Leiser Schrei. Slafa Kafi

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Название Leiser Schrei
Автор произведения Slafa Kafi
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347022867



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      Das letzte Mal, als wir alle zusammen versammelt waren, war am ersten Tag des Ramadanfestes. Seitdem haben wir uns nur einzeln treffen können. Ich finde es sehr schade, dass ich meine Dorf-Großeltern nicht mehr so oft wie früher sehen kann. Bei meinen anderen Großeltern bin ich aber sehr oft, auch wenn ich es nie erwähne.

      „Nicht mal durch eine Absprache hätte es ein besseres Timing gegeben“, ruft uns mein Vater entgegen, denn als wir hereinkommen, kommt meine Mutter mit der Teekanne zum Tisch.

      Es gibt ein ganz traditionelles, simples Abendessen, bestehend aus Joghurt, Zait u Zaatar, Spiegeleiern, Sesampasta, Oliven, Gemüse, Käse und wie erwähnt Schwarztee.

      Wir verbringen noch einige Zeit am Esstisch, aber dann geht es für mich auch schon ins Bett.

      1412.11.2010

      Durch die Sonne werde ich heute geweckt. Wie ich das vermisst habe. Ich schaue auf die Uhr an der Wand: viertel nach sechs, zeigt sie.

      Ich bleibe nicht lang im Bett und gehe direkt nach draußen. Es ist kälter, als ich gedacht habe, deshalb drehe ich mich wieder um und gehe in mein Zimmer, um eine Jacke zu holen. Mit meinem Zimmer meine ich das Zimmer meiner Tante, in dem ich immer schlafe, wenn ich hier bin.

      Als ich wieder warm angezogen nach draußen gehe, laufe ich zu den Hühnern. Ich setze mich für eine Weile hin und beobachte sie einfach nur.

      Nach einer Weile stehe ich wieder auf und gehe zu meiner Schaukel.

      Es ist zwar kalt, dank der Jacke ist es aber angenehm geworden.

      Ich setze mich auf das Brett und bringe es in Bewegung. Es ist wirklich schön hier.

      Alles ist ruhig, die Luft ist viel sauberer als in Damaskus, es ist kleiner, alle kennen sich. Ich bin sehr, sehr gerne hier, trotzdem würde ich mich immer für Damaskus entscheiden.

      Ich bin dabei versunken, über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Stadt und Land nachzudenken, dass ich gar nicht merke, dass mein Opa sich neben meine Schaukel gesetzt hat.

      Eine Weile lauschen wir nur den Geräuschen der Tiere, bis irgendwann mein Opa anfängt zu lachen. Ich schaue ihn verwundert an.

      „Soll ich dir eine Geschichte erzählen?“, fragt er mich, immer noch lachend. Ich nicke und setze mich direkt zu ihm ins Gras. Klar möchte ich das. Einer der Gründe, warum ich mich immer riesig auf die Besuche hierher freue, sind die Geschichten von meinem Opa. Ich bin sehr gespannt auf die Heutige.

      „Damals hat deine Oma mit ihren Eltern dort gewohnt“, beginnt er und zeigt auf das Haus.

      „Meine Militärzeit habe ich sehr weit entfernt von hier verbracht, sodass ich nur bei längeren Ferien nach Hause kommen konnte. Wenn ich mal zu Besuch war, kamen mich dann natürlich alle besuchen. Es gab aber immer einen Besuch, auf den ich jedes Mal ganz gespannt wartete. Kannst du dir vorstellen, welchen Besuch ich meine?“, fragt er.

      Ich muss nicht überlegen. „Den von Oma und ihren Eltern?“, antworte ich. „Eigentlich auf den deiner Oma, da sie aber nur mit ihnen kam, musste ich mich automatisch auch auf sie freuen. Ich vermisste sie jedes Mal so unglaublich, sodass ich jeden Morgen extra früh aufwachte und mich genau an diese Stelle setzte, um auf sie zu warten, bis sie aufwachte. Von hier hat man die beste Aussicht auf ihr früheres Zimmer. Meine Eltern hatten es natürlich schon verstanden, denn ich war ein Langschläfer und es war sehr komisch, dass ich bereits um sieben Uhr oder sogar früher draußen im Gras saß. Und seitdem wache ich immer früh auf“, erzählt er mit einem süßen Blick.

      „Ist sie auch früh aufgewacht oder musstest du umsonst warten?“, frage ich neugierig.

      Er muss lachen. „Alles war umsonst. Sie hat immer bis mittags geschlafen und bis sie wach war, war auch der Rest wach. Mein Vater hat mich dann irgendwann darauf angesprochen und eine Weile später fand unsere Verlobung statt“, sagt er noch zum Abschluss.

