Ein Buch für Keinen. Stefan Gruber

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Название Ein Buch für Keinen
Автор произведения Stefan Gruber
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783347043282



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Funktion – es war eine soziale Buchhaltung, wenn man so will. Man konnte mit diesem »Geld« zu keinem Zeitpunkt etwas erwerben. Das war auch gar nicht möglich, da Stämme eben keine Überschüsse produzieren, die sie an irgendeinem fiktiven Markt hätten feilbieten können. Zwar gab es vereinzelt und meist in einem aufwendig zeremoniellen Rahmen Tauschakte zwischen Stämmen, aber nie mit Geld als Tauschmittel. Ist doch Geld als physisches Gut, ganz im Gegenteil, ein noch relativ junges Phänomen und es entwickelte sich auch nicht auf privater Ebene im Zuge von Tauschakten, sondern war und ist seit jeher ein reines Machtderivat. Erst wenn eine Menschengruppe eine andere Menschengruppe kriegerisch unterwirft und sie zwingt, Überschüsse als Tribut abzuliefern, ist das Geld in der Welt. Zu Beginn der Staatenhistorie wurden die vom Staat abgeforderten Naturalabgaben schriftlich verbucht. Es waren reine Kreditsysteme, in denen, beispielsweise in Mesopotamien, auf Tontafeln dokumentiert wurde, wer dem Tempel wie viel schuldet. Dieses zu erwirtschaftende Surplus ist im ganz konkreten Sinne ein Zins (worauf sich auch die in alten Büchern gebräuchliche Bezeichnung »Zinnß« für die Steuer bezieht), d.h. eine Mehrleistung, die periodisch zu erwirtschaften war. Konnte aber ein Abgabenschuldner seine Leistung zum Termin nicht erbringen, musste er sich das Abgabengut beim Tempel leihen, um der Sanktion des Staates zu entgehen. Hierfür wurde eine Schuldurkunde (auf einer Tontafel) ausgestellt, welche die geschuldete Summe dokumentierte. Dieser »Schuldschein« konnte vor Ablauf der Laufzeit vom Gläubiger an einen Dritten gegen einen Abschlag (Disagio) abgetreten (zediert) werden, womit diese Urkunden als Geld zu zirkulieren begannen, deren Schuldinhalt auf eine bestimmte Menge Abgabengut lautete. Bei der Naturalabgabe, die nicht durch Verschuldung emittiert, sondern periodisch abgefordert und schließlich verbraucht bzw. über Mittelsmänner des Palastes an andere Machtzentren im Austausch gegen andere begehrte Waren geliefert wurde, können die Bezeichnungen Zinnß (»Zins 1«) und Geld (Getreide als Abgabengut, ergo »Geld 1«) synonym verwendet werden. Die darauf aufbauenden privaten Schuldbeziehungen können als »Geld 2«1 verstanden werden. Wurden sie zediert, d.h. als Geld verwendet, war ein privater Zins (»Zins 2«) in Form eines Abschlags zu entrichten. Für Martin ist der ursprüngliche Zins – der sich bei ihm aus dem »Zinnß«, d.h. der erzwungenen Abgabe bzw. Steuer an den Staat ergibt – also ein Abschlag (Diskont oder Disagio) auf einen Schuldtitel, der vor Fälligkeit an einen Dritten abgetreten wurde.2 Wir kennen Selbiges vom Wechsel, auf dem ganz genau festgehalten wird, wie viel ein Wechselschuldner im jeweiligen Abgabengut zu leisten hat. Auch hier ist von einem Zins nichts zu entdecken. Erst wenn der Wechsel diskontiert wird, d.h. an einen Dritten oder Vierten weitergegeben wird, um die darauf verbriefte Summe früher zu kassieren als zum Termin, kommt es zum Abschlag, der später der Einfachheit halber auf die geschuldete Summe aufgeschlagen wurde. Ersichtlich ist dieser Abschlag aber teilweise noch heute zwischen Banken und Zentralbanken, wo Schuldtitel diskontiert werden, d.h. die auf dem Schuldtitel verbriefte Summe gegen Abschlag früher als zum Fälligkeitstermin ausbezahlt wird.

      Hier sehen wir, dass Geld bereits in seinen Anfängen Schuldverhältnisse dokumentierte. Zu keinem Zeitpunkt war Geld ein Netto-Gut, um Tauschvorgänge zu erleichtern, verbrieft doch Geld als Guthaben, ganz im Gegenteil, erst die Forderung an einen Schuldner als Counterpart, Dienstleistungen zu erbringen bzw. Waren im Überschuss herzustellen, die dann mit Geld gekauft werden können, was wiederum dem Schuldner die Möglichkeit gibt, sich von seiner Schuld zu befreien (zumindest temporär, da es das Wesen von Staatssystemen ist, seine Schäfchen in permanenter Verschuldung zu halten, um Wirtschaftsleistung zu generieren). Wer in vorstaatlicher Zeit oder bei noch heute von der Zivilisation unberührten Stämmen mit einem Goldnugget Waren oder Dienstleistungen kaufen wollte, würde bestenfalls ausgelacht. Niemand würde sich dort für ein funkelndes Stück Metall zum Dienstleister degradieren oder Nahrung abgeben, die dem Stamm dann zur Bedienung der eigenen Urschuld fehlen würde. Nicht nur, dass Gold in den meisten Stämmen bestenfalls ideellen Wert hatte – man muss sich eher die Frage stellen, ob Gold überhaupt jemals so etwas wie einen »intrinsischen Wert« besaß, wie von Gold-Fans und Tausch-Theoretikern gern fabuliert wird, denn selbst im klassischen Goldstandard war Gold kein Wert an sich, sondern eine Recheneinheit, um Schuldverhältnisse zu dokumentieren. Aber wie kam es aus historischer Sicht zu diesem bis heute anhaltenden Mythos, der Edelmetalle umgibt?

