Zeitrausch (2). Spiel der Zukunft. Kim Kestner

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Название Zeitrausch (2). Spiel der Zukunft
Автор произведения Kim Kestner
Жанр Учебная литература
Серия Zeitrausch-Trilogie
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401808000



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Angenehmer Aufenthalt? Ich weiß, was mich erwartet. Diese Menschen werden jederzeit meinen Tod in Kauf nehmen. Ich werde durch die Hölle gehen, frieren, hungern, dursten, leiden. Am liebsten würde ich Cleo, die nervös mit dem Fuß wippt, während ich die Anzeige verfolge, all das entgegenschleudern.

      »Wer ist Sandra?«, frage ich stattdessen.

      »Das Servicehologramm in Ihrem Quartier. Ich bringe Sie jetzt dorthin. Es ist nicht weit, wir nehmen den Cube.«

      Cube? Auch das ist neu. Ich folge Cleos kleinen, schnellen Schritten wortlos einen Gang entlang, von dem etliche nummerierte Türen abgehen. Zwischen ihnen ersetzen Bildschirme normale Wände, die in hektischen Bildern Menschen zeigen, die merkwürdige Dinge tun: auf leuchtende Tasten schlagen, sich gegenseitig mit Farbe bespritzen, Bällen ausweichen, bewegungslos in einem Käfig verharren …

      »Was tun die?«, frage ich Cleo.

      Sie folgt meinem fragenden Blick. »Ach das. Gameshows anderer Sender. Total verbraucht. Unser Format wird die Zuschauer umhauen.«

      Wir haben das Ende des Flures erreicht und Cleo hält ihre Markerhand auf eine Markierung. Sofort öffnet sich eine Tür und wir treten in einen milchig weiß schimmernden Kubus, eine Sitzschale in jeder Ecke.

      »Gebäude 7, Etage 795, Apartment 23«, sagt Cleo, setzt sich und weist auf den gegenüberliegenden Stuhl.

      Kaum dass ich mich niedergelassen habe, spüre ich einen Sog unter meinem Po und kann nicht mehr aufstehen.

      »Willkommen im Cube, Alison Hill, willkommen, Cleodores Walker.« Eine samtweiche Stimme, die aus allen Richtungen zu kommen scheint. »Ihre Fahrzeit beträgt 42 Sekunden. Wünschen Sie eine Änderung der Umgebungstemperatur?«

      »Nein!« Cleo zupft nervös ihre weißblonden Haare zurecht. Erst als der Cube zischend nach oben schießt, wirkt sie entspannter.

      Ein Kribbeln durchläuft meinen Körper, der Druck setzt meinen Ohren zu, dann bremst der Cube seicht ab, um eine Sekunde später nach rechts zu gleiten. Als sich die Tür wieder öffnet, ist mir schwindelig.

      »Apartment 23. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.« Wieder die samtweiche Stimme.

      Der Sog lässt nach und ich erhebe mich leicht schwankend, trete in einen fensterlosen, vor allen Dingen aber leeren Raum – fast zumindest, an der Wand entdecke ich einen kleinen Bildschirm.

      Cleo weist auf ihn und wedelt mit ihrer Markerhand. »Ihre Unterkunft, hier der Paddel. Einfach mit dem Marker aktivieren, ansonsten können Sie ganz normal mit ihr reden. Der Cube kommt in 1 Stunde, 16 Minuten wieder und holt Sie zum Empfang ab, okay? Richten Sie sich ein, wie Sie wollen. Ich muss jetzt los, letztes Meeting vor Showstart.« Ohne Verabschiedung verschwindet Cleo und der Cube mit ihr.

      Ratlos sehe ich mich im Raum um. Kein Bett, kein Stuhl, nicht einmal eine Toilette, was aber gerade mein dringendstes Problem ist. Vielleicht kann mir der Bildschirm verraten, wo ich ein Klo finde, denn ich bin mir fast sicher, auch die Menschen der Zukunft müssen mal.

      Als ich die matte Fläche berühre, tritt das Gesicht einer freundlich blickenden Frau heraus, absolut lebensecht, wenn sie nicht körperlos wäre. Ich kenne diese dreidimensionalen Projektionen bereits von meinem letzten Besuch in dieser Zeit, wische trotzdem mit der Hand durch ihre Nase. Gruselig.

      »Hallo, Alison. Ich bin Sandra. Was kann ich für dich tun?«

      »Ähm …« Ich komme mir blöd vor, mit einem Hologramm zu reden, aber meine Blase lässt mir keine Wahl. »Wo ist die Toilette?«

      Sofort wechselt das Bild und zwei verschiedene Kloschüsseln werden angezeigt, eine oval, eine eckig, beide mit allen möglichen Düsen und Knöpfen. Du meine Güte! »Das runde Ding.«

      »Bitte berühre deine Auswahl mit dem Marker.«

      Ich tippe auf die erste Abbildung.

