Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Название Der Seele tiefer Grund
Автор произведения Beate Berghoff
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347094444



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am Anfang meistens recht schnell wieder weg, denn, wer weiß, vielleicht war es ja schon morgen zu Ende? Aber trotzdem. Das kleine Glücksgefühl schmuggelte sich immer öfter ein, und bald konnte Veit es aushalten und irgendwann sogar genießen.

      Der Frühling wurde zum Frühsommer und zum Sommer. Heinrich und Veit schufteten jeden Tag zusammen, und für Heinrich wurde es immer leichter. Die tägliche Arbeit machte ihn gesund und fit und muskulös. Sein Bein schmerzte nicht mehr und die Kopfschmerzen, die er früher ab und zu gehabt hatte, kamen nicht wieder. Heinrich gefiel die Arbeit mittlerweile. Anfangs hatte er zu Mittag immer eine wirklich lange Pause gemacht, aber nach einiger Zeit brauchte er die lange Rast nicht mehr. Es war ihm zur Gewohnheit geworden, zusammen mit Veit draußen sein Mittagessen einzunehmen, danach noch etwas zu dösen und dann gleich weiter zu machen.

      Veit hatte solange immer allein gegessen, dass es für ihn am Anfang wirklich seltsam war, mit dem Herrn gemeinsam zu essen. Er sehnte sich fast nach der Einsamkeit, doch nach und nach gewöhnte er sich dran, und es gefiel ihm immer besser. Am Abend war er dann trotzdem erschöpft und verzog sich am liebsten alleine irgendwohin, aber da war Heinrich sowieso anderweitig beschäftigt.

      Sie aßen ihr Brot und ihren Käse draußen, und meistens gab es noch irgendwas Leckeres zusätzlich. Und weil Heinrich der Herr war, waren Brot und Käse immer frisch, auch Butter gab es, und die zusätzliche Leckerei war etwas, das Veit so nie bekommen hätte. Danach dösten sie noch etwas, auch das hatte Veit bis dahin nicht gekannt, und er genoss es.

      Er wusste, dass die anderen Dienstboten tuschelten, und ihn seltsam von der Seite her ansahen. Er war der Verräter, der Außenseiter, aber plötzlich stand er wieder in Gnade. Die Leute wussten offenbar nicht, wie sie ihn behandeln und mit ihm umgehen sollten. Aber das war Veit mittlerweile egal. Er brauchte sie nicht mehr. Er arbeitete hauptsächlich mit Heinrich und hatte eigentlich nur mit ihm und mit dem Verwalter zu tun. Natürlich musste er Pferde aus den Ställen holen, aber dabei ignorierte er die anwesenden Knechte und Mägde und machte seine Arbeit ohne großes Aufsehen.

      Da Veit anscheinend in Heinrichs Gunst stand, hatten die meisten Leute auf dem Gut damit aufgehört, ihn zu triezen. Sie spuckten nicht mehr vor ihm aus, stellte ihm kein Bein mehr, warfen ihm keine Steine oder faules Obst hinterher. Sie hatten aufgehört, und Veit war gottfroh darüber. Der Schmied und seine Mutter waren die einzigen, die Veit noch sehr deutlich zeigten, dass sie ihn aus tiefster Seele verachteten, doch Veit tat konsequent so, als würde er es nicht merken, auch wenn es ihm immer noch und immer wieder weh tat.

      Heinrich und Veit hatten einen Rhythmus gefunden. Heinrich kam nach dem morgendlichen Treffen mit dem Verwalter und Martin, und sie begannen ihr Tagwerk. Sie bauten an den Ställen weiter, und übten mit den Pferden. Mittags aßen sie zusammen, dösten, arbeiteten weiter. Am Abend traf sich Heinrich meistens mit Martin, um mit ihm Französisch und Bretonisch zu üben. Danach kamen Alban und immer öfter auch Ulrich. Sie aßen Abend und sangen. Manchmal war auch Veit dabei, weil Heinrich ihn eingeladen hatte. Aber er merkte recht schnell, dass er nach den vielen Jahren, die er in Einsamkeit und Stille verbracht hatte, am Abend seine Ruhe brauchte. Meistens zog Veit sich nach dem Essen, oder mit seinem Essen, in ein ruhiges Fleckchen mit Bäumen oder Büschen zurück. Die Leute taten ihm nichts mehr, aber es lud ihn auch niemand ein, mit am Tisch zu sitzen, und irgendwie war Veit froh darüber. Was hätte er auch schon reden sollen nach zehn Jahren? Und er brauchte die Leute nicht. Er hatte Heinrich und Martin und den Verwalter, und vor allem die Pferde.

      Am Anfang hatten sie nur zwei Pferde gehabt. Einen zweijährigen Hengst, und die wilde Stute. Die Stute, Mara, war weiß und wunderschön, aber sie ließ niemanden an sich heran. Eigentlich war sie ein berittenes Pferd, aber sie hatte panische Angst vor Menschen. Irgendetwas Schlimmes musste ihr passiert sein, entweder ein Unfall oder der Reiter hatte sie misshandelt. Ein Bekannter von Heinrich, der Onkel seines Freundes Albrecht, hatte ihm Mara geschenkt. Niemand konnte das Pferd zureiten und sowohl Albrecht als auch der alte Herr Endres hatte irgendwann keine Lust mehr gehabt, mit dem Pferd zu arbeiten. Es war aussichtslos, und so hatte Endres es an Heinrich verschenkt. Insgeheim hatte es ihn amüsiert, dass Heinrich unbedingt arbeiten und Pferde bereiten wollte, an Mara würde er sich die Zähne ausbeißen. Vermutlich hätte Heinrich sich auch die Zähne ausgebissen und die Geduld verloren, aber Endres hatte nicht mit Veits Beharrlichkeit gerechnet. Heinrich sah mit Ehrfurcht zu, mit welch unerschöpflichen Geduld Veit versuchte, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen. Es ging so unendlich langsam.

