ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer. Klaus Schafmeister

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Название ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer
Автор произведения Klaus Schafmeister
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347068315



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zu 100.000en lebte um den Comeddo Zentral herum und sich offensichtlich schon seit dem Sündenfall in dessen Krater entleert hatte. Gesinterte Überreste der Vögel fanden sich überall im Malpais und im gewaltigen Kotlager des Kraters; so wusste man ungefähr, wie das Urvieh ausgesehen hatte. Es gab lange Zeit Guanitos (und es gibt sie noch), die Stein und Bein schworen, nachts in der Wüste überlebenden Exemplaren dieses Riesenscatophilus begegnet zu sein, was sich jedoch bei schärferer Nachfrage zumeist als innere Gaukelei herausstellte, hervorgerufen durch Konsumtion diverser geistiger Getränke. An die 1.000 Jahre mochten vergangen sein seit dem Verschwinden dieser Riesenvögel - wahrscheinlich waren sie vor Langeweile ausgestorben. Konkreteres über diese Brachialverdauer wusste jedoch niemand.

      Das änderte sich mit dem Besuch des bereits erwähnten Professors und mehrfachen Doktors (unter anderem der Geographie, Biologie, Anthropologie, des Ingenieurwesens und auch noch der Chemie) Jaroslav Pancratius Nimrod. Denn nach dessen langwierigen Analysen versprach das insulare, bisher kaum beachtete - nach früherer Beurteilung eines hinterhältigen sogenannten Salpeter-Sachverständigen (aus Peru!) als nicht abbauwürdig! verurteilte - Guanoreservoir ganz im Gegenteil die gewaltige Menge von etwa 10 Millionen Kubikmetern Inhalt mit rund vier Millionen Tonnen Gewicht. Bei einer mittelgerechneten Förderung von 100.000 Tons pro Jahr würde das weiße Gold gut an die 40 Jahre Ertrag bringen. Das Beste aber war, dass die insulare Vogelkacke düngemäßig wohl fünffach gehaltvoller zu sein schien, als dieselbe Menge besten Guanos von Perus und Chiles Westküsten - das würde in Sachen Pinguinkot jeden Bergeaufwand lohnen in dieser nitratgierigen Zeit.

      Der Kalender zeigte den 24. November 1870, somit exakt den achten Jahrestag der insularen Unabhängigkeitsausrufung, als der Wissenschaftler der Staatspräsidentin vorgestellt wurde und er ihr seine unerhörte Entdeckung vortrug. Die erlauchtigste Landesmutter geruhte, dem kleinen Schmerbauch stundenlang zuzuhören, obwohl er für Außenstehende nur Kauderwelsch plapperte. LaPelargo jedoch vermochte ihm genau zu folgen, und am Ende des abstrusen Vortrags lagen die Schlussfolgerungen der professoralen Analyse klar vor ihr: märchenhafter Reichtum!

      Kurz darauf setzte ein Rush-and-Run auf den Comeddo Zentral ein, wie sonst nur auf Stätten ergiebiger Goldhorte. Die großmächtige Landherrin Pelargo hatte die Neuigkeit weltweit streuen lassen und parallel dazu (gegen Versprechung von horriblen Titeln am zukünftigen Guanoertrag) in der Rekordzeit von zwei Jahren eine Schienenstrecke sowie etliche - vom Professor erdachte - Gaswerke finanziert und durch 1.000e Taglöhner bauen lassen. Die Bahnlinie führte von Nombredelrio über den Comeddo Zentral und weiter gen Süden bis Vayacondios. Und trotz Mahagonias bisheriger Abneigung gegen feste Regierungssitze: nun musste ein zentraler Ort her, eine vorzeigbare Kapitale, am besten direkt am Comeddo gelegen, wo Geschäft und Leben toben würden - und sie sollte den glänzenden Namen La Madre de Ciudads tragen. Es reichte letztlich aber doch nur zum einfallsloses LaCita.

      Die Glücksritter fielen in Scharen ein, LaCita brach binnen Monatsfrist aus dem Boden. Mit der präsidialen Repräsentanz haperte es eine Zeit lang, denn die künftige Hauptstadt war in ihrer Entstehungsphase nur eine Anhäufung elender Bretterbuden mit höchster Kriminalitätsrate; das änderte jedoch nichts an ihrer explosionsartig wachsender Beliebtheit. Digger und Abenteurer kamen gerannt; es konnten gar nicht so schnell Behausungen gezimmert werden, wie man hätte gebraucht für all die Prospektorenkerls, die im Schweiße ihres Angesichts dem gewaltigen Guanohort zu Leibe bzw. Kote rückten.

      Mahagonia Tiberia Pelargo stand derweil am Fenster ihres provisorischen Regierungssitzes, dem Prunkcoupe der neuen Wüstenbahn, rieb sich die Hände und stieß ein verzücktes Bien! Mui bien! aus.

       Kaliber 11 - Mit Hand und Fuß

      Sonderagent Hanns Streng steht vorm Spiegel und rüstet sich für die Abendgesellschaft: ein gut aussehender junger Mann, der sicherlich eins-80 misst und auch draußen stets in blütenweißem Hemd unterm grauen Leder daher kommt, egal, ob in der Sonne oder im Regen. Er trägt selten eine Kopfbedeckung, hat um den Kragenhals, was ebenso selten ist in dieser Umgebung, stets vorbildlich eine schwarz-weiß-rote Seidenkrawatte geschlungen und duftet immer und überall nach einem herben, ausgesprochen maskulinen Rasierwasser. Unter dem grauen Leder stecken Hanns Strengs Langbeine in engen Reithosen und glänzenden schwarzen Langschäftern; manch eine sähe sicher gern mehr von diesen wohlgeformten Schenkeln, die garantiert auch einen zweiten Blick wert wären - doch die Stiefel: der rechte ist an der Sohle seltsam derb ausgeformt, das bedingt der Fuß; es wird gleich noch zu reden sein über diesen Fuß.

