Nur ein Viertel Elfenblut. Wolf Awert

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Название Nur ein Viertel Elfenblut
Автор произведения Wolf Awert
Жанр Языкознание
Серия Drachenblut
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959591805



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so laut, dass seine Geräusche sich sogar gegen das Brausen des Windes behaupten konnten. Keine Frage, dieser Dampfkessel lebte und trug seinen Namen zurecht. Das „Ungeheuer der Tiefe“ war der berühmteste Erzfrachter der Minengesellschaft. Berühmt, weil mit ihm alles angefangen hatte, bekannt, weil er am meisten erlebt hatte, und bewundert, weil er der Stärkste war. So erzählten es die Alten, und Tamalone glaubte ihnen jedes Wort, denn die Kraft dieses Ungeheuers konnte sie nun überall spüren. Unter ihren Beinen, in ihrem Bauch und auch dazwischen. Von dort suchte sich das Rütteln und Stoßen seinen Weg durch das Rückgrat hindurch bis hoch oben in ihren Kopf.

      Endlich frei!

      Weg mit dem Band, das die Haare zusammenhielt. Sie wollte die unbändige Lust spüren, die in diesem wilden, neuen Gefühl steckte. Ein offenes Land, das jeden willkommen hieß, ein Fahrtwind, der von dem erzählte, was vor einem lag, und die Kraft einer mächtigen Maschine, die niemand und kein Gott aufzuhalten vermochten. Und sie saß ganz vorn auf der Lokomotive, den Schornstein im Rücken. Der schwarzblaue Rauch blieb hinter ihr wie alles, was bisher ihr Leben verdunkelt hatte. Lokführer und Heizer mochten sich im Führerstand verstecken. Sie nicht. Wo sonst hätte sie denn sitzen sollen als auf der Stirn der schwarzen Bestie? Nein, das unbekannte Land vor ihr wollte sie nicht einfach blind durcheilen. Ihm wollte sie begegnen, es grüßen, seinen Widerstand spüren. Sie warf den Kopf in den Nacken und ließ sich vom Wind die Haare zerzausen, als sie schrie: „Jetzt komme iiiiich!“

      Oben der Himmel. In ihr die Vibrationen dieses Ungetüms aus Eisen, Dampf und Feuer. Sie gingen ihr durch den Körper, verbanden sie mit der Erde, wo unter ihr große Eisenräder über Eisenschienen mahlten und klack-Klack, klack-Klack, klack-Klack, Klackeraklack sangen. Tamalone war ihr Name, aber dieses Wort war viel zu umständlich für so viel Freiheit. Hier oben war sie Tama, weil hier oben die ganze Welt ihr Freund war. Vergessen war die Minengesellschaft, die keine Freunde kannte. Außer Mutter. Zu ihr fuhr sie jetzt hin, würde neue Leute kennenlernen und Freunde finden. Das schwarze Biest, das sie ritt, war ihr erster Freund, und es war egal, dass es aus Eisen bestand. Hauptsache, es besaß eine Seele. Es war auch egal, dass sie sich bald von ihm verabschieden würde, denn andere Freunde würden folgen. Neue Freunde. Da war sie sich sicher. Denn sie fuhr nach NA-R, der schönsten Stadt des Landes. NA-R! NeuAllerdamm-Rot. Keine Station. Eine richtige Stadt, hatte Mutter gesagt. Und Mutter irrte nie.

      Tama zuckte zusammen. War das ein Pfiff hinter ihr? Sie hatte ein Gehör, auf das ein Luchs hätte stolz sein können, aber der Wind schlug ihr derartig auf die Ohren, dass sie sich nicht sicher war. Sie schloss die Augen und suchte mit ihrem inneren Blick das Grasland vor ihr ab. „Jedes Vorkommen von Vernunft zeigt sich dir. Musst nur schauen“, hörte sie Mutters Stimme. Doch viel gab es nicht zu entdecken. Nichts vor ihr, nichts neben ihr, nur hinter ihr die beiden hellen Flecken von Lokführer und Heizer. Zwei reinrassige Menschen. Klar, dass die leuchteten.

      Der zweite Pfiff zerriss ihr beinahe die Ohren und kam aus der Dampfpfeife. Irgendwie war es dem Lokführer gelungen, den Schall noch rechtzeitig so abzuwürgen, dass er keinen Schaden anrichten konnte. Sie drehte sich um.

      „He! Schluck Bier? Dann komm her.“

      Sie sah die Stimme mehr, als dass sie sie hörte. Aber der hochgehobene Bierkrug, die deutlichen Mundbewegungen und die ruckartige Kopfbewegung ließen keinen Zweifel an der Einladung aufkommen. Sie sprang auf, tänzelte über den Dampfkessel und ließ sich dann auf die Brüstung des Führerstandes hinunter.

