Название | Strategie als Beruf |
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Автор произведения | Maximilian Terhalle |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783828874107 |
3. Ohne Konflikt keine Strategie
Die aus solchem Antagonismus erwachsenden, potentiell gewaltsamen Konflikte des internationalen sozialen Lebens sind gleichzeitig der empirische Ausgangspunkt der Strategielehre (Freedman 2013). Strategien sind deshalb nicht notwendig, wenn Politik – mitunter schwierige – innergesellschaftliche Herausforderungen durch einen weitestgehend funktionierenden Apparat und Prozesse kanalisieren kann. Strategien sind auch nicht notwendig, wenn Außen-, europäische und internationale Politik mittels routinemäßiger und institutionalisierter Arbeits- und Spitzentreffen weiche (Umwelt) oder harte (Abrüstung) Themen bearbeiten. Strategien sind vielmehr dann gefordert, wenn sich politisches Konfliktpotential zunächst unmerklich entwickelt, dann deutlicher werdend anbahnt und sich – trotz Androhung von Gewalt nicht entschärft – entlädt; ungeachtet der Existenz völkerrechtlicher Normen und nicht kodierter Verhaltensregeln. In dieser Sphäre, in der „das nicht organisierte, nicht rationalisierte Leben zur Geltung kommt, [wird] Handeln […] nötig“ (Mannheim 1995, S. 100).
Hier kommt nun der Erkenntnis Clausewitz’, dass das Verfolgen politisch widerstreitender Ziele in jegliche Betrachtung über Krieg einfließt und Krieg deshalb nie als separates Phänomen betrachtet werden sollte, für das Nachdenken über Strategie weitreichende Bedeutung zu. An keiner Stelle sprach er von einer logischen Folge, die den Krieg zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln macht; nur mehr fand er hierin schlicht eine Beschreibung, die die nicht friedliche Auflösung politischer Antagonismen zuweilen, aber nicht zwingend, im Krieg sah. Für ihn war die Formulierung von Strategie bereits zu Friedenszeiten deshalb von höchster Bedeutung, weil die politische Genese von Konflikten es just ermöglichte, ihr jeweiliges Anwachsen klug auch mit nicht blutigen Mitteln zu adressieren. Gleichsam zeitlos schlug er deshalb Strategen vor, Konflikten zu begegnen, indem bestehende Allianzen von Gegnern durch geschicktes Säen von Zwietracht möglichst früh unterlaufen oder, im Kriegsfall, Feinde bei der konkreten Allianzbildung gestört werden (Clausewitz 1980, S. 218–219).
Strategien sind mithin in erster Linie für jene Konflikte zu entwerfen, die sich zwischen Großmächten anbahnen, unter der Schwelle zu militärischer Gewalt schwelen (und dort gebannt werden können) oder in tatsächliche Auseinandersetzungen übergehen. In allen drei Varianten muss sich der (potentielle) Konflikt nicht direkt und großflächig zwischen den Großmächten ergeben oder ereignen; (vehementer) Streit über das Verhalten von respektiven Verbündeten, über normativ abgeleitete Handlungen oder (zunächst) begrenzte Inkursionen genügen. Strategielehre trägt nun dazu bei, eine analytisch begründete Kontextualisierung von Einzelereignissen zu ermöglichen. Eine derartige Kontextualisierung kann zu dem Ergebnis führen, dass das Einzelereignis eben genau ein solches ist; sie kann aber auch den Zusammenhang einer größeren, revisionistischen Strategie einer oder mehrerer Großmächte herausstellen.
Strategen, die aufgrund dieser Konfliktnatur der Politik den Erhalt von Machtgrundlagen der westlichen internationalen Ordnung und damit den Erhalt ihrer Lebenswelt als Kern ihrer Arbeit betrachten, sehen sich deshalb in der Pflicht, stets kritisch gegenüber dem Austesten ihrer Willensstärke, versteckten wie expliziten Drohungen, schleichender Unterminierung oder überraschenden Angriffen durch andere zu sein. Lawrence Freedman (2016, S. 387) hat diese nie aufzugebende, klassisch realistische Sensibilität knapp als „the dark side of the strategic imagination“ genannt. Worst Case-Annahmen bilden darin den (militärisch) harten Untergrund einer steten, aber nicht deterministischen Haltung des Misstrauens gegenüber Voraussagen unausweichlichen Fortschritts und der Annahme der Selbstverständlichkeit politischer Freiheit. Gauck mahnte deshalb unlängst und unbewusst strategisch, solche Wachsamkeitspflicht schütze dagegen, dass „andere […] Hand an unsere Lebenswelt, an unsere Freiheit legen“ (zit. n. Mangasarian und Techau 2017, S. 163).11 In diesem expliziten Sinn hat er klar die Frage nach dem Kern des wofür eines deutschen Einstehens durch mehr Verantwortung beantwortet.