      Es kamen mehr Pferde dazu. Heinrich war mit Veit auf einen Pferdemarkt gereist, und hatte noch einen Dreiährigen gekauft, den sie zu einem Schlachtross ausbilden wollten. Weiterhin waren vier adelige Herren aus der weiteren Nachbarschaft aufgetaucht und hatten Pferde zum Ausbilden gebracht. Heinrich war ab und zu auf irgendwelchen Festen der Nachbarn eingeladen, wahrscheinlich hatte er von seinen Plänen erzählt, und es hatte sich herumgesprochen.

      Sie hatten also wirklich viel Arbeit, und bald sprachen sie darüber, dass sie es zu zweit nicht mehr lange schaffen würden. Sie mussten noch Leute dazu nehmen. Und nachdem keiner so gut reiten konnte, musste man entweder Pferdetrainier von weiter weg einstellen, oder selbst Jungen vom Gut ausbilden. Das bereitete Veit einiges Kopfzerbrechen. Niemand hier würde ihm freiwillig den Sohn überlassen, und unter Zwang würde so etwas nicht funktionieren. Scheu hatte Veit Heinrich seine Bedenken erzählt, aber Heinrich war anderer Meinung. Er war sich sicher, dass die meisten Jungs auf dem Gut liebend gerne lernen würden, wie man Pferde zureitet, und Veit wusste, dass er sich fügen würde.

      Es war überhaupt seltsam mit dem Fügen. Früher, als sie Kinder und später junge Kerle waren, war Veit Heinrichs Lehrer gewesen, und was er sagte, wurde gemacht. Nun war Heinrich der Herr, und Veit gab sich große Mühe, diese Tatsache immer und zu jeder Zeit in all seinen Gedanken, Worten, Taten zu bedenken. Manchmal war das gar nicht so leicht, denn Heinrich und Veit arbeiteten zusammen, aßen zusammen, schwitzen zusammen, wurden zusammen dreckig, badeten zusammen im Bach nach einem langen Arbeitstag, und irgendwann lachten sie auch zusammen.

      Es war für Veit nicht leicht, immer und immer wieder die Grenze zu erkennen und zu wahren. Er achtete genau drauf, Heinrich immer nur als „Herr“ und mit „Ihr“ anzusprechen. Auch wenn sie zusammen lachten und herumblödelten, war sein Gefährte eben nicht wie früher der Heinrich, sondern der Herr. Jeden Tag aufs Neue.

      Heinrich bemerkte das natürlich, und er wusste selbst nicht, was er davon halten sollte. Er sah Veit längst wieder als Freund, aber er war halt einfach der Herr hier. Vielleicht war es ganz gut, den Respekt und die Unterordnung des anderen Mannes einzufordern, weil Heinrich wirklich keine Lust auf ständige Debatten und Rechtfertigungen seinerseits hatte. Er wusste, dass Veit mit Pferden besser war als er, und wohl immer besser sein würde, und er wollte sich auf gar keinen Fall wieder unterbuttern lassen. Außerdem war Veit ein Leibeigener, und Heinrich fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass Veit ihn vor anderen Adeligen von Stand evtl. mit dem Vornamen ansprechen und duzen würde. Das würde sein eigenes Ansehen wohl schmälern. Irgendwie fühlte sich das nicht so gut für ihn an. Er fand, dass sie beide wunderbar zusammenarbeiteten, so wie es gerade war, zu viel Nähe und Gleichheit konnte da durchaus Unruhe reinbringen. Sein Halbbruder Martin durfte ihn längst als Heinrich ansprechen, aber der war auch keine Konkurrenz mit den Pferden und eigentlich auch kein Leibeigener. Heinrich hätte ihm schon längst die Freiheit gegeben, aber der Verwalter und der rechtskundige Mönch aus dem Kloster waren nach längerer Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass Martin nie unfrei gewesen war.

      Der Sommer wurde immer heißer. Es war August, und die Arbeit ging oft zäh, eben weil es so heiß war. Heinrich und Veit ritten die Pferde ganz in der Früh oder in den Abendstunden, weil es ja auch so anstrengend war. Den Rest der Zeit arbeiteten sie mit Ställen und Koppeln. Heinrich besserte mit Veit Zäune aus, und manchmal hatte er aber auch einfach keine Lust und legte sich in seiner kühlen Kammer hin. Manchmal kam auch Veit dazu auf der Flucht vor der Hitze. Sie konnten stundenlang zusammen in Heinrichs Arbeitszimmer sitzen und kühlen Most trinken und über Pferde reden, oder aber auch schweigen. Heinrich liebte es, zu dösen, und auch Veit hatte längst Gefallen daran gefunden. Er genoss es nach all den harten Jahren, auch einmal nichts zu tun und einfach nur die Augen zu schließen und ohne Angst in der Gesellschaft eines anderen Menschen zu sein. Für ihn waren diese ruhig vertrödelten Nachmittage wie ein kostbarer Schatz, der sein Herz