Zeitrausch (2). Spiel der Zukunft. Kim Kestner

Читать онлайн.
Название Zeitrausch (2). Spiel der Zukunft
Автор произведения Kim Kestner
Жанр Учебная литература
Серия Zeitrausch-Trilogie
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401808000



Скачать книгу

Ich halte mir das Kleid an den Körper, drehe mich vor dem Spiegel der Dusche. Es scheint mir auf den Leib geschneidert zu sein.

      Soll ich es anziehen? Muss ich es anziehen? Kay wird hingerissen sein und für einen Moment male ich mir aus, wie ich einen Raum betrete, Kay verschüchtert, wie ein gescheuchtes Tier, zwischen den Unmenschen dieser Show … unsere Blicke treffen sich. Ich lächle ihm zu, er kann das Gesicht nicht abwenden, spürt, dass wir füreinander geschaffen sind … Okay, Alison, komm wieder runter von deiner Wolke!

      Nein! Ich lasse mich nicht von ihnen einwickeln. Auch nicht in ein so schönes Kleid. Ich werde sie spüren lassen, dass ich mich ihnen nicht beuge. Sie wollen mich vorführen? Gern, aber mit nackten Füßen und in einem verschwitzten Isovantage-Anzug.

      Entschlossen feuere ich das Kleid zurück in die Kiste, es fällt bauschend auf ein paar Riemchenschuhe, die am Boden liegen. Kay wird mich in jeder Realität lieben und in jedem Outfit.

      Je weiter die Zeit voranschreitet, desto nervöser werde ich. Eine Weile sitze ich mit wippenden Beinen auf dem Stuhl, dann lasse ich mir Wasser aus der Dusche übers Gesicht laufen. Es riecht nach Mandeln. Schließlich hetze ich nur noch zwischen Bett und Stuhl hin und her, bis endlich das erlösende Ping erklingt und der Cube sich öffnet.

      Niemand ist darin, aber als ich mich setze, jagt der Kubus mit mir nach oben. Anscheinend kennt er sein Ziel und nach wenigen Sekunden erklärt er, es erreicht zu haben.

      »Willkommen in der Sky-Lounge, Alison Hill.«

      Die Tür öffnet sich.

       6

      Irgendwann 2415, Sky-Lounge

      Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Vielleicht Roboter, die futuristische Drinks zum Empfang reichen, oder Autos, die am Fenster vorbei durch Wolken fliegen, aber sicher nicht das!

      Bewegungslos stehe ich im Cube und versuche, Kay in den Massen der augenscheinlich kostümierten Menschen auszumachen. Sie stehen dicht gedrängt in einem Raum mit weiß verputzten Wänden, zwiebelförmigen Torbögen und kleinen Caféhaustischchen, auf denen stoffbezogene Lampen stehen. An der Decke hängen orientalische Laternen, ein Klavier steht mitten im Raum, auf dem ein dunkelhäutiger Pianist sanfte Töne anschlägt, rechts von mir ist ein blank polierter Tresen, fransenbesetzte Barhocker stehen davor, Tabletts mit leise klirrenden Whiskygläsern, Menschen im Smoking mit Fliege oder in Uniform mit Orden behängt, sogar Frauen in arabischen Gewändern.

      Himmel! Was soll das? Und wo ist Kay?

      Langsam trete ich aus dem Cube heraus und blicke mich um. Niemand nimmt Notiz von mir, dabei müssen über 100 Menschen in dieser irrwitzigen Lounge sein. Ich stelle mich auf die nackten Zehenspitzen, kann aber nicht weiter blicken als bis zu einem breiten Rücken im weißen Smoking. In Gedanken verfluche ich meine 1,62 m.

      »Mr Oscar, Mr Oscar!« Eine umwerfend aussehende Frau mit rostbraunem Haar und eng anliegendem Abendkleid flattert an mir vorbei. »Mr Oscar!«, ruft sie wieder. »Bitte stellen Sie mich Mr Raymond vor. Man lässt mich einfach nicht zu ihm.«

      Mein Herz setzt kurz aus. Kay ist also hier. Wo? Schnell dränge ich mich an einem Kellner vorbei, der anscheinend hinter mir aus einem weiteren Cube getreten ist und eine fünfstöckige Torte vor sich herschiebt, schlängle mich zwischen eng stehenden Grüppchen hindurch, bis ich die Schönheit und Sam Oscar erreiche, der sich als Scheich mit Turban verkleidet hat.

      »Mr Oscar!« Meine Stimme klingt atemlos, geradezu gehetzt.

      »Oh, Miss Hill. Wie schön.«

      »Wo ist Kay?«, platze ich heraus. Ich kann nicht mehr warten. 2 Jahre waren unerträglich, die letzten Sekunden aber werden zur Höllenqual, jetzt, da er in so greifbarer Nähe ist.

