Der kleine Drache Feuerspeitikus. Vera Kleiner

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Название Der kleine Drache Feuerspeitikus
Автор произведения Vera Kleiner
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783347072206



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von der Seite schräg runter zur Hüfte zog.

      «Eingeschickt hat man also nichts?» Er griff nochmals zum Brief und warf einen Blick hinein.

      «Und wie hat die Sache genau ausgesehen – ich meine: vor der Operation?» Ich schilderte ihm das Geschwür. Dessen Farbe wollte er wissen. Ich erinnerte mich noch daran.

      «Bestrahlen müssen wir auf jeden Fall», sagte er; diktierte dem Pfleger ein paar Fremdwörter und Zahlen.

      «Am besten, wir beginnen schon heute. Im ganzen ist mit zehn bis fünfzehn Bestrahlungen zu rechnen. Für den Anfang dreimal pro Woche. Und nächsten Mittwoch kommen Sie wieder zu mir: Wir entnehmen eine Gewebeprobe. Das wird nicht weh tun. Nur ein Stich. Um genau festzustellen, was es gewesen ist. Je nachdem ändern wir dann das Programm noch ab.»

      Er hielt verschiedene Sperrholzschablonen an den Rücken, probierte Kombinationen aus. Fuhr mit einem schwarzen Stift um die Schablonen herum, markierte Eckpunkte. «Zuerst hier – dann hier.» Erneut wurden dem Pfleger Fremdwörter, Zahlen diktiert.

      «Also, wir sehen uns am nächsten Mittwoch wieder. Um drei. Die Zeiten fürs Bestrahlen machen Sie mit der Schwester ab.»

      Während der ganzen Konsultation hatte er nur zu mir gesprochen.

      Jetzt waren wir entlassen.

      Er streckte dem Vater die Hand hin.

      «Auf Wiedersehen», sagte der Vater. «Und danke noch.»

      «Nichts zu danken.»

      Der Pfleger führte uns zur Kabine zurück. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugezogen, sagte der Vater: «Der spinnt ja – dreimal in der Woche hierherkommen!»

      Er hatte Mühe, mit dem Arm in den Hemdsärmel zu fahren. Ärgergefuchtel.

      Die Kabine schien jetzt noch enger als vorher zu sein. «Da verlier’ ich jedesmal einen vollen halben Tag. Was denkt sich der eigentlich!»

      Er schimpfte vor sich hin.

      Das Bestrahlen – auf der anderen Seite der Röntgenabteilung – war rasch erledigt. Wir vereinbarten mit der Schwester, dass er jeweils morgens um acht Uhr kommen würde.

      «’s ist zwar ein Mist», sagte er, als wir langsam die Treppe zur Eingangshalle hinaufstiegen. «Ich hätte Gescheiteres zu tun, als hier Vormittage lang Zeit zu verplempern. Am Freitag meinetwegen komme ich noch. Aber für nächste Woche garantiere ich nichts.»

      Siebenuhrnachrichten, Morgenjournal. Während Sophie sich im Badezimmer die Lider anstrich, präparierte ich Salami- und Käsesandwiches. Da war der Vater bereits im Postauto unterwegs. Weil sie im Breitmoos erst um Viertel nach sieben das Frühstück servieren, fuhr er um zehn vor sieben mit leerem Magen weg.

      Sass zwanzig nach acht – das Bestrahlen war schon vorüber – an einem der runden Tische in der Eingangshalle.

      Für Patienten ist das Spitalrestaurant vormittags geschlossen. Wir tranken Tee aus dem Automaten, stark gesüssten, mit Zitronengeschmack. Der Vater klappte das Sandwich auseinander, nahm sich zuerst die Salamischeiben heraus. Er habe Salami immer gern gehabt. Das bloss noch mit Butter bestrichene Brot ass er zum zweiten Becher Tee. Seit ich wusste, dass er gern von diesem Tee trank, nahm ich immer genug Kleingeld mit, Fünfziger, Zehnrappenstücke.

      Wir schauten der Putzequipe zu, einer Frau und einem Mann, die miteinander italienisch sprachen. Der Mann schob die Bohnermaschine über den Steinboden; die Frau leerte die Aschenbecher, fuhr mit einem Lappen über Tische und Stühle hin. Einige Tische waren noch beiseite gestellt, damit Platz war für die Putzarbeit.

      Der Vater erklärte mir, warum Natursteinböden für solche Eingangshallen die besten Böden seien.

      Wenn er die Salamischeiben, die Brotschnitten gegessen hatte, wischte er die Bröslein vom Tisch. Das Käsesandwich nehme er später, vielleicht erst im Bus, oder er spare es auf bis zum Nachmittag.

