Münchner Gsindl. Martin Arz

Читать онлайн.
Название Münchner Gsindl
Автор произведения Martin Arz
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783940839725



Скачать книгу

sie in den frühen Morgenstunden nach Hause kamen, bemerkten sie zunächst gar nicht, was passiert war. Als Erster stand Lucky auf. Den Schlaf aus den Augen reibend, trabte er ins Bad, um zu bieseln. Dabei fiel ihm auf, dass die Tür zu Polinas Zimmer einen winzigen Spalt offen stand. Das Polizeisiegel war durchtrennt worden. Lucky bekam eine Gänsehaut und war nun wacher als wach.

      »Becky!«, schrie er und stürzte ins Zimmer seiner Mitbewohnerin.

      »Wassn?« Becky versteckte ihren Kopf unter dem Kissen. »Hau ab, Lucky, und lass mich noch schlafen.«

      »Becky!« Lucky riss ihr die Bettdecke weg. »Bei uns ist eingebrochen worden!«

      Zwanzig Minuten später saßen Lucky und Becky in der Küche, rauchten Kette und tranken entweder Kaffee (Becky) oder abwechselnd Kaffee und Erdbeermilch (Lucky). Kriminalrat Pfeffer und Hauptkommissarin Hemberger kamen in die Küche, um der Spurensicherung in Polinas Zimmer nicht im Weg zu stehen.

      »Gut, dass Sie uns gleich angerufen haben«, sagte Pfeffer. »Und Sie haben nichts angefasst?«

      Lucky und Becky schüttelten unisono den Kopf. »Die waren auch hier in der Küche«, sagte Becky dann. »Da im Regal haben sie alle Dosen und Gläser aufgemacht.«

      »Und im Bad auch«, fügte Lucky hinzu. »Und die waren bei mir im Zimmer! Während ich geschlafen habe.«

      »Woher willst du das denn wissen?«

      »Meine asiatische Winkekatze stand nicht so da, wie ich sie hinstelle«, erklärte er.

      »Du bist besoffen heute Nacht dagegengekommen …«

      »Nein. Ich bin mir sicher. Sie steht immer gleich!«

      »Scheiße, ob das das Kanakenpack von der Brücke war?«, sagte ­Becky und umschlang ihre Knie mit den Armen. Ihre roten Locken fielen halb vor ihr zartes Gesicht. Auf Nachfrage erklärte sie, dass sich direkt gegenüber von ihrem Balkon drei oder vier (so genau wusste sie das nicht) Obdachlose eingenistet hatten. Vor dem Haus begann die Candidbrücke, die den Mittleren Ring hinauf auf den Giesinger Berg zur Tegernseer Landstraße führte. Unter einem Teil der Brücke befand sich ein großer Parkplatz. Die Brückensäulen waren auf Wunsch der Stadt von Streetartkünstlern bemalt worden, um dem unschönen Ort ein wenig Farbe zu geben. Hier standen immer auch einige alte Wohnmobile oder stillgelegte Transporter, in denen Menschen lebten. Wer es nicht einmal zu einem Wohnmobil gebracht hatte, schlief ganz am Anfang der Brücke zwischen Autos und Mauer. Pappkartons und Deckenberge zeugten von ihrer Anwesenheit. »Von denen sind mal zwei in die Wohnung unter uns eingestiegen. Oder wollten das. Das habe ich von oben gesehen«, fuhr Becky fort. »Die sind die Regenrinne hochgeklettert. Ich hab die sofort angeschrien, und dann sind sie wieder runtergesprungen und weggerannt. Seitdem lassen wir die Balkontür nicht mehr auf, wenn niemand auf dem Balkon ist. Wer weiß …«

      »Wurde die Balkontür aufgebrochen?«, fragte Max Pfeffer.

      Lucky deutete wortlos hin. Sie war unversehrt.

      »Eben«, sagte Pfeffer. »Es gibt nirgendwo Einbruchsspuren. Das bedeutet, dass der Täter einen Schlüssel hatte. Ich vermute stark, dass es Polinas Schlüssel ist.«

      »Wir müssen sofort das Schloss austauschen«, flüsterte Becky.

      »Es sieht ganz danach aus, dass der oder die Täter gezielt in Polinas Sachen nach etwas gesucht und vielleicht auch gefunden haben. Wer weiß. Ihr Schmuck ist jedenfalls noch da«, sagte Pfeffer. »Was könnten die Täter Ihrer Meinung nach gesucht haben?«

      Becky und Lucky zuckten gleichzeitig die Schultern. Während ­Lucky sich mit eingezogenem Kopf seiner Erdbeermilch hingab, schob Becky ein Blatt Papier über den Tisch. »Hier«, sagte sie, »alle Kontakte von Polly, die uns eingefallen sind. Von manchen haben wir die Telefonnummern, von manchen die Adressen oder auch nur ein Insta-Profil. Keine Ahnung.«

      Pfeffer nahm den Zettel und las. Die Familie Förster stand darauf, der Gärtner Beppo, der Nachbarsjunge Mo sowie noch weitere Kurz- oder Spitznamen.

