Und dann noch die Liebe. Alexander Oetker

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Название Und dann noch die Liebe
Автор произведения Alexander Oetker
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783455009293



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unsteter Blick. Der nun in unsere Kamera fällt.

      »Es werden lange und harte Verhandlungen. Aber ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden werden. Die Zeit ist reif für eine Lösung, und beide Seiten haben das erkannt. Der richtige Weg für Griechenland ist ein gemeinsamer Weg mit Europa, und wir werden eine Lösung finden.«

      Optimistisch. Der Mann ist immer optimistisch. Dreimal das Wort Lösung. Dabei will man ihm so gerne zurufen: »Du bist zuversichtlich? Dann sag das mal deinem Gesicht!«

      Ich danke ihm, und er geht ab, um vor der Kamera der Briten im Gebäude das Gleiche noch mal auf Englisch zu wiederholen. »I am very optimistic that we can find a solution today.« Sein Optimismus wird sich in den Nachrichtenmeldungen der nächsten Minuten gerade so lange halten, bis der deutsche Finanzminister auftaucht und sagt, dass er gar nicht mal so optimistisch ist. Es ist wie ein großes Theaterstück, in dem das Skript streng eingehalten wird, die Rollen klar verteilt sind und die Tragödie immer erst dann beginnt, wenn der Vorhang fällt.

      Ich gehe ein bisschen aus dem Pulk heraus in Richtung Raucherecke und öffne Tinder. Die App fährt hoch, schon erscheint das erste Gesicht. Eines, das mir herrlich unbekannt vorkommt. Ich lächle. Darauf hab ich mich schon den ganzen Flug über gefreut. In Berlin und Paris, da ploppen auf Tinder immer dieselben Frauen auf, weil ich den Suchumkreis so eng eingestellt habe – ich scheue lange Anfahrtswege. Hier in Brüssel bin ich aber nur einmal im Monat, und hier gibt es eine hohe Fluktuation an Praktikantinnen und Volontärinnen und Referentinnen aus allen Ländern, und alle sind so einsam, wie ich es bin.

      Eine blonde Frau lächelt mich auf dem Bildschirm an, sie sieht gut aus, ihr Gesicht ist schön, sie hat Sommersprossen, rote Wangen, ich denke, sie ist Holländerin, irgendetwas stört mich, ich kann nicht ausmachen, was es ist, ich zögere, dann wische ich nach links. Die Nächste ist eine Brünette, das Foto sieht sehr gestellt aus, sie hat ein Glas Champagner in der Hand, dahinter ein Sonnenuntergang, irgendwie versinkt alles im Dunkel, dennoch wische ich nach rechts. Es sieht nach Südfrankreich aus, meine Sehnsucht springt an. Einen Versuch ist es wert. Dabei sieht sie aus, als würde sie sich sicher nicht melden. Die folgenden Fotos sind ein europäisches Potpourri. Eine Spanierin auf einem Pferd. Wusch, nach links. Eine blonde Frau, sicher eine Schwedin oder eine Dänin? Sie trägt einen Bikini und steht bis zum Nabel im Meer. Wusch, nach rechts. Eine große Schwarze, die Haare kurzgeschoren, niemals matcht sie mit mir, aber sie macht mich an. Wusch, nach rechts. Dann ein Gesicht, das mir einfährt. Eine Frau, die ich nicht einschätzen kann. Ist sie 25? 21? 31? Eine Portugiesin? Eine Spanierin? Dunkle Locken, lange Haare, tiefbraune Augen, kein Lächeln, nur ein interessierter Blick, als suche sie etwas in der Kamera. Nur sie ist auf dem Foto zu sehen, kein Sonnenuntergang, kein Champagnerglas, kein Pferd. Nur sie. Wusch. Nach rechts.

      In diesem Moment hält der deutsche Finanzminister mit seiner riesigen grauen S-Klasse vor den Kameras. Ein kurzer Moment, denn er braucht die Zeit, von Bodyguards abgeschirmt aus seinem Auto zu steigen. Dann rollt er an uns vorbei ins Gebäude, um sein Statement abzugeben. Ich renne hinterher. Drinnen sind Kamerateams des deutschen Fernsehens aufgebaut, um den Minister interviewen zu können. Ich komme gerade rechtzeitig, um den alten Herrn noch sagen zu hören:

      »… Griechenland doch nichts geliefert. Wenn ich mit meinen Kollegen hier spreche, dann wissen wir alle nicht, was Griechenland eigentlich will. Wollen sie drinbleiben? Wollen sie raus? Wir wissen es nicht. Ich bin jedenfalls nicht sehr optimistisch, aber nun müssen wir abwarten.«

      Es hagelt Nachfragen. Er wischt sie weg, indem er sein typisches Haifischgrinsen aufsetzt und einfach abfährt, in Richtung Sitzungssaal.

      »Nun müssen wir erst mal reden, nachher sehen wir uns wieder«, sagt er, während er uns schon den Rücken zuwendet. Wow, was für eine Überraschung. Zwei Fronten bei den Finanzministern. Genau wie bei der letzten Sitzung. Und der davor. Ein Riss geht durch den Kontinent. Nord und Süd. Reich und Arm. Geber und Nehmer. Das wird wahnsinnig aufregend, darüber zu berichten. Die Zuschauer daheim in Calais, Nizza oder Clermont-Ferrand werden nach der 18-Uhr-Schalte so klug sein wie vorher. Und ihnen wird die griechische Tragödie noch mehr zum Hals raushängen, weil sich nichts bewegt, weil alle nur streiten.