      Ich bemerke, wie mich die Schönheit von oben bis unten mustert, und komme mir plötzlich furchtbar hässlich neben ihr vor, mit meinen nackten Füßen, die zwischen den Zehen dreckig sind, meinem locker zurückgebundenen Pferdeschwanz und dem schlichten Isovantage-Anzug. Aber Sam Oscar kommentiert meinen Aufzug mit keinem Wort. Vermutlich ist es ihm noch nicht mal aufgefallen.

      »Wie gefällt Ihnen Rick’s Café?«, fragt er mich stattdessen.

      »Was?«

      »Casablanca! Der bekannteste Film Ihrer Zeit, oder? Meine …« Oscar räuspert sich. »Unsere bezaubernde Jill hier hat jedes Detail nacherschaffen lassen, damit Sie sich wie zu Hause fühlen.«

      »Sie müssen wirklich besser recherchieren«, murmele ich, kaum bei der Sache, denn jetzt habe ich Kay entdeckt. Nur wenige Meter entfernt hat sich für einen Augenblick eine Tür geöffnet, um den Kellner mit der Torte einzulassen. Der kurze Blick hat genügt, damit ich mir sicher bin.

      »Bringen Sie mich zu ihm.« Fordernd sehe ich Sam Oscar an.

      »Das hatte ich sowieso vor«, antwortet er lächelnd und stellt sein quadratisches Whiskyglas auf eines der Tischchen. »Dann ist jetzt wohl der Moment gekommen, in dem Sie Ihren Schützling kennenlernen. Hat Cleo Ihnen die …?«

      Ich höre gar nicht zu. Wir haben die Tür erreicht. Ein breitschultriger Mann tritt zur Seite, nickt dem Wissenschaftler zu und legt seine Hand auf die Markierung, sodass die Tür wieder aufgleitet. Mit tauben Beinen stakse ich in den kleineren Raum, merke gerade noch, wie Jill an mir vorbeischlüpft, dann verschwimmt alles zu einer unwichtigen Masse, aus der nur Kay heraussticht.

      Wie gut er aussieht! Ach was – fantastisch! Noch viel besser, als ich ihn in Erinnerung habe.

      Er überragt die Umstehenden um Kopflänge, steht, locker gelehnt, an der holzvertäfelten Wand. Man hat ihn in einen Smoking gesteckt, was seine breite Statur betont. Sein ebenmäßiges Gesicht wirkt verändert … Natürlich, die Tätowierung fehlt.

      Noch hat er mich nicht bemerkt.

      Sein bronzefarbenes Haar fällt ihm weich auf die Schultern. Wie gern möchte ich mit meinen Fingern hindurchfahren, ihm in seine unendlich dunklen Augen sehen, um die sich eben kleine Lachfältchen zeigen.

      Endlich.

      Kay lächelt in meine Richtung. Ein umwerfendes Lächeln, das jeden in seinen Bann zieht. Auch jetzt drängen sich die Anwesenden um ihn, in respektvollem Abstand noch. Kay ist unumstrittener Mittelpunkt. Wie in Zeitlupe sehe ich ihn die Lippen öffnen. Mein Herz schlägt wie wild, Freudentränen schießen mir in die Augen. Alles in mir schreit danach, ihn zu berühren.

      »Ich liebe dich so, so sehr.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, aber Jill muss meine Worte gehört haben. Sie sieht mich mit kraus gezogener Stirn an und schüttelt verächtlich den Kopf. Soll sie doch denken, was sie will. Denn jetzt hebt Kay seine Hand, winkt mir zu.

      Sam Oscar schiebt sich mit vorgestrecktem Arm zwischen die Smokings und Abendkleider und ergreift Kays Handgelenk. »Kommen Sie, Mr Raymond, ich möchte Ihnen Ihre Begleiterin vorstellen. Sie sollten sich kennenlernen, bevor Sie gemeinsam das Abenteuer Ihres Lebens bestreiten.«

      Kay lächelt zwei Damen entschuldigend an, die ihm mit schmachtendem Blick nachsehen, während er auf mich zukommt.

      »Das ist Alison Hill. Sie werden die nächste Zeit miteinander verbringen.«

      »Alison Hill?« Irritiert sucht Kay Oscars Blick. »Aber das ist der Name meiner Frau.«

      Aha! Jetzt spätestens weiß Jill, Kay ist verheiratet. Ich beobachte ihre Reaktion aus den Augenwinkeln, doch Jill macht sich nur noch ein bisschen gerader und sieht mit schräg gelegtem Kopf zu Kay hoch, der auf Oscars Erklärung wartet.

      »Ach so?« Der Wissenschaftler zuckt mit den Schultern. »Ein bemerkenswerter Zufall, wie es scheint. Nun zumindest, dies ist Ihr Scout.«

      Ich würde Kay am liebsten um den Hals fallen, ihn küssen, mich an ihn schmiegen. Jede Faser in mir sehnt sich nach ihm. Aber er kennt mich noch nicht einmal. Was für ein Irrsinn! Ich sehe zu Kay hoch, die Hände hinter dem Rücken verkrampft.

      »Ich hatte gehofft, eine hübsche Begleiterin zu haben, aber nicht gewagt, mir so viel Anmut