Der Makel der Freiheit. Axel-Johannes Korb

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Название Der Makel der Freiheit
Автор произведения Axel-Johannes Korb
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347062962



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Misstrauen, das man dem umtriebigen Neuen mit dem Dialekt des Rheinlandes entgegengebracht hatte, wich bald dem Interesse an seinen Erzeugnissen. Man war nicht mehr darauf angewiesen, beim Kloster um Milde zu bitten, sondern konnte bei Bonifaz Kramer alles auf schnellem und unkompliziertem Wege käuflich erwerben. Beeindruckt bewunderte man die Heilkunst des Mannes, der in seinen Mörsern die Rohstoffe zerstampfte, der Mixturen aus den verschiedensten Destillaten herstellte und dabei virtuos die genauen Rezepturen der Arzneien aus dem Kopfe hersagen konnte. Der Erfolg gab ihm recht. Er schien heilende und zugleich goldene Hände zu haben. Bald schwor man lästerlich auf seine Mittel.

      Mit der Gesundheit der Bürger vermehrte er jenes Vermögen, das ihm durch taktisch glänzende Heirat zugefallen war. Dennoch verstand er es, bescheiden zu wirken – eine nutzbringende Fähigkeit in diesen Breiten.

      Zu den Klosterbrüdern nahm er freundlich Kontakt auf und war stets auf Ausgleich bedacht. Man konnte voneinander lernen. Sie, deren jahrhundertealtes Monopol durch die Ansiedlung des rheinischen Geschäftsmannes und der Apotheke „Cosmas und Damian“ betroffen war, sie, die allen Grund zur Vorsicht haben mussten, misstrauten bald nicht mehr. In ähnlicher Virtuosität, wie er die Arzneien mischte und die Einwände des Klosters gegen ihn zum Schweigen gebracht hatte, verstand er es, zunächst die Kranken und dann auch die Gesunden für sich zu gewinnen, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis Bonifaz Kramer durch die Wahl der Zünfte auf den Schild gehoben wurde, um nach kurfürstlicher Sanktion das höchste städtische Amt zu bekleiden, das einem Ungeweihten überhaupt zufallen konnte: das des Schultheißen.

      Die Apotheke war unterdessen zum unverzichtbaren Element des städtischen Lebens herangereift, sodass das Gewerbe für die Jahre der Amtsausübung nicht ruhen durfte. Das politische Geschick Bonifaz Kramers erwies sich in der Bestellung seines Stellvertreters. Bruder Jeremias, der junge Zögling des Klosterapothekers, bekam die Aufgabe übertragen. Der alte Abt war zufrieden. Er hoffte insgeheim, dass es sich nicht allein um eine Zwischenlösung handeln möge, sondern dass Jeremias endgültig der Nachfolger des Apothekers werden würde.

      Der schwarz gewandete Benediktinermönch Jeremias mochte nur um weniges älter sein als Kilian. Es war bereits einige Jahre her, dass er seine Gelübde abgelegt und die Tonsur genommen hatte. Er wirkte zunächst auf der Krankenstation des Klosters, ehe ihn der alternde Apothekenpater zu sich holte und begann, ihn in der Heilkunst zu unterweisen. Jeremias zeigte Talent und Neigung. Bald wurde er aus der Ausbildung entlassen, während sich sein Förderer dem geistlichen Leben zuwandte, um den Rest seiner Tage ohne seiner Hände Arbeit verbringen zu können. Jetzt pflegte Jeremias Bonifazens Kräutergarten, er lernte, das Verzeichnis der Parzellchen zu lesen, erntete, zerstampfte im Mörser und richtete die faden Pülverchen und bitteren Säfte her.

      Kilian machte sich bei „Cosmas und Damian“ nützlich. Der Zwist, der Vater und Sohn beschäftigte, durfte nicht nach außen dringen. Beiden war daran gelegen, in der Zwischenzeit, bis Kilian sich für eine bestimmte Laufbahn entschied, Ruhe zu bewahren. Kilian war schon in der zweiten Woche nach seiner Heimkehr tunlichst bestrebt, den Eindruck eines Taugenichts zu vermeiden. Er erinnerte sich aus diesem Anlass der Kindheitsund Jugendtage, in denen er dem Vater in seinem Betrieb zur Hand gegangen war, und meldete sich bei Bruder Jeremias, der den Zögling der Familie Kramer im Gedenken an den gütigen und auf Einfluss bedachten Abt nicht allzu gerne bei sich sah. Er ließ ihn nur kleinere Arbeiten verrichten, ließ ihn kehren und säubern, ließ ihn die Zutaten bereitlegen und abwiegen, obgleich Kilian im Heilgeschäft längst kein Grünschnabel mehr war.

      Sobald er sich nämlich in Kindheitstagen des Lesens bemächtigt hatte, widmete er sich der Lektüre von lateinischen Folianten pharmazeutischen Charakters aus der väterlichen Bibliothek. Damit hatte es keinesfalls die Bewandtnis, dass er dieser Wissenschaft schon früh Zuneigung entgegenbrachte oder sich im Lateinischen, von dem er zu dieser Zeit keinen blassen Schimmer hatte, üben wollte. Es waren vielmehr die zahlreichen bunt verzierten Illustrationen dieser Bücher, von denen er sich magisch angezogen fühlte. Es waren Herbarien der unterschiedlichsten Gewächse, die über die Enden der Erde verstreut waren und bezüglich derer Kilian nicht die Hoffnung besaß, sie eines Tages selbst in Händen halten zu können.