4. Klassiker Clausewitz
Ganz im Sinne seines militärischen, historischen Ursprungs bezeichnete Clausewitz Strategie als Duell konfligierender Willen. Während er die herausragende Wichtigkeit der – aufgrund der oben genannten Unsicherheit – extrem schwierigen Analyse gegnerischer und, im Falle kriegerischen Konflikts, feindlicher Intentionen betonte, kann von einem Duell allein heute allerdings keine Rede mehr sein. Nicht nur die öffentliche Meinung der involvierten Antagonisten, die Kohäsion ihrer Bündnisse und die jeweilige innenpolitische Konsensschaffung spielen wesentliche Rollen. Auch verfolgen Entscheidungsträger selbst in Krisen multiple Ziele, die das übergeordnete Ziel möglicherweise, wenn auch unbewusst, unterlaufen. Clausewitz machte allerdings früh deutlich, dass der kontinuierliche Erhalt wirtschaftlicher Stärke Aufgabe des Staates zu Friedenszeiten und dies wesentlich bei der Strategiebildung war. In Friedenszeiten war Strategie für ihn somit integraler Bestandteil staatlicher Planung, da Konflikte aufgrund der steten Unzufriedenheit einiger mit dem Status quo permanent gedacht werden mussten (Heuser 2010, S. 488–489).
Die heute von der Strategieforschung am meisten anerkannte Leistung Clausewitz’ besteht nun darin, nicht lineare und reziproke Wirkungsdynamiken von und in Konfliktsituationen erkannt zu haben.12 Er hinterfragte einfache Ziel-Wirkung-Annahmen, die sich auf seinerzeitige (und teils noch heute anzutreffende) rationalistische Kalkulationen der vorhandenen Mittel in Bezug zur Erreichung eines Ziels beriefen. Er begriff so die reziproke Dynamik von diplomatischen und militärischen Konfliktentwicklungen, von Zufällen und deren beider begrenzte Steuerungsmöglichkeit durch eine genaue politische Zielbestimmung. Friktionen werden vielmehr qua natura von dieser wunderlichen Trinität generiert und erschweren in erheblichem Maße die kognitive Greifbarkeit und analytische Beantwortung ihrer diffusen und komplexen Dynamik untereinander.
Clausewitz war sich somit unweigerlich des Problems strategischer Unvorhersehbarkeit in Konflikten bewusst, verneinte aber stringent – obschon heute von Chaos-Theoretikern übersehen –, dass dies zu einer Tabula rasa führen müsste. Im Gegenteil: Er insistierte, dass (Donald Rumsfelds) unkown unknowns immer nur ein Teil der Planung war. Selbst im sich anbahnenden oder realen Konfliktfall gab es militärische Mechanismen (Blockaden) und bzw. oder diplomatische Vorgehensweisen (Sanktionen, Allianzbildung), die ihre Ziele bewirken konnten. Überdies waren Gegner (und Feinde) gleichermaßen jenen Friktionen ausgesetzt, die der Trinität von Konfliktdynamiken entsprangen. Er sah Erschütterungen der Zielplanung mithin als gegeben an und inkorporierte Planungen für Eventualitäten in sein Denken. Trotz dieser inhärenten Ungewissheit, so wies er Anführer an, waren übergeordnete Ziele mit Beharrlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren, indem Beschränkungen des Handelns jeweils durch adaptives Verhalten aufzulösen waren. Helmuth Karl Bernhard von Moltke sollte dies 80 Jahre später so fassen: „Die Strategie ist die Fortbildung des ursprünglich leitenden Gedankens entsprechend den stets sich ändernden Verhältnissen“ (zit. n. Herberg-Rothe 2017, S. 180). Überdies sollte sich jeder kluge Planer solches Herangehen mit einem möglichst akkuraten Überblick über die Intentionen und die Natur des Konfliktgegners erleichtern, ohne dabei der defensiv gefärbten Rhetorik des Gegenübers zu glauben (Freedman 2013, S. 86–92; Herberg-Rothe 2017, S. 149–183).13
5. Internationale Strategielehre heute
Die moderne Lehre von der Strategie baut auf den klassischen Einsichten Clausewitz’ auf. Sie beschäftigt sich mit der systematischen Analyse menschlicher Entscheidungsfindung in oft, aber nicht vollständig,