Und dann noch die Liebe. Alexander Oetker

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Название Und dann noch die Liebe
Автор произведения Alexander Oetker
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783455009293



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Drink treffen? Best, Agápi.«

      Agápi.

      Ich werde rot, sehe deshalb lieber nicht zu Alain auf und brauche keine Minute, um meine Antwort hinzutippen. Frauen warten lassen ist von vorgestern. Von vor Tinder.

       »Hallo Agápi. Das wäre großartig. Wie lange wird die Sitzung gehen?«

      Ein Gruß, absenden. Das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Love and News.

      Alain sieht mich unverwandt an.

      »Mir … mir geht’s ganz gut. Viel zu tun. Und mit Kristina ist es ja schon ’ne Weile aus oder dieses On-off-Ding, du weißt schon. Deshalb bin ich … na ja, recht umtriebig. Aber ich bin auch fast nie zu Hause. Wie läuft es mit Sam?«

      Wir nehmen beide von dem Rotwein, ein samtweicher Piemonteser aus Alba. Er lächelt.

      »Es ist alles sehr schön. Sie arbeitet ein bisschen zu viel. Aber wenn wir uns am Wochenende sehen, dann nehmen wir uns Zeit. Es ist toll.«

      Sie haben sich bereits im Studium kennengelernt. Seitdem sind sie zusammen und dennoch folgen sie immer der Arbeit, jeder für sich. Doch auch die dauernde Entfernung hat sie nicht auseinandergebracht. Ich fand Sam immer wahnsinnig heiß. Sie sehen sich jedes Wochenende, obwohl sie diese Fernbeziehung führen. Er fährt mit der Bahn nach Luxemburg. Jeden Donnerstagabend. Es klingt anstrengend. Ich bin so was von neidisch. Auf diese Planbarkeit. Und Verlässlichkeit. Auf die Liebe.

      Mein Handy surrt und verscheucht diese Gedanken. Jetzt bin ich dran. Sie antwortet.

       »Es dauert noch. Ich melde mich.«

      Sekunden darauf surrt Alains Blackberry.

      »Merde, wir müssen los. Sitzung ist aus. Ohne Ergebnis vertagt. Sondersitzung nächste Woche. Los, wir gehen.«

      Wir lassen die halbe Jarret stehen, die mittlerweile traurigen Pommes, die Senfsauce, den Rotwein für 45 Euro die Flasche. Es ist 21:42 Uhr.

      Alle Experten haben sich mit dem Sitzungsende verschätzt. Davide. Alain. Der EU-Kommissar. Agápi. Ich.

      Chambre 212

      2015

      Sie hatte leise an meine Tür geklopft, vor zwei Stunden. Jetzt ist es 3:30 Uhr, und wir liegen ineinander verkeilt auf meinem Bett. Wir küssen uns, erst zaghaft wie zwei Teenager, irgendwann ziehen ihre Zähne an meiner Lippe, locken mich. Ihre Lippen sind weich und warm und voll, ich öffne die Augen immer wieder, weil ich sie sehen will, sehen muss. Ihre weiße Bluse ist weit aufgeknöpft, nur ein Knopf ist noch geschlossen, ganz unten. Sie trägt weiße Spitzenwäsche, die teuer aussieht. Ihre Haut schimmert, ich sehe den Ansatz ihrer Brüste. Noch hat sie ihren BH an. Wir lassen es langsam angehen. Ich hoffe, sie sieht mich nicht so prüfend an wie ich sie.

      Die griechische Sonne hat ihren Teint geschaffen. Ich mag ihre Augen, je näher ich ihr komme, desto mehr mag ich sie. Ich selbst bin vorhin ins Bad gegangen, einfach so, ohne Erklärung, weil mir nichts einfiel. Ich zog mir dort mein Hemd aus, ich wollte nicht, dass sie mich dabei sieht.

      Sie hatte mir geschrieben, noch bevor ich im Ratsgebäude angekommen war:

       »Hi. Ich bin zu erschöpft, um noch auszugehen. Wollen wir uns bei Dir treffen? Bei mir geht nicht. Es ist das Delegationshotel.«

      Ich antwortete sofort:

       »Renaissance Hotel, Chambre 212. À bientôt.«

      Ich hatte noch zwei Aufsager für die verschiedenen Sendungen produziert, etwas über »weitreichende Differenzen« erzählt, die man »auf einer Sonderkrisensitzung« in zwei Wochen gesondert besprechen würde, eventuell würden sich auch die »Staats- und Regierungschefs noch mal dazu treffen müssen«, und am Schluss hatte ich das schöne leere Wort »Chefsache« benutzt. Pointe. Abgang. Feierabend.

