Название | Jugend in Berlin |
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Автор произведения | Michael Kruse |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947380664 |
Deutlich wird gerade im Medienbereich, wie sich die DDR und ihre Medienlandschaft seit der Wende für Jugendliche geändert hat: Intensiver Zugang zum Medienmarkt der Bundesrepublik Deutschland, erweitertes Medienangebot (Video, Computerspiele usw.), Kommerzialisierung des Medienmarktes und Erweiterung der audiovisuellen Kommunikation. Hier weist Bernd Lindner auf einen wichtigen Aspekt hin: „Die Medienzentriertheit des Freizeitverhaltens wird weiter zunehmen, schon weil auf diesem Gebiet das Gros der neuen Angebote erfolgen wird. Bisher in der DDR nur wenig verfügbare technische Geräte (wie Videorecorder und -kameras, CD-Player, Computer) wollen in ihren Möglichkeiten erkundet und ausgeschritten werden. Von einem ‚West-Schock‘ ist bei den DDR-Jugendlichen gegenwärtig nur wenig zu spüren, eher ein selbstverständliches Sich-Bedienen an den neuen Möglichkeiten“ (Lindner in: Friedrich/Griese 1991: 113). Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie Ost- und Westberliner Jugendliche die Medien nutzen, wo es Unterschiede und wo es Gemeinsamkeiten in der Rezeption gibt.
Der Besitz von Medien
„Ich bin im Besitz von einem Radio, von einem Kassettenrecorder, einem Walkman. Meine Mutter hat ’nen Plattenspieler und auch ein Radio, gleich drüben. Wir besitzen keinen Videorecorder, keinen CD-Player, keinen Computer“, berichtet Peter (13) aus Ostberlin unmittelbar nach dem Mauerfall. Dagegen der Westberliner: „Ich habe einen ziemlichen Maschinenfuhrpark zu Hause, würde ich fast behaupten, was haben wir denn? Also zwei Fernseher stehen rum, zwei Stereoanlagen, dann eben Computer noch, alles eigens Zeug …“, so Peter (14) aus Westberlin, der sichtbar stolz auf seine Medienlandschaft ist. Unterschiedlicher könnten die Aussagen der Jugendlichen unmittelbar nach dem Mauerfall gar nicht sein.
Gut 30 Jahre später sieht es dagegen völlig anders aus. Ferchhoff bringt es auf den Punkt, wenn er von einem „elektronischen Paradies“ spricht (Ferchhoff 2007: 367). Betrachtet man bei den Jugendlichen den Umfang des Besitzes von Medien, so lassen sich heute zwischen Ost und West keine Unterschiede mehr feststellen. Laut JIM-Jugendstudie 2018 besitzen praktisch alle Jugendlichen in Deutschland ein Handy (99 %), einen Computer/Laptop (98 %) und ein Fernsehgerät (95 %) (vgl. MPFS 2018). Auch Westberliner Jugendliche besitzen heute keine umfangreichere Medienausstattung mehr als Ostberliner Jugendliche. Auffällig ist jedoch, dass sich die traditionellen Medien zum Zeitpunkt der Interviews oft fast ausschließlich im Besitz der Westberliner Jugendlichen befanden.
Hinsichtlich der Ausstattung mit Medien bei den Ostberliner Jugendlichen hat seit der Wende relativ rasch eine Angleichung stattgefunden. Es fällt jedoch auf, dass die Medien, wie z. B. das Fernsehgerät, sich zum Teil auch heute noch im Besitz der Eltern befinden. „Es gehört allen, der Kassettenrecorder gehört allen, der Fernseher gehört allen, Plattenspieler gehört allen“, so Andrea (17) aus Ostberlin. Dies hat zur Folge, dass die Auswahl der Fernsehprogramme auch von den Eltern zum Teil bestimmt und kontrolliert wird. Dieser Trend wird noch dadurch verstärkt, dass durch die Arbeitslosigkeit der Eltern diese Zeit zwangsläufig oft zu Hause vor dem Fernsehgerät verbracht wird. Auswirkungen auf den Medienkonsum haben sicher auch die beengten Wohnverhältnisse, die zu Beeinträchtigungen im Medienkonsum der Ostberliner Jugendlichen führten: „Ich habe ein Zimmer zusammen mit meinem Bruder, das muss ich mit ihm teilen“, erklärt Thomas (14) aus Ostberlin.
