Der kleine Drache Feuerspeitikus. Vera Kleiner

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Название Der kleine Drache Feuerspeitikus
Автор произведения Vera Kleiner
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783347072206



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sei keine Analyse gemacht worden.

      Der Vater hatte inzwischen eingeschenkt, und wir tranken einander zu.

      «Nun werden wir ja bald wissen, was genau mit deinem Rücken gewesen ist.»

      «Weisst du», sagte er, «Lätt kann solche Sachen eben nicht selber röntgen. Deshalb schickt er mich ins Spital. Normal durchleuchten kann Lätt schon; aber für das da am Rücken, dazu braucht’s einen moderneren Apparat.»

      «Meinst du, man werde nur röntgen?»

      «Lätt hat’s gesagt.»

      «Wir werden ja sehen.»

      «Zuerst hat er davon gesprochen, er wolle mich zu Doktor Briner schicken. Angemeldet hat er mich allerdings nie. Jetzt schickt er mich direkt ins Spital.»

      Ich fragte ihn, worauf er Hunger habe. Es war mittlerweile halb zwölf geworden, bald würde Sophie von der Arbeit zum Essen kommen.

      «Ah, du bist jetzt der, welcher kocht», sagte er. Eine Rösti habe er schon lange nicht mehr gegessen. Und Thonsalat. Im Breitmoos gebe es selten Rösti, und Thonsalat gebe es nur alle Schaltjahre einmal.

      Ich ging in die Küche und begann Kartoffeln zu schälen. Er blieb in der Stube, bei Bier und Zigaretten.

      Sophie bemerkte sofort, dass er neue Kleider trug. «Schick siehst du aus.» Sie gab ihm links und rechts einen Backenkuss. «Und glattrasiert bist du auch. Was hast du denn vor?»

      Es war kurz nach zwölf; sie war nicht zufrieden mit meinem Menü. «Hättest was Besseres anbieten können, wenn dein Vater mal hier ist.» Er protestierte; sie glaubte ihm nicht.

      Sie ging weg und war eine Viertelstunde später mit allerlei Törtchen aus der Bäckerei Müller wieder da. «Damit wir wenigstens etwas Rechtes zum Kaffee haben », sagte sie.

      Der Vater ass wenig. Aber er beteuerte, es schmecke ihm. Er sei immer ein kleiner Esser gewesen.

      Wir hörten die Nachrichten; dann stellte ich das Radio ab. Der Vater zog den frisch gekauften Törtchen die trockenen Biskuits vor, welche wir als Vorrat zu Hause gehabt. «Nehmt’s mir nicht übel», sagte er, «die Törtchen sehen appetitlich aus, sie sind mir nur ein bisschen zu süss.»

      Inzwischen hatte auch Sophie den Brief des Arztes gelesen. «Um drei musst du dort sein?» fragte sie.

      Er nickte. Als ich vorschlug, ihn zu begleiten, wehrte er ab. Selbstverständlich gehe er allein hin. Er kenne das Spital noch vom Unfall her: sei lange genug dort herumgelegen und herumgehumpelt.

      Sophie erwähnte den Neubau; das neue Spital sei viel grösser als das alte. Schliesslich willigte er ein. Sophie sagte: «Also, macht’s gut.» Sie eilte ins Büro zurück.

      Nach dem Abwaschen holte ich die Kirschflasche aus dem Schrank.

      «So, jetzt genehmigen wir uns noch einen.»

      «Kann nicht schaden», sagte er. «Soll gut für die Verdauung sein.»

      Als ich die Personalien angab im Spital am Schalter, wusste ich sein Geburtsdatum nicht, weder Tag noch Jahr. Ich musste ihn, der sich in der Eingangshalle auf einem Sessel verschnaufte, fragen gehen. Nein, der Kirsch im Kaffee war nicht schuld daran. Ich hätte das Datum ohne Kirsch ebensowenig gewusst.

      Den Schildern nach. In den Lift und runter ins Untergeschoss. Wieder den Schildern nach. Ich trug die Plastiktasche mit dem alten Kittel, den alten Schuhen darin.

      Die Krankenschwester an einem zweiten Schalter bestätigte es: wir waren am richtigen Ort, wir waren angemeldet.

      Eine Viertelstunde zu früh. Wir waren die ersten, wir setzten uns.

      Kein Wartezimmer; nur eine Nische im Gang an der Hinterseite der Röntgenabteilung. Hin und Her von Männern und Frauen in weissen langärmligen Schürzen.

      «Das ist ein Betrieb hier!» sagte der Vater.

      Weiter hinten wurden Röntgenbilder vor eine Mattscheibe gehängt. Wenn Türen geöffnet wurden, sah man blitzendes Gestänge, Apparaturen.