      An der Bar im Café d’Autriche gab es noch bis Mitternacht Jupiler-Bier, dem ich zusammen mit der sehr hübschen Kollegin vom ORF und ein paar alten Schreiberlingen von Neuer Zürcher Zeitung und St. Galler Tagblatt ordentlich zugesprochen hatte. Dass Bier im Ratsgebäude beinahe billiger ist als Espresso, ließe wohl auch viel Raum für Journalistenpsychogramme.

      Ich nahm ein Taxi ins Hotel. Ich spürte mein Herz, es schlug mir bis zum Hals, ich legte den Kopf gegen die regennasse Scheibe und trommelte auf den Ledersitz. Warum war ich aufgeregt? Sicher nur der lange Tag, die Reise aus Paris, Hasten in den Rat, Hasten ins Resto, Hasten ins Hotel. Ein heißer Tag. Der Taxifahrer sprach nicht, was für ein toller Kerl, er fuhr einfach die fünf Minuten bis zur Place du Luxembourg durch dunkle Straßen, die Büros waren ausgestorben, das EU-Viertel-Raumschiff war gelandet, keine Spuren menschlichen Lebens.

      Sie hatte geklopft, nachdem ich geduscht, mich wieder angezogen und den Gin aus der Minibar genommen und mit leichter Zugabe von Tonic trinkbar gemacht hatte.

      Sie war ohne jedes Zögern eingetreten. Wir hatten uns erst einmal gesehen, eine Minute aus der Ferne, es war vor zwölf Stunden gewesen und fühlte sich an, als sei es ewig lange her. Wir hatten uns zur Begrüßung auf die Wangen geküsst. Dann setzte sie sich auf mein Bett. Sie war wirklich erschöpft, ich sah die Müdigkeit, und doch lachte sie. Ich gab ihr ein Glas, und sie lachte wieder, sie war so präsent, wir sahen uns an, sprachen Englisch, sie hatte einen süßen griechischen Akzent:

      »Ich mache das nicht sehr oft, dass ich irgendeinem Mann schreibe und mich gleich mit ihm treffe.«

      Ich wollte mich gleich an ihr Lachen gewöhnen, es war ein schönes, offenes Lachen, ihre dunkelbraunen Augen funkelten. Doch zugleich hatte sie die Arme verlegen um den Oberkörper geschlungen, vielleicht war ihr kalt, sie sah sich um, mein Hotelzimmer war Standard, vielleicht ein bisschen besser als belgischer Standard, es gab sogar einen Schreibtisch. Und eine Badewanne. Ihr suchender Blick gab mir die Gelegenheit, sie weiter anzusehen: Sie war noch schöner, als ich es am Nachmittag wahrgenommen hatte. Ich hatte das Foto auf Tinder im Verlauf des Abends noch circa tausendzweihundertmal betrachtet. Doch nun sah ich ihre Bewegungen, ihr Gesicht, ihre Regungen. Die dunklen Locken ungezähmt und ungezählt.

      »Was machst du so?«, fragte ich sie, ich fand das einen lässigen Gesprächsstart, wusste aber gleichzeitig, dass ich einfach nur beschissen aufgeregt war, in diesem Moment mit einem fremden Mädchen aus dem Internet auf meinem Zimmer. Und sie war ja nicht irgendein Mädchen. Irgendeine Frau. Sie war die, die ich gewollt hatte. Neben den anderen, die ich vorher nach rechts gewischt hatte. Sie hatte mich angesehen, mit diesem zarten Lächeln, ironisch, selbstbewusst.

      »Ich bin Referentin in der Pressestelle des Ministers. Es ist mein erstes Jahr dort, ich komme von der Uni in Saloniki. Aber es läuft gut. Deshalb bin ich schon in Brüssel dabei.«

      Das konnte ich mir vorstellen. Sie war jung, klug, und sie war rasend schön, sie war ein Hingucker, das öffnete Türen, das konnten auch der Pressesprecher und der Minister nicht übersehen haben. Die Griechen brauchten Fürsprecher in diesen Tagen.

      »Und du bist also Reporter?«

      Ich nickte und lächelte sie an: »Genau. Ich bin Deutsch-Franzose, ich pendele zwischen den Hauptstädten und den Sendern. Ich hab ’ne Wohnung in Berlin und eine WG in Paris und arbeite für zwei Nachrichtensender als Freelancer. Du siehst, ich bin immer unterwegs.«

      »Das klingt toll. Du kommst viel rum. Und du bist doch noch sehr jung, oder?«

      Merkwürdig, dass ausgerechnet sie mir diese Frage stellte. Dabei war sie doch bestimmt viel jünger als ich.

      »Na ja, ich bin schon lange dabei. Sag, Agápi, wie ist es, derzeit ausgerechnet für diese Regierung zu arbeiten?«

      Sie grinste, als hätte sie die Frage erwartet.

      »Es brennt an allen Ecken und Enden, und gerade dadurch habe ich das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein, weißt du? Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt in meiner Wohnung in Athen war, geschweige denn, wann ich meine Familie das letzte Mal besucht habe.«

      »Bist