      Der Vater interpretierte dieses ständige Blättern in den Folianten falsch. Er witterte eine Neigung zur Apothekerkunst und übertrug dem baldigen Lateinschüler die Fertigung einfacher Erzeugnisse nach ebenso einfachen Rezepten, wenn auch unter aufmerksamer Aufsicht.

      In diesen Jahren seines jungen Lebens wurde Kilian Zeuge eines Unfalls. Während er sich der Herstellung einer simplen Pille widmete und hierzu eifrig an den Schubladen zog, um die Zutaten zu sammeln, hantierte der Vater mit kleinen Fläschchen, die er allezeit in verschlossenen und hochgelegenen Schränken aufbewahrte. Zahlreich standen sie bald vor ihm auf dem Tisch. Er sann über eine neue Mischung nach, vertiefte sich in seine vorläufig notierten Rezepturen und stieß beim Nachschlagen in einem seiner prächtigen Folianten gegen eine Phiole, die plötzlich auf der Anrichte zu kullern begann. Mit beiden Händen griff er danach, als gelte es, das Leben zu retten, erreichte jedoch nichts, beschleunigte die Bewegung vielmehr, sodass das Glas hinunterfiel, auf dem steinernen Boden auftraf, in tausend Scherben zersplitterte und stinkende Dämpfe freisetzte. Der Vater bedeutete Kilian noch, sich zu entfernen. Der Junge befolgte diesen Befehl sogleich, während Bonifaz selbst den Schaden zu begrenzen suchte und sich nach den Scherben bückte. Die Folge war ein Röcheln und Husten, ein Keuchen und Rasseln, das der junge Kilian aus dem Nebenzimmer eine Weile belauschte, ehe es verstummte.

      Aus Sorge um den Vater holte Kilian die Hilfe zweier starker Männer vom Marktplatz, die den beleibten Apotheker zwei Treppen hinauf in sein Bett schafften und in seidene Kissen legten, wo es noch Tage dauern sollte, bis er zu vollem Bewusstsein zurückfand. Als er wieder wach war, sprach er im Flüsterton von verbrannten Lungen, die seither äußerst empfindlich auf seine Gemütslage reagierten und ihren Dienst nur unregelmäßig versahen.

      Bruder Jeremias hörte man bei der Apothekenarbeit kaum atmen. Sein Menschsein schien auf eine höhere, geistlichere Ebene übersetzt zu sein. Mit gerader Haltung stand er in schwarzer Kutte an den Arbeitstischen. Selbst beim Ziehen und Schließen der zahlreichen Schubladen war kaum ein Laut zu vernehmen. Bei den Anweisungen, die er Kilian erteilte, beschränkte er sich auf wenige Worte.

      Bruder Jeremias betete ständig, ohne seine Stimme dabei zu gebrauchen. Kilian bewunderte diese Versunkenheit, die seinem eigenen Temperament so wenig gleichkam. Dennoch übertrug sich auf ihn während der gemeinsamen morgendlichen Arbeitsstunden ein Gutteil dieser Ruhe, die er sonst nicht kannte. Auch war es ihm von Zeit zu Zeit unheimlich, an der Seite eines Heiligen zu arbeiten, insbesondere wenn sich Jeremias beim Läuten der Klosterglocken auf den steinernen Boden niederkniete und das Stundengebet flüsterte. Hier war er ganz entrückt, war nicht mehr Bruder Jeremias, sondern der Schatten eines Menschen, dem die Welt nur noch ein flüchtiges Flimmern war.

      Des Nachmittags und Abends ging Jeremias in die Häuser der Siechen und brachte ihnen ihre Arznei. Kilian durfte ihn begleiten. An den Betten der nächtlich Sterbenden, seien es nun Bürgersleute, Bauern, Handwerker oder Viehhändler, kniete Jeremias, bis sie ihren Geist ausgehaucht hatten. Ihre Schmerzen linderte er. Er stellte ein elfenbeinernes Kreuz in das Blickfeld des Scheidenden und entzündete daneben zwei Kerzen. Die Sterbenden formten noch einmal still ihre Lippen, wie Bruder Jeremias es tat, ehe ihre Körper jede Spannung verloren. Kilian stand in diesen nächtlichen Räumen im Licht der Kerzen und beobachtete die Verwandlungen, was ihm jedoch nur selten gut bekam.

      Öfter machte er sich an den Abenden mit dem Volke gemein, streifte durch die Wirtshäuser der Stadt und saß mit jenen auf langen Bänken und an breiten Tischen, von denen er wusste, dass sie nicht seinesgleichen waren. Sie hatten unrasierte Gesichter und Schwielen an den Händen, waren ungebadet und sammelten Dreck unter ihren Fingernägeln. Wenn es jedoch um das Stemmen der Krüge ging, waren sich Kilian und seine zeitweiligen Gefährten einig. Da sangen und scherzten sie, da stießen sie an und verfluchten den Tag mit seiner Arbeit auf dem Feld und in den Werkstätten. Sie lobten den Abend mit seiner Vergnügung und fühlten sich geehrt, dass Kilian in seinem bestickten, samtigen Rock unter ihnen weilte und tat, als müsse er auch auf das Feld ziehen oder in der Werkstatt den Hammer auf den Amboss schwingen.

      Nur, als er versuchte, auf den Bänken politische Reden zu schwingen, wie er