Название | Ein Buch für Keinen |
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Автор произведения | Stefan Gruber |
Жанр | Афоризмы и цитаты |
Серия | |
Издательство | Афоризмы и цитаты |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347043282 |
Wo es kein Eigentum gibt, da gibt es auch keine Kredite, da Kredite eben immer durch Eigentum besichert sind. Und wo es keinen Kredit gibt, da gibt es auch kein Wirtschaften. Der Stamm produziert auf subsistenzstrategischer Basis, d.h. alle produzieren gemeinsam für alle – man spricht von einer Solidargemeinschaft. Gewirtschaftet wird dagegen nur in einem Machtsystem auf Basis von Recht, Eigentum und Haftung. Würde Stammesbruder A von Stammesbruder B ein Gut borgen und könnte es nicht mehr zurückgeben, so müsste B auf seine Forderung verzichten. Im Stamm herrscht blutsverwandtschaftliche Hilfspflicht. »Die gegenseitigen Hilfspflichten enden erst, wenn alle ohne Güter dastehen.«1 Während der Stamm seinen Bedarf gemeinschaftlich produziert, sind Individuen in der arbeitsteiligen Wirtschaft in der Eigentumsgesellschaft praktisch dazu gezwungen, Verträge mit anderen abzuschließen bzw. diese zu erfüllen, um zu überleben. Die Nichteinhaltung der Verträge führt zur Zwangsvollstreckung. Wir merken bereits jetzt, dass Staat, Eigentum, Geld, Zins und Wirtschaften auf irgendeine Weise ein unlösbares Geflecht bilden.
»Wo eine soziale Konstruktion der bürgerlichen Rechtsordnung fehlt, gibt es statt Eigentumsrechten nur Besitz, statt Vermögen nur Güter, statt Zins bestenfalls Mehrproduktion, statt Geld bestenfalls allgemeine Tauschmittel, statt Kapital nur Produktionsmittel, statt Kauf nur Tausch, statt Märkten nur Tauschplätze, statt Kredit nur Güterleihe, statt Arbeits-/ Einkommenslosigkeit nur Zeiten, in denen es nichts zu tun gibt usw.«2
Wie kam nun das Geld in die Welt? Martins Antwortet lautet: durch die Macht! Die Macht, d.h. der spätere Staat, dessen Entstehungsgeschichte wir ja bereits kennen, fordert in der ersten Phase Tribut vom unterworfenen Stamm, d.h. eine Abgabe (heute Steuer), um seine Macht zu sichern und das »Machterhaltungsmittel Waffe zu finanzieren«1. Diese Abgaben waren in grauer Vorzeit Naturalien (die thesauriert, d.h. nicht mehr verausgabt wurden). Ebenso wurde, je nach Kultur, Waffenmetall – also Kupfer, Zinn (zu Bronze) und später Eisen – zur Abgabe erklärt (zum Waffenmetall zählt aus dem historischen Blickwinkel auch Gold, siehe Martins Gewaltmetall Gold2). Daher wurde erst durch den Abgabenzwang die Abgabe selbst zu Geld. Zuvor gab es kein Geld. Ob dieses Geld Naturalien waren oder später Metall zur Fertigung von Waffen zum Machterhalt und Machtausbau der Herrscher oder heute bunt bedruckte Papierzettel, ist völlig ohne Belang. Erst nachdem die Macht eine Abgabe festlegte, die zu einem Termin zu leisten war, wurde diese Abgabe zum nachgefragten Gut – zu Geld und damit zum Maßstab für die Bewertung aller anderen Güter. Daher ergibt sich der Wert des Geldes durch die Sanktion bei Nichterfüllung der Zwangsabgabe zum Termin. In früheren Zeiten war dies die Schuldknechtschaft, heute der Freiheitsentzug durch staatliche Gerichte. Später startete die Macht, zur Versorgung der Söldnerheere und des Staatsapparats, den Machtkreislauf, indem die Naturalabgabe in Parität zu einer unverderblichen Sache gesetzt wurde (z.B. 180 Gerstenkörner = 1 Schekel Silber in Mesopotamien), um die Herrschaft weiter auszubauen. Die Söldner und Beamten wiederum tauschten dieses Abgabentilgungsmittel (ergo Geld) an die hiesige Bevölkerung gegen Waren und Dienstleistungen, die das Geld (in unserem Beispiel: Silber) benötigten, um ihre monatlichen Tributzahlungen an das Gewaltmonopol leisten zu können. Durch den Rückfluss des Tributs (Redistribution) als terminliche Abgabe an die Macht wurde selbige sukzessive ausgeweitet. Dies ist heute nicht anders, als es vor mehr als 4000 Jahren in Mesopotamien war, wo die erzwungenen Abgaben – wie Texte aus dem 8./7. Jh. v. Chr. zeigen, deren Ursprung am Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. verortet werden kann – theologisch gerechtfertigt wurden:
»Die Götter haben mit der Schöpfung einen Lebensraum geschaffen, in dem sie zunächst allein existierten. Später wurde zu ihrer Arbeitsentlastung der Mensch erschaffen […] Nach der Flut war der Mensch, wie der Text schildert, völlig ungeeignet, ein brauchbarer Mitarbeiter für die Götter auf Erden zu sein. Dazu bedurfte es der Leitung durch einen Regenten, eine lenkende Autorität. Dieser sollte den Menschen helfen, der Natur so viel Ertrag abzuringen, wie er für seinen eigenen Unterhalt und darüber hinaus für die Versorgung der Götter brauchte.«3
An dieser Stelle pausieren wir vorerst, denn ich höre bereits den einen oder anderen Leser laut aufschreien: Geld soll niemals ein Tauschmittel gewesen sein, sondern eine Steuerforderung, d.h. eine Schuld?! Was ist mit dem sogenannten »Primitivgeld«, wie Muschelgeld, gelochten Steinen, Zahngeld usw.?