      Leute kamen: eine alte Frau, eine junge Frau, ein Mann, ein Mädchen. Arm im Gips, Bein im Gips; Nachkontrollen, Expertisen. Bald waren keine Stühle mehr frei. Ein Pfleger stellte zusätzlich einige Hocker hin.

      Der Vater zog sich die Jacke aus. So sei wenigstens die dann schon ausgezogen. Ich nahm sie ihm ab. Die Mütze behielt er auf dem Kopf. Der Stock stand in Griffnähe neben dem Zeitschriftentischchen. Niemand las; die Leute sassen da und schwiegen.

      «Kabine zwei», sagte der Pfleger. Doch, doch, ich könne bei der Konsultation dabeisein, selbstverständlich.

      Ich half dem Vater aus dem Hemd, hängte Leibchen, Hemd, Jacke und Mütze an den Haken.

      Der Pfleger warf vom Gang her einen Blick herein.

      «’s geht nicht mehr lange. – ’s ist halt eng hier. Lassen Sie ruhig die Tür einen Spaltbreit offen.»

      Der Vater auf dem Klappsitz. Ich stand gegen die Wand gelehnt. Der Kittel im Plastiksack, die ausgezogenen Kleider füllten die Kabine mit Rauchergeruch. Ich hatte den Vater seit Jahren nicht mehr mit nacktem Oberkörper gesehen, eine braune, glatte Haut.

      Er zeigte mir die Narbe. «Lätt hat gar nicht gewusst, was es gewesen ist. Er weiss es auch heute noch nicht. Vielleicht schickt er mich deshalb hierher. Hat’s einfach, hopphopp, herausgeschnitten.»

      Die Narbe sah aus, wie Narben aussehen.

      Er blickte sich in der Kabine um, klopfte mit der flachen Hand gegen den Kunststoffbelag. «Vier Mann hätten hier ohne weiteres Platz», sagte er. Nur müsste man sie aufeinanderbeigen.» Er griente. «Oder zuerst Corned beef aus ihnen machen.»

      Ich hatte gefürchtet, er sei ungewaschen zur Konsultation gekommen. Fast hätte ich ihn vor dem Mittagessen gefragt, ob er nicht noch duschen wolle. Kein Schweissgeruch. Nur die Kleider stanken nach abgestandenem Zigarettenrauch. Aber die Kleider würden in der Kabine bleiben.

      Es war warm. Ich stiess die Tür zum Gang hin etwas auf. Zum zweitenmal kam der Pfleger, ein junger Mann mit einem Schnäuzchen im breiten Gesicht. «Geht’s?» fragte er. «Prima», sagte der Vater.

      Eine Weile danach rumpelte es in der Kabine daneben gegen die Wand. «Da ist jemand vom Sitz gefallen», sagte der Vater. «Ohnmächtig geworden im Schwitzkasten», fügte er hinzu, eine Grimasse ziehend.

      Und wieder eine Weile danach: «Geduld muss man haben.» Und: «Leider geht sie mir langsam aus.» Er drehte sich zum Kleiderhaken hin, fingerte aus der Innentasche der neuen Jacke den Busfahrplan. «Da, schau mal nach, wann ein Postauto ins Breitmoos hinausfährt. Grosse Auswahl habe ich sicher nicht.»

      Er nickte zu den Abfahrtszeiten, die ich ihm vorlas.

      «Jucken tut’s einfach noch», sagte er. «Aber wenn’s juckt, so heilt’s auch, sagt man, oder?»

      Und nach einer Pause:

      «Hab’ immer gesundes Blut gehabt. Aber eine Sauerei ist’s halt doch gewesen.»

      Er hob den linken Ellenbogen und kratzte sich mit der rechten Hand in der Achselhöhle, dann im Brusthaar.

      Beidseits eine Tür, niedrige Decke, Neonlicht. Geräusche vom Gang her; Geräusche jetzt auch vom Sprechzimmer her.

      «So, hü, los, komm endlich!» Gereizt blickte er auf die Klinke neben seinem Kopf. «Mach vorwärts, ich will nicht anwachsen hier.»

      Doktor Boren nahm den Brief aus dem Kuvert, überflog ihn.

      «Dann wollen wir uns das mal ansehen», sagte er mit Altmännerjovialität. «Am besten, Sie bleiben hier stehen, so, gegen das Fenster gekehrt, damit wir schön Licht haben darauf.»

      Der Vater hielt sich, leicht vornübergebeugt, an der Stuhllehne fest. Der Doktor, ein langer, hagerer Mann, bückte sich zum Rücken hinunter. Die Hand fuhr über die Haut, tastete ab. «Ja, gut, hm, drehn Sie sich ein wenig, ja, gut so, hm.»

      Er