und forschte auf meinem Angesicht nach einem letzten Lebenszeichen. Bei meinem ersten Aufatmen ergriff er meine Hand, bei meinem ersten Blick stieß er ein Freudengeschrei aus.

      »Er lebt! Er lebt!