      »Bitte wähle das Couleur.«

      »Keine Ahnung … ist mir doch egal. Grün, von mir aus.«

      »Bitte berühre die Auswahl mit –«

      Ungeduldig und mit wippenden Beinen haue ich durch irgendeine Farbe.

      »Bitte wähle den Standort.« Ein rechteckiger Raum wird angezeigt, das Klo knallpink und frei schwebend darin.

      Das gibt’s doch nicht!

      Als ich mit der Hand nach der Miniatur greife, lässt es sich in dem Raum verschieben. Ich setze es in eine Ecke und es dockt sich an dem virtuellen Fußboden an.

      Im gleichen Moment werde ich angehoben, sehe auf meine Füße, die auf einer Plattform stehen. »Was zum Teufel –«

      Da beginnt sich der Fußboden zu verrücken, wie bei diesem Puzzle, wo man die Teile hin und her schieben muss, um ein vollständiges Bild zu bekommen. Ich sehe starr und mit offenem Mund auf die Bodenplatten, bis sich einige Sekunden später eine pink glänzende Schüssel aus der Erde hebt und mit einem Klonk einrastet.

      Mein Gott! Endlich!

      Ich springe von der Plattform, noch bevor sie wieder in der Erde verschwindet, und hechte zum Klo. Musik und Meeresrauschen begleiten mich, und als ich mich erleichtert erhebe, strömt mit Blumenduft geschwängerte Luft aus irgendwelchen Düsen. Die spinnen doch.

      Was jetzt?

      Vielleicht kann ich rausfinden, wo Kay untergebracht ist, zu ihm gehen. Wie verängstigt er sein muss. In seiner Zeit gab es ja noch nicht mal Farbfilm.

      Ich gehe zu dem Bildschirm, dem Paddel, zurück. »Sandra?«

      Das Gesicht hat mich höflich mit meiner pinken Toilette alleine gelassen und erscheint nun wieder.

      »Kannst du jemanden suchen?«

      »Bitte nenne die Markernummer der Person.«

      »Die Markernummer? Die kenne ich nicht. Aber ich suche Francis Kay Raymond. Er müsste irgendwo hier sein, in diesem Gebäude.«

      Sandra schließt kurz die Augen, als müsse sie nachdenken. »Francis Kay Raymond befindet sich in Apartment 92, Etage 795.«

      »Danke.«

      Schon bin ich an der Tür. Mein Herz hämmert – dumm, dumm, dumm, dumm … Ich muss mich beruhigen. Einatmen, ausatmen, Marker auf das Handsymbol an der Wand und beten, dass sie sich öffnet.

      »Du bist nicht berechtigt, den Cube anzufordern.« Sandras immer freundliche Stimme.

      Ich fahre herum. »Ich muss wissen, wie es Kay geht!«

      »Seine Werte liegen im Normalbereich. In 59 Minuten wird der Cube eintreffen. Möchtest du mit dem Einrichten des Apartments fortfahren?«

      »Nein! Doch.« Ich muss mich setzen. »Ich brauche einen Stuhl.«

      »Bitte wähle die Art des Stuhls.«

      Ich verdrehe genervt die Augen, was Sandra unbeeindruckt lässt, und durchforste die dargebotenen Sitzmöbel. Willkürlich treffe ich eine Auswahl und nach kurzer Zeit stehen ein altmodisches Bett, ein gläserner Stuhl, eine Dusche mit Spiegel und verwirrend vielen Knöpfen sowie ein scheußlicher, goldschimmernder Tisch in meinem Zimmer.

      Als ich den Mund öffne, um Sandra nach einer Haarbürste zu fragen, ertönt ein leises Ping und die Tür öffnet sich zum Cube. In ihm steht eine große Kiste auf Rollen. Kaum dass ich sie berühre, fährt sie in mein Zimmer und der Cube verschwindet zischend.

      »Was ist das nun wieder?«

      »Deine Garderobe für den Empfang.« Die Frage galt mir, aber Sandra scheint auch hier die Antwort zu kennen. »Möchtest du einen Kleiderschrank auswählen?«

      Ich schüttle stumm den Kopf, öffne die graue Box. Perlmuttfarben schimmernder, bauschiger Stoff quillt heraus, das Material wirkt fremdartig, und als ich mit der Hand darüberstreiche, knistert das seidenweiche Gewebe. Vorsichtig hebe ich es heraus, lasse den Stoff auseinandergleiten.

      Wow!