Der wilde Weg der Honigbienen. Christoph Nietfeld

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Название Der wilde Weg der Honigbienen
Автор произведения Christoph Nietfeld
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783347065055



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Einhängen von Fangwaben mit Drohnenbrut, die Bildung von Brutablegern und die Bildung eines Kunstschwarmes. Hintergrund der beiden erstgenannten Maßnahmen ist, dass sich die Varroamilbe bevorzugt in der Drohnenbrut vermehrt, was bedeutet, dass sich ein eventuell vorliegender Milbenbefall dort konzentrieren und durch eine Beseitigung der Drohnenbrut eindämmen lässt. Die Drohnen sind die männlichen Bienen, die im Frühling und Frühsommer aufgezogen werden.

      Die Drohnenbrut wächst in eigens für sie gebauten Zellen auf, die größer sind als die Zellen für die Arbeiterinnenbrut. Ich habe hierzu in meinen Imkerzeiten ein leeres Rähmchen in meine Bienenvölker gehängt, das unverzüglich mit Drohnenzellen ausgebaut wurde. Warum das so war, kann ich mir nur damit erklären, dass die Drohnenbrut – wie ich eben schon angedeutet habe – ein spezielles, das heißt größeres Zellmaß erfordert, als es den Bienen auf den vorgeprägten Mittelwänden im Allgemeinen angeboten wird. In derart bewirtschafteten Völkern herrscht somit ein Mangel an Drohnenbrutplätzen, sodass jede Gelegenheit zum Anlegen von Drohnenbrut genutzt wird, denn die Vermehrung und somit der Fortbestand aller Lebewesen hat oberste Priorität. Ein Ausbau der vorgeprägten Zellen zu Drohnenbrutwaben ist den Bienen scheinbar nicht möglich. Lediglich an vereinzelten Stellen, an den Rändern einiger Waben, bauen sich die Bienen solcher Völker die vorgeprägten Zellen vereinzelt zu Drohnenbrutzellen um. Vorherrschend bleibt jedoch ein Mangel an Drohnenbrutplätzen, weshalb ein Rähmchen ohne vorgeprägte Mittelwand von den Bienen unmittelbar zu einer Drohnenbrutwabe ausgebaut wird. Wenn die Maden der Drohnenbrut sich so weit entwickelt hatten, dass die Zellen von den Bienen weitestgehend alle verdeckelt – das heißt in Imkersprache „verschlossen“ – worden waren, habe ich die Wabe mit der Drohnenbrut entnommen, die Brut herausgeschnitten und mit etwas Entfernung zum Bienenstand abgelegt und sich selbst überlassen. Dabei hatte ich in Kauf genommen, dass die Drohnen starben. Das habe ich etwa dreimal pro Saison und Volk gemacht und damit vielen Tausend Drohnen das Leben genommen.

      Manchmal wurden die Drohnenlarven von Meisen aus den Waben gepickt, die sie an ihre Jungen verfütterten. Wenn das nicht der Fall war, verwesten die Maden und es verbreitete sich ein unangenehm süßlicher Geruch nach Aas am Bienenstand, sodass ich die Waben dann schließlich vergrub. Aber dieses Verfahren fördert neben der grausamen Tatsache, dass ich dabei Tausende von Drohnen achtlos töte, eine zweifelhafte Entwicklung. Denn es liegt nahe, dass durch das Ausschneiden diejenigen Milben, welche die Drohnenbrut bevorzugen, ausselektiert werden. Im Umkehrschluss überleben und vermehren sich vorwiegend die Milben in der Arbeiterinnenbrut, also diejenigen, die durch die Maßnahme eigentlich bekämpft werden sollten. Das könnte dazu führen, dass sich das Verhältnis des Milbenbefalls zwischen der Drohnenbrut und der Arbeiterinnenbrut zu Ungunsten der Arbeiterinnenbrut verschiebt, sodass derjenige Teil des Volkes zu leiden beginnt, der durch die Maßnahme eigentlich geschützt werden sollte. Sollte dies so sein, entpuppt sich diese biotechnische Maßnahme als eine nicht nachhaltige. Zudem drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss es auf die Fortpflanzung hat, wenn zu wenige Drohnen zur Verfügung stehen, weil sie systematisch vernichtet werden.

      Nach meiner Wahrnehmung stellt die Varroamilbe mittlerweile ein extremes Feindbild dar, sodass jedes Mittel recht erscheint, um sie zu bekämpfen. Getreu nach dem Motto: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Die Varroamilbe als der Staatsfeind Nummer eins, den es um jeden Preis zu bekämpfen gilt, selbst wenn die Bienen dabei draufgehen? Hauptsache, die Milbe wird beseitigt? Was, wenn es neben der Varroamilbe auch noch andere schädliche Quellen für die Bienen gibt, die von dem Feindbild „Varroa“ profitieren, da es für Ablenkung sorgt? Wie ist es zum Beispiel mit dem Einsatz von Pestiziden?

      Wessen Wissen und welche Interessen stehen bei der Bekämpfung der Milbe oder bei der „Rettung der Bienen“ im Vordergrund? In einem konkreten Fall berichtete die New York Times über die Einflussnahme des Agrarkonzerns Syngenta auf die Forschungsarbeit von Dr. James Cresswell an der Universität Exeter in Großbritannien. Anfänglich äußerte sich dieser zu verschiedenen Forschungsergebnissen skeptisch, dass Insektizide der Gruppe der Neonikotinoide für das Bienensterben verantwortlich sein könnten. So kam es, dass Syngenta sich anbot, seine Forschungen zu weiteren Ursachen des Bienensterbens zu finanzieren. Jedoch zeigten erste Untersuchungen bereits, dass die Varroamilbe für das Bienensterben nicht infrage kam, wodurch die Neonikotinoide wieder in den Vordergrund rückten. Daraufhin forderte Syngenta Cresswell auf, seine Forschungen wieder auf die Varroamilbe zu konzentrieren.8 Das mag nur eines von vielen Beispielen sein. Mit der Milbe ist ein Allein-Schuldiger gefunden, dessen schlechtes Image zudem nicht geschäftsschädigend wirkt.