      „Komm rein. Wo zwei arbeiten, hat auch noch ein Dritter Platz“, schrie der Lokführer und hielt ihr erst eine Hand entgegen, um ihr in den Führerstand zu helfen, und dann einen frisch gefüllten Krug. Tama trank durstig. Es war erstaunlich, wie viel Wasser der Fahrtwind aus einem Körper heraussaugen konnte. Trotz dichter Lederkleidung.

      „Ist das erste Mal, dass du einen Erzfrachter reitest“, stellte der Lokführer fest. „Und jetzt willste bei der Minengesellschaft ganz groß rauskommen.“ Er klopfte sich auf die Brust. „Mir kann niemand mehr was vormachen. Ich fahre die Strecke schon seit fünfundzwanzig Jahren. Kenne jeden hier und alles. Hast einen Verwandten hoch oben in der Führung, was?“

      „Stimmt, der ist schon lange dabei“, schrie der Heizer von hinten in den Donner von Eisen und Stahl.“ Er schrie gut, denn Tama konnte ihn verstehen.

      „Ja, meine erste Fahrt. Aber in der Minengesellschaft kenne ich keinen.“

      „Red‘ nicht. Es gibt keine Frauen auf Tour. Nicht bei den Wächtern und erst recht nicht auf der Lok. Höchstens in Begleitung und markiert.“ Der Lokführer machte eine vielsagende Geste mit zwei Fingern in Richtung Hals.

      „Als Kind habe ich in einem Holzfällerlager gelebt. Danach kam die Mine. Beide hatten etwas gemeinsam. Du kannst nicht weit gucken.“ Tama hob den Krug.

      „Aye. Das ist hier draußen anders. Wenn du erst einmal aus dem Wald heraus bist, ist alles flach. Bis zur Station und wohl auch noch darüber hinaus. Aber wenn du nicht von der Gesellschaft bist, warum biste dann hier? Du bist kein Wächter und du bist keine Fracht.“ Die Augen des Lokführers hatten einen lauernden Ausdruck eingenommen und Tama verstand nun auch die Einladung für das Bier.

      „Erst Holzfällerei, dann Mine und jetzt NA-R. Irgendwer hat was mit mir vor. Aber er zeigt sich nicht. Kennt ihr das? Ich begleite den Frachter bis zur Stadt. Dort verlasse ich euch und bleibe auch dort. Keine Rückfahrt morgen. An euch werde mich immer erinnern. Oder euch sofort vergessen. Ganz so, wie ihr das möchtet.“ Tama grinste über das ganze Gesicht.

      „Heißt Station, nicht Stadt“, korrigierte der Lokführer. „Aber ich hab‘ noch nie erlebt, dass jemand einfach so in die Station fährt. Nur als Fracht. Ohne Begleitung. Du weißt ja. Aber so eine biste ja nicht, dass du eine Begleitung brauchst. Hast wohl eine spezielle Einladung.“

      Tama bereute es, dass sie einfach so drauf los geredet hatte. Jetzt waren die Männer erst recht misstrauisch. Erst denken, dann reden, ermahnte sie sich, doch dafür war es jetzt zu spät. Sie nahm noch einen langen Zug aus dem Krug, um etwas Zeit zu gewinnen, gab ihn dann zurück. „Ah, das schmeckt. Ich weiß nur, dass sie in NA-R auf mich warten. Da werden sie mich wohl auch hineinlassen.“ Aber ihre Gedanken waren mittlerweile woanders. „Gehe in die Station“, hatte es geheißen. Nur das. Mit Schwierigkeiten hatte sie nicht gerechnet. Was, wenn man sie nicht hineinließ? Sie spürte den aufmerksamen Blick des Lokführers und fragte: „Warum sind die denn so vorsichtig geworden? Waren sie doch früher nicht.“

      „Waren sie schon immer. Ist wegen der Gestaltwandler. Ich sage dir was, Mädchen. Die Elfen fangen Gestaltwandler und bringen sie in die Station. Markiert und nur in das Viertel, das für sie vorgesehen ist. Dort werden sie überwacht und können nicht auf dumme Gedanken kommen. Und trotzdem. Ich sag dir: Wenn du in die Station kommst, dann mach einen riesengroßen Bogen um das Viertel der Gestaltwandler. Wenn es nach mir ginge, würde man sie jagen und gleich an Ort und Stelle schlachten. Aber sie müssen ja ein eigenes Viertel in der Station bekommen. Ein Irrsinn ist das.“

      „Das klingt nicht unbedingt nach viel Wertschätzung“, entgegnete Tama laut und mit einem falschen Lachen.

      „Versteh mich nicht falsch. Sie waren einmal Tiere, und gegen Tiere habe ich nichts. Aber einige von denen haben jetzt Verstand. Fast so viel wie wir Menschen. Und das ist gegen die Natur, sage ich dir.“ Der Lokführer hob seinen Bierkrug.

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