      Am ersten Bestrahlungsmorgen hatte ich ihm noch nichts zu essen mitgebracht. Und er hatte mich, als ich erfuhr, dass er mit leerem Magen hergefahren war, davon abhalten wollen, in den nächsten Laden zu gehen, um ihm etwas zu kaufen. Ich war dann aber doch zum Konsum am Schützenplatz hinuntergerannt, und er hatte mit Appetit in das Schinkenbrot gebissen. Jetzt brachte ich die Salami- und Käsebrote von zu Hause mit. Die Salamibrote auf seinen Wunsch hin mit Butter, die Käsebrote mit Senf bestrichen.

      Hätte er im Heim etwas gesagt, so hätte er wahrscheinlich jeweils früher frühstücken können. Aber er sagte nichts. «Sie wissen ja, dass ich vor sieben wegfahren muss. Wenn sie nicht selber auf den Gedanken kommen, mir etwas hinzustellen, hat’s ohnehin keinen Zweck.»

      Ein Auto wäre jetzt praktisch gewesen. Seit anderthalb Jahren hatten wir keines mehr. Ob wir denn eines brauchten, hatte Sophie gefragt, als der übliche Eintausch-Neukauf in der Renaultgarage fällig geworden war. Ins Büro ging Sophie seit je zu Fuss, mein eigener Arbeitsweg – damals hatte ich noch einen – war .auch nicht lang, Ausflüge unternahmen wir selten, und in den Ferien konnte man ebensogut mit dem Zug verreisen.

      Es wäre praktisch gewesen. Den Vater abholen im Breitmoos draussen, ihn zurückbringen ins Breitmoos. Nicht diese Busfahrten und das stundenlange Herumhocken in der Eingangshalle.

      Wie er am Tisch sass und den Leuten zusah, die hereinkamen, hinausgingen, die Halle durchquerten, am Schalter standen. Er zeigte keine Ungeduld, jetzt, da er sie wieder hinter sich hatte, die Viertelstunde im Untergeschoss: zur Umkleidekabine geführt werden, Hemd und Leibchen ausziehen, sich bäuchlings unter die Maschine legen, sich ruhig halten; Leibchen und Hemd anziehen, ein paar Worte mit der Schwester wechseln und zurück in den Gang hinaus. Um halb neun spätestens war das jeweils vorbei. Und der Bus in Richtung Breitmoos fuhr erst um elf.

      Wie er dort am Tisch in der Eingangshalle sass. In regelmässigen Abständen klaubte er eine neue Zigarette aus dem Päckchen. Mit einer energischen Bewegung löschte er das Zündholz, warf’s in den Aschenbecher.

      Die Jahreszeit kenntlich an den Blumenkisten, an der Frische des Pappellaubs. Das Wetter wechselhaft, mal hell, mal düster. Wolken zogen Schatten über den Parkplatz hin. Taxis bogen zur Rampe ein. Tulpenbouquets wurden am Schalter abgegeben, für den Kiosk Glacen angeliefert. Zwei Schreiner ersetzten Fenster beim Windfang des Eingangs.

      Die Kühle, wenn es in der Nacht geregnet hatte. Manchmal sah ich den Bus zur Haltestelle fahren, wenn ich erst unten bei der Kurve war. Erreichte ich dann das Spital, hatte der Vater bereits die Strasse überquert, stand auf dem Trottoir, auf den Stock gestützt, blickte mir entgegen.

      Wir benutzten nicht mehr den Haupteingang, sondern die Personaltür, die neben der Rampe direkt ins Untergeschoss führt.

      Beeilen konnte man sich nicht. Seit dem Unfall vor zwölf Jahren, als er in der «Traube» in Birchlen oben die Treppe runtergestürzt war und sich dabei rechts das Schienbein und den Knöchel gebrochen hatte, ging er nur noch mühsam.

      Die Schiebetüren wichen beiseite, schoben sich hinter uns zu. Korridore im Souterrain. Es roch nach Putzmitteln und Desinfektion. «Ah, da durch. Immer den Pfeilen nach.» Und: «Jetzt find’ ich’s dann bald allein.»

      Er hängte die Mütze über den Haken, ich half ihm aus der Jacke. Wir setzten uns nebeneinander auf die Plastiksessel.

      «So, Herr Haller.»

      «Ich komme schon.»

      «Kabine drei.»

      «Kabine drei?»

      «Ja, Nummer drei, wie immer.»

      Ich hörte noch ihre Stimmen hinter der Wand.

      Beim Röntgensaal drüben wurden Patienten auf Betten durch die Tür hineingestossen. Personal klapperte auf Holzpantinen vorbei. Die «Schweizer Illustrierte», ein Märzexemplar, zeigte die neuen Trends in der Bademode.

      «Adieu, Schwester, einen schönen Tag.»

      Breitbeinig kam er den Gang entlang.

      «Da wären wir wieder. ’s ist rasch gegangen.»