      Wo es ein Problem zu bekämpfen gibt, winkt auch immer ein Geschäft – vor allem, wenn man nach Wegen sucht, Symptome zu bekämpfen – wie die Milbe –, ohne nach den Ursachen zu schauen. So wundert es kaum, dass zum Beispiel der Agrarkonzern Monsanto verspricht, ein biotechnologisches Wundermittel gegen die Varroamilbe zu entwickeln. Hierbei plant Monsanto, die Varroamilbe mittels Gentechnik zu bekämpfen, berichtet der Informationsdienst Gentechnik in seinem Artikel: „Nächste Phase der Monopolstellung: Monsanto will Bienen retten“9. Es soll demnach eine neue Gentechnik-Methode zum Einsatz kommen, die als RNA-Interferenz bezeichnet wird. Dabei wird über die RNA (Ribonukleinsäure) gezielt Einfluss auf die Aktivität von Zellen genommen. In diesem Fall soll eine spezielle RNA-Lösung mit Zuckerwasser vermischt und den Bienenlarven verabreicht werden. Theoretisch sollen diese dabei nicht geschädigt werden, wohl aber die Parasiten, indem in ihren Zellen überlebenswichtige Gene abgeschaltet werden.

      Der Kreativität fragwürdiger Erfindungen sind keine Grenzen gesetzt. So berichtet die Firma Bayer in ihrem Forschungsmagazin „research“ über ihr Varroa-Gate. Hierbei besteht das Flugloch der Bienen aus mehreren Löchern und: „Beim Einflug in den Stock streift die Biene den Anti-Milben-Wirkstoff vom Rand ab und nimmt ihn mit nach innen. Aus dem Kunststoffstreifen strömt sofort neue Substanz an die Oberfläche nach und bietet so einen Langzeitschutz“10, so verspricht der Hersteller. Bei all diesen Methoden der Milben-Bekämpfung ist eines sicher: Die eigentliche Ursache für den Milbenbefall wird außer Acht gelassen.

      Es gibt auch noch andere Bemühungen, die aber ebenfalls nicht auf eine Bekämpfung der Ursachen abzielen. So etwa an der Universität Hohenheim. Diese entwickelte ein Verfahren, bei dem das Paarungsverhalten der männlichen Milben durch das Einbringen eines Pheromonextraktes in den Bienenstock gestört werden soll.11 Des Weiteren ist zu lesen, dass der Insektenforscher Prof. Philip Howse von der Universität Southampton versucht, mittels eines Puders, bestehend aus negativ geladenen, feinen Wachspartikeln, und Pflanzenöl die positiv geladene Hülle der Varroamilbe zu verkleben.12 Die Odyssee der Verfahrens(ver-)suche gegen die Varroamilbe geht weiter über die Bienensauna13, führt zu rotierenden Waben14 und so weiter und so fort. Es liegt mir nicht daran, diese Bemühungen nach ihrem Sinn oder Unsinn zu hinterfragen. Derartige Eingriffe, insbesondere das Einbringen von Fremdstoffen in das Bienenvolk, fühlen sich für mich jedoch nicht richtig an.

      Wie eingangs erwähnt, ist die Behandlung mit Ameisensäure für die Milben tödlich, wohingegen die Bienen die Prozedur überleben. Dabei hat die Ameisensäure insgesamt ein gutes Image, weil sie als organische Säure auch in der Natur vorkommt und sich angeblich kaum im Honig und den anderen Bienenprodukten anreichert. Aber wie immer macht die Konzentration das Gift. Nur weil die Ameisensäure auch in der Natur vorkommt, ist sie im Bienenvolk in der verabreichten Konzentration noch lange nicht natürlich. Ich habe ein paarmal aus Unachtsamkeit etwas Ameisensäuredampf eingeatmet, und das war höchst unangenehm und auch nicht ganz ungefährlich. Es war ein Stechen in der Nase, sodass ich mich sofort weggedreht habe und einen Schritt zurückgegangen bin. Ich versuchte mir also vorzustellen, wie es den Bienen erging, während die Ameisensäure im Bienenkasten verdampfte: Ich bin also eine Biene. Ich lebe mit meinen Schwestern zusammen in einem Kasten. Wir verständigen uns im Bienenstock vorwiegend mit Duftstoffen, denn unsere Augen sind in der Dunkelheit wenig hilfreich. Deshalb habe ich sehr empfindliche Geruchsorgane, um die Informationen aus meiner Umgebung aufzunehmen. Plötzlich übertönt ein stechender, ätzender Geruch alle meine Sinne. Ich bekomme Panik, ich bin blind, kann meine Umgebung nicht mehr wahrnehmen – und das über mehrere Tage. Alles gerät durcheinander, Arbeitsabläufe sind gestört. Ich kann nicht beurteilen, was als Nächstes zu tun ist im Bienenstock. Ist die Brut hungrig? Soll ich Wachs ausschwitzen? Soll ich ausfliegen und Nektar oder Pollen sammeln? Wo bin ich?