      Wer fehlt noch? Ach ja, der Grieche.

      Bevor ich Tinder wieder öffnen kann, hält draußen der schwarze VW-Bus, der die griechische Delegation ausspuckt. Als Zeichen der Sparsamkeit wahrscheinlich, alle anderen Länder kommen schließlich im Mercedes oder BMW. Heute ist der erste Auftritt des neuen griechischen Finanzministers. Sein Vorgänger kam immer ohne Krawatte, er hat eine scharfe Ehefrau und fährt daheim in Athen Motorrad, früher auch ohne Helm. Das mochten die anderen Finanzminister gar nicht: Mit so einem Rüpel wollten sie nicht verhandeln, und dann hielt er ihnen auch noch Vorträge über finanztheoretische Zusammenhänge. Also haben sie ihm das Leben so lange schwergemacht, bis der Mann sein Amt entnervt aufgab. Demokratie in Zeiten der Krise. Brüssel entscheidet, wer wo Minister sein darf und wer nicht.

      Nun also steigt der neue Finanzminister aus, auch er trägt keine Krawatte, aber einen grauen Wollpullover unter einem schlichten Sakko. Er sieht nett aus und ungefährlich, biegsam eher, wie ein freundlicher Großvater. Mit dem können die anderen bestimmt gut verhandeln. Der kleine Mann mit den dunklen Haaren stellt sich vor die Kameras.

      »Guten Tag, meine Damen und Herren«, beginnt er in holprigem, aber verständlichem Englisch. »Wir haben eine sehr schwierige Situation. Die Spareinschnitte, die wir bereits unter meinem Vorgänger durchgeführt haben, bringen unser Land mit jedem Tag näher an den Rand einer Katastrophe. Dennoch wollen wir mit der EU und den Gläubigern zusammenarbeiten. Wir sind bereit …«

      Ich schweife ab, meine Augen wandern umher, als würden sie von etwas angezogen. Oder von jemandem. Sie bleiben an einem anderen Augenpaar hängen. Neben dem Finanzminister, seinem Leibwächter und dem alten Pressesprecher steht eine Frau. Es ist die Frau von eben. Die Frau von Tinder. Die Frau mit den irrsinnig dunklen Augen. Sie schaut unverwandt nach vorn auf die Wand aus Kameras. Ich beobachte ihren leicht gespannten Blick, ihre sanften Züge, sehe, wie sie mit ihrem rechten aufgestellten Fuß leicht wippt. Die Bewegung ihrer Hüfte und ihres Beines. Ich hebe den Blick, unsere Augen treffen sich. Mist, verdammter! Sie hat bemerkt, dass ich sie beobachte. Ich zucke zusammen. Sie schaut mich an, guckt fragend und lächelt ganz kurz, vielleicht den Bruchteil einer Sekunde. Habe ich zu doll gestarrt, dass sie so direkt reagiert? Ich lächle zurück, der Moment entgleitet mir, ich kann sogar spüren, wie er mir entgleitet, weil ich weiß, dass ich keine Zeit habe, gleich ist sie weg, und so zwinkere ich einmal mit dem rechten Auge. Und will mich sofort ohrfeigen. So ein Mist. Zwinkern. Was für eine bescheuerte Idee. Was ist nur in mich gefahren?

      Und dann ist der Moment vorbei. Der Minister kommt zum Schluss.

      »… bin ich voller Hoffnung. Vielen Dank. Efaristo

      Er geht ab, sie dreht sich weg und folgt ihm. Eine Griechin. Mein Zutrauen in meine Tinder-Schätzfähigkeiten schwindet.

      Ich schaue auf die Uhr. Mist. Doppelmist. Ich spurte los, nehme zwei Stufen auf einmal und renne nun Richtung Balkon.

      17:54 Uhr. Ich finde die Schaltposition sofort, es ist die gleiche wie immer, begrüße den Kameramann der belgischen Firma, und der reicht mir den Stecker, den ich mir ins Ohr presse, und das Mikrofon. Ich ziehe den gelben Mikrofonschoner mit dem französischen Senderlogo darüber und höre im Ohr schon den Sendeton, gerade läuft die Werbung. Mein Handy klingelt. Der Chef vom Dienst? Der Sprecher des Präsidenten? Nein, Oma. Herrje. Sie weiß immer, wann ich in Deutschland auf dem Sender bin. Aber französische Sender kann sie nicht empfangen. Ich drücke sie weg.

      Auf dem kleinen Monitor vor mir startet der Vorlauf der Nachrichten. Die blauen Graphiken des Intros, dann erscheint Daniel, der Moderator der 18-Uhr-Ausgabe auf dem Bildschirm, lächelnd, professionell, gewinnend.

      Der Regisseur spricht mich an:

      »Hallo nach Brüssel. Können Sie mich schon hören?«

      »Klar und deutlich.«

      Nun bin ich bester Laune, ein Lachen in die Kamera, Routine vor der Liveschalte. Einige Sätze für den Ton: »Hier in Brüssel regnet es, dabei steht den Griechen das Wasser ohnehin