      »Der Dennis«, sagte Becky, beugte sich vor und deutete auf den Zettel, »der war ihr Freund letztes Jahr im Herbst. Ein Wiesn-Flirt. Das ging nur einen Monat. Und hier der Robbie, der war danach mal mit ihr kurz zusammen. Den kenn ich aber nicht, den hat sie nie mit hergebracht. Der hat sie, glaube ich, dann genervt, weil er so super anhänglich war. Von dem weiß ich leider nur das Insta-Profil.«

      »Danke Ihnen, das wird uns hoffentlich weiterhelfen.« Pfeffer steckte den Zettel ein. »Sagt Ihnen zufällig ›Pops23‹ etwas?«

      Beide schüttelten den Kopf.

      »Eins noch«, Becky sah angestrengt auf die Tischplatte und holte Luft. »Also, es geht hier um Mord, darum muss ich es Ihnen sagen, oder? Also, dieser Mo, der hat der Polly Drogen verkauft.«

      »Wie bitte?«, entfuhr es Pfeffer.

      »Ja, er hat mich neulich vor dem Haus der Försters angesprochen und gesagt, dass ich Polly ausrichten soll, dass er neuen Stoff dahat. Da hab ich ihm gesagt, dass die Polly tot ist, und er hat ganz schön das Zittern bekommen.«

      »Damit haben Sie uns sehr geholfen«, sagte Bella Hemberger.

      Als die beiden Polizeibeamten die Wohnung verlassen hatten, meinte Bella nur: »Was für ein Früchtchen!« In der Wohnung zündete sich Lucky eine neue Zigarette an und flüsterte, damit es die Spurensicherer nebenan nicht hören konnten: »Musste das sein? Den hätten wir doch gleich für uns … Weißt schon.«

      »Ja, hab ich auch gedacht.« Becky schlürfte geräuschvoll vom Kaffee. »Aber das wird hier eine Nummer zu groß, Lucky. Polly ist brutal ermordet worden, falls es dir nicht in deinen süßen Erdbeermilchschädel geht. Die haben hier eingebrochen. Hier bei uns! Das fühlt sich für mich alles echt scheiße an. Und da habe ich auch kein Problem damit, mal einen kleinen Dealer zu opfern.«

      17

      »Dann auf zu Mister Green Eyes. Hamed Bakhtari.« Pfeffer schnallte sich an. »Ich habe vorhin mit deinem heimlichen Schwarm Beppo, dem Gärtner, telefoniert. Der hat mir gesagt, dass Hamed in der Unterkunft in der Blumen-, Ecke Pestalozzistraße lebt.«

      »Das ist eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge«, sagte Bella Hemberger. »Auf den Fotos sah der mir nicht mehr minderjährig aus.« Sie schnallte sich an. Pfeffer startete den Wagen. Er hatte Musik der kapverdischen Sängerin Cesária Évora eingelegt. Musikalische Erinnerungen an die Zeit mit Tim. Es machte ihn nicht mehr traurig, die Musik zu hören, er fühlte sich dadurch mit Tim verbunden.

      »Der oder die Täter haben was gesucht?« Pfeffer stellte die rhetorische Frage und beantwortete sie gleich selbst. »Unseren Silberreif von Elvedin Saqqaf.«

      »Sieht ganz danach aus«, bestätigte Bella. »Was ist nur daran? Wertvoll ist er nicht, und er ist auch nicht mit Drogen oder Diamanten oder Mikrochips gefüllt.«

      Das blaue Gebäude an der Pestalozzistraße, Ecke Altstadtring war ein dreigeschossiger Behelfsbau. Man hatte vor einigen Jahren ein altes marodes Mietshaus abgerissen und den Behelfsbau zur Zwischennutzung hochgezogen, bis irgendwann der richtige Neubau angegangen werden würde. Damals ein neues Konzept, dass die Stadt Flüchtlinge nicht mehr in Randgebieten unterbrachte, sondern mitten in der Innenstadt. Die Jungs hier teilten sich zu zweit die einfach eingerichteten Zimmer. Schon im Eingangsbereich müffelte es nach Käsefüßen und Jungsumkleide.

      »Hamed Bakhtari.« Die Hausleiterin nickte. Sie trug ihre braunen Haare asymmetrisch kurz, war kräftig gebaut, hatte große Hände, die garantiert zupacken konnten, und besaß die roten Bäckchen einer Bilderbuchlandfrau. Sie sah aus wie eine Erna – und hieß tatsächlich so. Erna Grieshuber. Sie saß mit den Kriminalbeamten in der Gemeinschaftsküche der Unterkunft. »Klar. An den kann ich mich gut erinnern. War ein netter Junge.« Sie reichte Bella Hemberger das Foto aus dem försterschen Garten zurück.

      »War?«, fragte Bella Hemberger.

      »Ja, war. Er ist weg.«

      »Und wohin?«

      »Weg.« Erna