      Jede seiner Geschichten übertrifft die andere.

      „Seit wann seid ihr jetzt verheiratet?“ Er lächelt breiter als die ganzen Male davor.

      „Seit 39 Jahren“, sagt er. „Und jetzt auf geht’s, wir machen Frühstück, bis die Schlafmützen wach sind“, fügt er hinzu.

      Wir stehen auf, holen erstmal frische Eier und gehen dann in die Küche. Unser Frühstück und Abendessen ist fast das Gleiche, außer dass es einige Gerichte mehr gibt, die man nur zum Frühstück macht.

      Heute gibt es zu den Speisen von gestern noch Mamunniey, das kommt ursprünglich aus Aleppo und ist relativ süß.

      Es besteht aus Grieß, Zucker, Wasser und noch ein paar anderen Zutaten. Kurz bevor wir fertig sind, wacht einer nach dem anderen auf, meine Großmutter als Letzte.

      Als sie im Wohnzimmer auftaucht, zwinkert mein Opa mir zu.

      „Manche Dinge verändern sich einfach nie, stimmt’s?“, sagt er.

      „Definitiv. Wird wahrscheinlich auch so bleiben.“

      Wir lachen beide und der Rest schaut uns nur verwirrt an.

      Wir bleiben noch für eine Weile am Tisch, bis meine Mama und ich aufstehen, um unsere Sachen für morgen herzurichten. Wir werden morgen früh losfahren müssen, denn mein Vater muss abends im Restaurant anwesend sein.

      Am Abend machen wir noch etwas sehr Schönes: wir schauen die Hochzeit von meinen Eltern an. Bei uns gibt es ein Kamerateam, das die komplette Hochzeitsfeier filmt. Es ist so krass, wie alle aussehen. Auch Yails Eltern sehen sehr viel anders aus. Damals gab es Kristina schon, aber sie ist noch sehr klein.

      „Sie war damals ungefähr vier Monate alt“, erzählt mein Vater. Ich habe dieses Video schon mehrmals gesehen, aber das von der Verlobungsfeier noch gar nicht.

      Als ich danach frage, fangen alle zu lachen an.

      „Das war eine reine Katastrophe. K-A-T-A-S-T-R-O-P-H-E!“, sagt meine Mutter.

      Na toll, das macht mich natürlich nur noch neugieriger.

      „Wir schauen es an, wenn du das nächste Mal alleine hier bist, okay?“, flüstert mir mein Opa zu.

      Ich nicke. Cool, nur noch sieben Tage, also 168 Stunden, dann sehe ich die K-A-T-A-S-T-R-O-P-H-E. Hoffentlich werde ich die Zeit verkraften.

      1513.11.2010

      Es ist mittlerweile schon Mittag und wir sind wieder zu Hause. Ich bin noch unglaublich müde, deshalb lege ich mich nach dem Duschen wieder ins Bett.

      Mein Vater entscheidet sich, jetzt schon ins Restaurant zu fahren, um Onkel Phillip zu helfen. Heute ist erstens sehr viel los und zweitens soll die neu bestellte Ware heute ankommen und der Papierkram muss eben erledigt werden.

      Meine Mutter wollte die Wäsche waschen und hat sich, glaube ich, auch ins Bett gelegt.

      An diesem Tag mache ich auch nicht wirklich etwas Sinnvolles mehr. Am Abend kommen noch Yail und Tante Maria vorbei, aber sonst passiert nichts.

      Ich freue mich aber sehr auf die kommende Woche, die morgen starten wird.

      Erstens, weil wir keine Schule haben, zweitens, weil das Fest sich nähert und es wieder eine große Versammlung der Familie geben wird, und drittens, weil ich in 6 Tagen, also in ungefähr 140 Stunden, endlich erfahren werde, warum meine Eltern ihre Verlobungsfeier als Katastrophe bezeichnen.

      K-A-T-A-S-T-R-O-P-H-E, meine ich natürlich.

      1616.11.2010

      Es ist 6: 55 Uhr, als ich geweckt werde. Unser heutiger Tag ist durchgeplant. Nachdem ich die ganzen traditionellen Schritte erledigt habe, ziehe ich mich sehr schnell um, damit ich keine Zeit verliere.

      Ich werde nämlich nicht so viel mit meinen Freundinnen laufen können, da wir eben am Nachmittag zu meinen Dorf-Großeltern fahren werden.

      „Halt Yasmin! Frühstücken!“, höre ich meine Mutter rufen. Fast hätte ich es geschafft, aber eben nur fast. Ich drehe mich