Название | Münchner Gsindl |
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Автор произведения | Martin Arz |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940839725 |
»Was? Die Marienklause? Kennst du die nicht? Warst du noch nie hier?«
»Nein, wir kommen selten weiter als bis zum Flaucher, wenn wir an der Isar sind, oder mal nach Großhesselohe. Halt immer auf der anderen Isarseite.«
»Die Marienklause hat mal ein Schleusenmeister selbst gebaut, soweit ich weiß«, erklärte Pfeffer. »Aus Dankbarkeit, dass ihn die Muttergottes zigmal vor dem Ertrinken gerettet hat, hat er die Kapelle und den Kreuzweg mit vierzehn Stationen errichtet. Das hier ist eine Stelle an der Isar, die saugefährlich ist wegen der Strömungen. Und früher sind hier wohl viele Flößer ertrunken. Die Legende sagt, besser gesagt, meine Oma hat uns das erzählt, dass hier die Isarnixe hockte und die Floßknechte betörte. Wer ihren Gesang hörte, musste bei der nächsten Floßfahrt sterben. Und bei Hochwasser hat sich die Isarnixe dann zusätzlich einen Spaß daraus gemacht, nächtliche Wanderer mit Irrlichtern zu foppen und in die reißenden Fluten zu locken. Da, siehst du, unter der kleinen Holzkapelle entspringt eine Quelle, die soll angeblich Heilkräfte haben.«
»Was du alles so weißt«, sagte Bella ganz unironisch.
»Solche Geschichten weiß ich jede Menge von meiner Oma. Die war die einzig erträgliche Person in meiner Familie und die Einzige, der man zuhören konnte.«
3
Becky öffnete die Balkontür. Sofort fluteten Lärm und Feinstaub die Küche. Die einzige Möglichkeit, in München eine bezahlbare Wohnung zu bekommen, bestand darin, Mängel zu ignorieren. Dass zum Beispiel der Mittlere Ring direkt vor der Tür lag, zwar mit Schalldämmung versehen, aber das brachte kaum etwas, außer hässliche Lamellen als Aussicht. Hinter dem Ring lag dann auch noch die Großbaustelle des ehemaligen Osram-Geländes. Wo früher Glühbirnen gefertigt wurden, dann einige Jahre eine Asylunterkunft existierte, wurden nun neue Wohnungen hochgezogen. »Living Isar« nannte sich das Projekt. Klang toll, klang teuer. Luxuswohnungen statt Fabrikhallen. So wie man das eben in München machte.
Becky konnte den Lärm inzwischen gut ausblenden, ebenso die nicht besonders frische Luft. Sie reckte ihr Gesicht zu den Sonnenstrahlen, die den Balkon bereits erreichten. Ihren Kaffeebecher hielt sie mit beiden Händen fest umklammert, um die Finger zu wärmen. Nur um an der Zigarette zu ziehen, ließ sie ab und an mit der linken Hand los. Sie überlegte, ob sie zum Bäcker am Candidplatz vorgehen sollte. Croissants wären jetzt lecker.
Becky hörte trotz des Lärmpegels, wie Lucky in die Küche schlurfte und sich schniefend Kaffee einschenkte. Sie ging in die Küche zurück und schloss die Balkontür.
»Moinsen«, brummte Lucky und schniefte erneut.
»Ach, Bussimausi.« Becky umarmte ihren Mitbewohner. »Immer noch unglücklich? Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Das ist jetzt auch schon über eine Woche her …«
»Ich weiß«, antwortete Lucky weinerlich. »Hatte einen Flashback. Scheiß Kerle. Scheiß-fuck alte Säcke.«
»So ists recht«, bekräftigte Becky. »Und ich wiederhole mich ja gerne: Such dir endlich mal einen Kerl in deinem Alter, und nicht immer einen scheintoten Sugardaddy. Die wollen nur Frischfleisch. Die wollen nur ficken.«
»Das will ich doch auch«, schniefte Lucky.