Ulrich Beck betont die Doppelfunktion der Medien: „Die Medien, die eine Individualisierung bewirken, bewirken auch eine Standardisierung“ (Beck 1986: 210). Hartmut Rosa weist darauf hin, „dass sich das durchschnittliche Lebenstempo seit dem Beginn der Moderne kontinuierlich, wenngleich nicht linear, sondern in von Pausen und kleineren Trendumkehrungen unterbrochenen Schüben beschleunigt hat“ (Rosa 2005: 199). Konkret zu den Medienkonsument*innen meint Rosa: „Kaum zu bezweifeln ist die Tatsache, dass eine wachsende Zahl von verfügbaren und potenziell interessanten Gütern und Informationen die Zeitspanne verkürzt, die jedem einzelnen Gegenstand gewidmet werden kann: Wenn wir einen konstanten Anteil unseres Zeitbudgets dem Lesen von Büchern, dem Hören von CDs und der Beantwortung von E-Mails widmen, sinkt die durchschnittliche Dauer, die wir jedem Buch, jeder CD und jeder E-Mail-Nachricht widmen können, parallel zur Steigerung der Zahl an Büchern und CDs, die wir pro Zeiteinheit erwerben (oder ausleihen), bzw. zur Zahl der E-Mail-Nachrichten, die wir empfangen und versenden“ (ebd.: 203). Eine Tendenz, die heute sicher nicht nur Jugendliche betrifft.
Interessanterweise kauften sich fast alle interviewten Ostberliner Jugendlichen von ihrem Begrüßungsgeld im Westen einen Walkman, der heute unbeachtet in der Ecke liegt. Nach der JIM-Jugendstudie von 2018 nutzen Jugendliche an erster Stelle das Internet und das Smartphone (vgl. MPFS 2018). Das Mediennutzungsverhalten Jugendlicher hat sich in den letzten Jahren also radikal verändert, so ist z. B. das Radiohören auf den 6. Platz zurückgefallen. Zeitungen und Zeitschriften, aber auch das Fernsehen könnten langfristig auf der Strecke bleiben. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass hinsichtlich des Besitzes von Medien in Ost- und Westberlin heute keine Unterschiede mehr zu beobachten sind. Auch die angesprochene Beschleunigung der Nutzung der Medien, die im Besitz der Jugendlichen sind, erfahren keine Ost-West-Unterschiede.
Fernsehen
„Ja, ich denke, dadurch, dass jetzt die Mauer gefallen ist, irgendwie hat sich doch schon ziemlich viel verändert. Man hat halt viel mehr Freiheiten, irgendetwas zu machen, und ich glaube, so früher, was ich da gehört habe, wo dann die Leute die Kinder ausgefragt haben, ob die Eltern Westfernsehen gucken und so. Das war damals tabu, aber als ich in diesem Alter war, durfte ich das halt machen, und da war es auch ganz normal, ZDF zu gucken und so“, sagt Petra (13) aus Ostberlin rückblickend.
Helmut Hanke betont die bedeutende Rolle des (West-) Fernsehens, wenn er die These vertritt, dass wir 1989 „Zeugen und Teilnehmer der 1. Fernsehrevolution der Welt waren“: „Die kulturelle Kommunikation in der DDR war stets gesamtdeutsch. Dafür sorgten neben den sich erneuernden und ausweitenden persönlichen Kontakten vor allem die Medien, insbesondere das Fernsehen. Fernsehen war in der DDR stets und in wachsendem Maße Westfernsehen. Jedenfalls war die DDR-Gesellschaft die einzige soziale Gemeinschaft in Europa, die selbstverständlich und alltäglich mit zwei Grundtypen von Medienkultur umging. Mehrheiten lebten in den Abendstunden schon immer im Westen, und dies umso mehr, je unglaubwürdiger die eigenen Medien, speziell das Fernsehen, wurden. Die kulturelle Erosion des alten Herrschaftssystems lief in der DDR vor allem über die Massenmedien, insbesondere über das Fernsehen. […] Jetzt erweist sich, dass ein jahrzehntelanger Umgang mit BRD-Medien langfristige kulturelle Folgen zeitigt,