      Die Verklärung und Vergöttlichung von Gold lässt sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf seine Verwendung als Jagdwaffenmetall vor rund 30.000 Jahren vor unserer Zeit zurückführen, welches später, im Zuge der Bildung erster Protostaaten im Neolithikum, in verschiedensten Teilen der Welt von der herrschenden Klasse monopolisiert wurde und nur ihr vorbehalten war. Für Details empfehle ich das Buch »Gold-Revision – Vom kosmischen Fall zum irdischen Aufstieg der Edelmetalle«, in dem sich Luis Pazos auf Spurensuche begibt. Gold als Waffen- und Rüstungsmetall zur Maximierung der Ausbeutung unterworfener Völker konnte damit von der Elite in ein klares Kursverhältnis zu Naturalabgaben gesetzt werden (wie viel Naturalabgaben lassen sich mit x Kilogramm Gold als Waffenmetall abfordern), weshalb mit dem Gold auch Söldner entlohnt werden konnten. Hier und nur hier kann von einem »inneren Wert« von Gold gesprochen werden, da mit Gold als Waffenmetall Erträge von unterworfenen Völkern abgepresst werden konnten. Als die Edelmetalle durch das Aufkommen der Schmelzofen-Technologie und die Verbesserung der metallurgischen Bearbeitung nach und nach ihres Waffencharakters beraubt wurden, fiel ihnen eine neue Rolle zu, wie sich aus den zu diesem Zeitpunkt existierenden schriftlichen Aufzeichnungen klar herauslesen lässt. Schnell erkannte man nämlich, dass fälschungssicheres Metall – auch wenn dieses sonst keinerlei Nutzwert mehr hat – nach wie vor dazu verwendet werden kann, das Machtmonopol zu sichern und auszubauen. Man benutzte es weiterhin zur Versorgung von Söldnerheeren, die ja unmöglich ständig über riesige Distanzen mit Nahrungsmittel beliefert werden konnten, und verwendete dabei einen simplen Mechanismus. Man setzte das Edelmetall in Parität zu einer bestimmten Menge Naturalien1, übergab den Söldnern (und dem gesamten Beamtenapparat, der das Machtzentrum verwaltete) eine bestimmte Menge des Metalls als unverderbliche Vorauszahlung und forderte dieses Edelmetall gleichzeitig als Abgabe von der unterworfenen Bevölkerung. So hatte das Volk die Wahl, entweder Naturalien als Abgabe an die Macht zu liefern oder diese Naturalien sofort an Söldner gegen das Edelmetall zu tauschen und statt Naturalien dieses an das Machtzentrum bzw. dessen Mittelsmänner abzuliefern. Mit der Implementierung des von Martin so genannten »Machtkreislaufs« verwandelte sich der Staat in eine riesige Kriegsmaschinerie. Sehr schön ist auch hier zu sehen, dass die Edelmetalle keinen inhärenten Wert besaßen, sondern ihnen dieser Wert durch den staatlichen Abgabenzwang erst verliehen wurde. Der Staat hätte hierfür ebenso Schnecken als Abgabe abfordern können, wie das tatsächlich beispielsweise bei Kauri-Schnecken auf der Isla do dinheiro vor der Küste Angolas im 10. Jh. der Fall war. Wichtig war nur eines: Was die jeweiligen Herrscher auch immer als Abgabenmittel auserkoren, es musste a) fälschungssicher sein und Fälschungsversuche mussten mit drakonischen Strafen geahndet werden und b) hauptsächlich im Besitz der Herrscher selbst sein. Die Kauri-Schnecken kursierten deshalb auch nicht einzeln, »sondern staatlich genormt in Hohlmaßen oder Schnüren, die vorgegebene Länge war in den Unterarm tätowiert bzw. umfasst den ganzen Unterarm«1. Ebenso hätten die Herrscher bunt bedruckte Zettel verwenden können. Wir sehen bereits hier, dass Geld immer und ausschließlich eine Recheneinheit zur Dokumentation von Schuldverhältnissen ist und nie einen Netto-Wert darstellt, der zum Tausch verwendet wird, wie das ganze Heerscharen an Ökonomen und Universitätsprofessoren in die Köpfe der Zeitungsleser und Studenten hämmern. Bis hierher könnten wir der ökonomischen Kaste wohlwollend historische Ignoranz vorwerfen. Besonders absurd wird es aber, wenn die unwiderlegbaren, realen und für jedermann leicht nachprüfbaren monetären Abläufe im klassischen Goldstandard und im heutigen Papiergeldsystem umschrieben und umschifft werden, als wären sie gar nicht existent. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird auch der Leser glasklar erkennen, dass wir es mit einer Pseudowissenschaft zu tun haben, die es, befeuert durch massive Lobbyarbeit neoklassischer Ökonomen und libertärer Anhänger der österreichischen Schule der Nationalökonomie, bis in die höchsten Ränge des Staates und den akademischen Betrieb geschafft hat. Sehen wir uns nun die nächsten Phasen der historischen Geldentstehung an, dann sind wir schon beinahe beim modernen Geldwesen angelangt.

      Nachdem der Staat eine fälschungssichere Recheneinheit als Abgabe festgelegt hatte, wurde diese zu Geld zur Bedienung der periodischen abgeforderten Abgabenschuld bzw. zum Schuldinhalt, auf den private Schuldkontrakte lauteten. Doch wie kam das Volk