      Oben herum ist allerdings alles klar beim Herrn Agenten, der 26 Jahre zählt, Eins-80 misst wie bekannt und ansonsten schlank und drahtig daher kommt bis hin zur Hagerkeit. Das gilt ebenso fürs Gesicht, dessen Wangenbögen hoch angesetzt sind, ein kräftiger Mund mit aufgeworfenen Lippen darunter und mit blitzenden Zähnen. Im Antlitz vernetzt sich der Hauch einer feinen Aderzeichnung unter der Perlmutthaut, woraus im Licht ein Schimmern entsteht, was mit dem Augenblassblau und dem Weißblond von Brauen und Haupthaar (auch dieses in militärisch scharfer Facon, ein bemerkenswertes Geschnitt!) die zarten Hirnkastenwölbungen apart betont - die hiesigen Bauernschädel dagegen ein klumpiger Witz! Das Kurzhaar lässt natürlich die Ohrmuscheln sehen, durch deren zarte Knorpel das Sonnenlicht scheint wie durch Milchglas – nein: kein Gramm Fleisch zu viel in diesem asketischen Fresco, in Komposition und Ausstattung einem arabischen Vollblut wohl anstehend. Und in die Hand geschworen: nicht nur der Kopf!

      Bevor man später in die Tiefen seiner Seele und Vergangenheit eintaucht, wenn sich das Rätsel löst, warum er trotz offensichtlicher Weltgewandtheit und Durchsetzungskraft ein wenig filigran wirkt, vor Aufdeckung dieser Geheimnisse sei - wie angemerkt - kurz etwas über Strengs Füße dargelegt, genauer: über den rechten Fuß, es muss gesagt werden!

      Was die schmalen Züge, der gertenschlanke Körper den Senoritas versprechen, das halten die apart geformten Schenkel, der Po, die Knie, die Wadenbeine schon lange. Jedenfalls linksseitig, denn am Ende des rechten Unterschenkels trägt dieser transparente Engel den Beelzebub mit sich in einem verheerenden Klumpfüßchen. Ein verkürzter Wadenmuskel mag es sein, der ihm die Hacke nach oben zieht, den Fuß weniger brauchbar macht, so dass Streng ohne eine Assistenz kaum gerade und fest auftreten könnte. Ein Stock? Zum Teufel damit!

      Hanns Strengs gewisses Bein steckt deshalb in einem Spezialstiefel mit einem erhöhten Sohlkeil, so dass sein Träger auch ohne Gehhilfe nach ein wenig Einlaufen ordentlich schreiten kann und nur unmerklich hinkt. Zudem ist die Malaise optisch lässlich, weil der Schuh kaum aufträgt. Die Kinderlähmung, sie könnte es gewesen sein, hätte Hanns Streng schwerer treffen können.

      Doch jetzt den Senor Spezialagent, Schatzjäger, Kulturbeflissener und Abnormitätensammler vorerst allein gelassen; hinaus gegangen und um die Liegenschaft herum!

      Das Gebäudesammelsurium der Estancia Pufago kann sich natürlich nicht mit den Gefängnisburgen und Internierungsanlagen südamerikanischer Kleindiktaturen messen, schon überhaupt nicht mit den Lagern des gewesenen Hunnenreiches, jedoch als familiär geführtes Bootcamp mag es durchgehen. Hinterm Chalet ist auch nicht etwa das Volk Juda konzentriert, hier wird eigenes ehr- und heimatvergessenes Kroppzeug zwischengelagert: Cimarrones, Schmarotzen, Ziganisten - Sammelbegriffe für Rebellen, fahrendes Volk, Bettler, Ausländer, Schwule, Intellektuelle und andere asoziale Elemente. Im Rahmen der Einbringungen des Luan diStronzo mag es auch vorkommen, dass es einen Auflauf gibt am Tor, als sei Markttag - denn nicht nur des Tenientes Wegfänge füllen die Scheunen, auch die hiesige Landbevölkerung spendet gern ihre ausrangierten Mitmenschen.

      Ansonsten kommt aufs Gelände und besonders ins Herrenhaus nur derjenige, der einen Passport vorweisen kann, unterzeichnet vom Herrn Streng oder dem Estanciero oder wenigstens vom Teniente. Auch Fräcke mit Schärpen in Landesfarbe möchten als Eintrittskarte von Nutzen sein, Soutanen und Bäffchen sind ebenfalls halbwegs gelitten. Die in den vergitterten Scheunen nebenan benötigen natürlich weder Visa noch Uniformen, wissen aber dafür auch nicht, wann diese Sommerfrische ein Ende hat.

      Vor 75 Jahren hatte ein verarmt immigrierter, im Guano-Rush versehentlich wieder zu Reichtum gelangter Rumäne (ein Graf Vlad Alexandru Tinitul) diese Scheunen an den Dorfrand Nombredelrios gepflanzt und das einem wunderlichen Karpatenschloss nachempfundene Haupthaus davor. Den Remisen droht es wie die Katze den Mäusen,