»Nein, du willst die große Liebe mit Engelschören und Glitter und dem ganzen Trallala. Und dann auch noch ein bisschen Ficken. Wie viele alte Säcke habe ich jetzt schon mit dir mitgemacht? Zehn? Zwanzig?«
»Nie im Leben!«, rief Lucky scheinempört. »Viel mehr!« Er kicherte unter Tränen. »Ich dachte halt, dass Rudi anders ist. Dass er, ausgerechnet er, dann mit einem dahergelaufenen Stricher … Bin ich nicht genug? Bin ich so mies im Bett, dass man mich durch einen Stricher ersetzen muss?«
»Ach, Lucky-Bussimausi.« Becky drückte ihren Mitbewohner an ihre Brust. Lucky hieß eigentlich Luciano. Er hieß nicht nur wie ein echter Italiener, er sah auch so rassig aus. Auf Fotos wirkte er wie ein Italo-Popstar. Doch Lucky war klein. Sehr klein. Sein Gesicht verschwand zwischen Beckys Brüsten, weil er nur eins siebenundfünfzig groß war. So groß wie Salma Hayek oder Eva Longoria und nur einen Zentimeter kleiner als Madonna oder Prince. Und wie Prince hatte Lucky die zarte Figur eines Knaben. Um maskuliner zu wirken, und vor allem, um nicht in jeder Kneipe nach seinem Ausweis gefragt zu werden, trug er einen gepflegten kurzen Bart und häufig Hemden, die er so weit aufknöpfte, dass man seine Brustbehaarung sehen konnte. »Du bist halt ein süßer Bub, der leider auf diese Pädos anziehend wirkt.«
Luckys Smartphone machte »pling«.
»Echt jetzt?« Becky schob ihren Mitbewohner von sich weg und schüttelte den roten Lockenkopf. Ihr zartes porzellanenes Gesicht, das für gewöhnlich etwas geradezu Madonnenhaftes hatte, verdüsterte sich. Sie wusste, was das Pling bedeutete. Es war das Push-Benachrichtigungs-Pling von Luckys favorisierter Dating-App. »Dein Ernst? Du heulst mir hier die Ohren voll wegen diesem ollen Rudi, und dabei hast du schon längst wieder neue alte Säcke am Start?«
»Ja, mei.« Lucky griff sein Handy und wischte darauf herum. »Ich bin ja wieder auf dem Markt. Ach, der sieht eigentlich ganz nett aus …«
»Wie alt?«
»Laut Profil fünfundvierzig. Wahrscheinlich also fünfundfünfzig.«
»Könnte dein Vater sein«, stöhnte Becky.
»Mein Vater ist zweiundvierzig!«
»Und? Hat er Schwanzpics dabei?«
»Wer nicht.« Lucky schüttete sich Milch in ein Glas, häufte dann drei Löffel Kaba-Erdbeermilchpulver hinein und rührte um, bis die Milch gleichmäßig rosa gefärbt war. Mit einem Strohhalm nahm er den ersten großen Schluck. Er stand auf Erdbeermilch und schwor darauf, dass sie durch einen Strohhalm noch viel besser schmeckte. Lucky lümmelte sich auf die Eckbank in der Küche, während er durch die Bilder scrollte – abwechselnd Kaffee schlürfend oder Erdbeermilch saugend. »Nicht schlecht.«
»Zeig.« Becky nahm ihm das Handy weg. »Boah, warum seid ihr Kerle immer so schwanzfixiert?«
»Da sieht man gleich, was einen erwartet.«
»Das ist ja widerlich … Wobei … Der sieht ganz gut aus …«
»Was ist eigentlich mit Polly?«, fragte Lucky und pulte zwischen seinen Zehen. »Ich hab schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen.«
»Ach was«, winkte Becky ab. »Die wird sich schon wieder einkriegen.«
»Wir hätten sie nicht einfach zurücklassen sollen.«
»Polly ist ein erwachsenes Mädchen. Die wird sich schon noch amüsiert haben. Außerdem hat sie ja so geheimnisvoll getan …« Es klingelte. Becky gab Lucky sein Telefon zurück und schielte zur Küchenuhr. Kurz nach zehn. »Um die Zeit?«
»Mach halt nicht auf«, brummelte Lucky, während er auf dem Display herumtippte.
»Wahrscheinlich der Paketbote.«
Als sie aufmachte, stürmte ein Mann an ihr vorbei in die Wohnung. Er war etwas zu jugendlich für sein Alter gekleidet, Sneaker, Designerjeans mit Löchern, knallgelbes Polohemd, Sommersakko; alles schrie »Marke«, »Maximilianstraße« und »teuer«. Seine schulterlangen Haare waren nach hinten gegelt.
»Wo ist Polina?« rief er. »Wo ist ihr Zimmer?«
»Das geht Sie wohl gar nichts an«, antwortete Becky und stellte sich ihm breitbeinig, mit in die Hüften gestemmten Händen in den Weg.
»Hören Sie«, der Mann schloss die Augen und atmete tief ein. Als er sprach, öffnete er die Augen und sah Becky durchdringend an: »Ich bin Herbert Förster. Polina arbeitet für uns als Kindermädchen.«
»Ach, Sie sind das!« Becky war wirklich erfreut, ihr zartes Madonnengesicht leuchtete. »Schön. Lernen wir Sie auch mal …«
»Ich bin hier nicht, um jemanden kennenzulernen.« Er blickte in die Küche.