In allen egalitären Stämmen außerhalb und unberührt von einer abgabenfordernden Zentralmacht handelt es sich ausnahmslos um soziale Buchführungssysteme, denen jeder monetäre Charakter abgeht. Das sogenannte »Primitivgeld« hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Phänomen Geld gemein, bis auf eine Sache: Es repräsentiert ein Schuldverhältnis, allerdings ein soziales Schuldverhältnis, kein monetäres. Steht beispielsweise eine Heirat bevor, so hat in manchen patrilinearen/patrilokalen Stämmen die Familie des Bewerbers der Familie der Braut einen Brautpreis in Form der jeweiligen sozialen »Währung« zu übergeben. Im Normalfall handelt es sich dabei um seltene, oder sakrale, oder aufwendig herzustellende Waren. Übergibt also die Familie des Bräutigams eine bestimmte Menge ganz spezifischer Muscheln an die Familie der Braut, so sind diese Muscheln kein Geld. Die Familie der Braut kann damit nirgendwo einkaufen gehen. Sie kann mit diesen Muscheln keine Waren oder Dienstleistungen erwerben, weder bei der Familie des Bräutigams noch in irgendeinem anderen Stamm. Ebensowenig wurde mit diesen Muscheln für die Braut bezahlt. Die Muscheln verbleiben bei der Familie der Braut und dokumentieren nichts anderes als eine soziale Forderung: Der Familie der Braut fehlt nun eine Arbeitskraft (die noch dazu fähig ist, neues Leben zu gebären). Die Familie des Bräutigams erkennt diese Schuld an und dokumentiert sie mit der Übergabe der Muscheln. Die Schuld bleibt so lange aufrecht, bis die Familie des Bräutigams ihrerseits eine Tochter an die Familie der Braut übergibt. Dann erst erlischt die Schuld. Auf diese Weise organisiert ein Stamm den sozialen Ausgleich. Gleiches gilt beim sogenannten Blutgeld, das oft in derselben Währung, ja oft sogar in derselben Menge als Schuld verbucht wird. Hier erhält die Familie eines Mordopfers von der Familie des Mörders die entsprechende soziale Währung, die einerseits Reue symbolisiert und Vergebung erbittet und andererseits ein dauerhaftes Schuldverhältnis dokumentiert: Die Familie des Mörders schuldet der Familie des Ermordeten ein Menschenleben. Diese Schuld erlischt entweder nie oder erst, wenn die Trauernden ihrerseits einen Rachemord an der Familie des Täters begehen. In manchen Stämmen ist es auch möglich, den Mord zu sühnen, indem die Familie des Täters der Familie des Opfers eine Tochter übergibt, die dann beispielsweise mit dem Bruder des Opfers verheiratet wird und ihm Kinder gebärt.
Die soziale Währung spielt auch eine große Rolle bei der Respektserweisung (sie verleiht Prestige, aber nicht im materiellen Sinne), beim Aushandeln von Friedensabkommen usw. In manchen Stämmen kann die soziale Währung, meist in Notlagen, auch dazu verwendet werden materielle Schuldverhältnisse mit dem Nachbarstamm einzugehen, allerdings wird mit dieser Währung nichts gekauft. Wenn Stamm A beispielsweise Vieh benötigt, kann er bei einem Nachbarstamm B vorsprechen. Kann dieser Vieh entbehren, hinterlegt Stamm A dafür eine definierte Menge der sozialen Währung. Mit der Übergabe dieser »Währung« erkennt Stamm A an, dass er Stamm B das Vieh schuldet. Er kann seine Schuld auch mit etwas Gleichwertigem tilgen, wenn Stamm B es als gleichwertig anerkennt, aber natürlich niemals mit Geld. Die soziale Währung ist nicht umlauffähig. Sie hat auch keinen Marktwert oder eine Kaufkraft. Alles, was diese »Währung« aussagt, ist: Stamm A schuldet mir x Stück Vieh. Hätte Stamm B einen Notizblock, einen Stift und ein Schriftsystem könnte er auch einfach notieren, dass ihm Stamm A Vieh schuldet. Die Übergabe der »Währung« ist damit nichts anderes als eine Buchführung. Geld oder universelle Tauschmittel benutzen Stämme ausschließlich dann, wenn Kontakt zu einem Machtsystem besteht. Wenn Stammesgemeinschaften begreifen, dass sie mit Gold oder Dollarscheinen echte Nahrung außerhalb ihrer Stammesstruktur bekommen, dann werden sie diese Währungen oder Tauschmittel auch verwenden bzw. annehmen. Auch der umgekehrte Fall ist dokumentiert: So wurde die soziale Währung der Indigenen, die sogenannten »Wampum-Gürtel«, nach der Eroberung der Neuen Welt zum nachgefragten Kunsthandwerk durch die Europäer, was so weit ging, dass diese in New England von 1637 bis 1661 zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt und in ein fixes Kursverhältnis zum Penny gesetzt wurden. Damit degradierte auch bei den Indigenen die ursprünglich sakral aufgeladene Währung für den sozialen Ausgleich zum profanen Zahlungsmittel