Nur ein Viertel Elfenblut. Wolf Awert

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Название Nur ein Viertel Elfenblut
Автор произведения Wolf Awert
Жанр Языкознание
Серия Drachenblut
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959591805



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Bork?“, sagte er. „Ich war einige Male mit ihr auf Patrouille. Aber wir haben kaum mehr als eine Handvoll Worte miteinander gewechselt. Woher sollte sie mich gut genug kennen?“

      „Auf der letzten Patrouille seid ihr auf zwei Drachen gestoßen.“

      „Das ist richtig. Es war ein großartiges Erlebnis, dieser Kriecher zu begegnen, über die so viele Geschichten erzählt werden. Wir sind mitten in einen Streit zweier Drachen hineingeplatzt. Mit was für einer Wut im Bauch der andere Drache davonflog. Aber was in aller Welt hat das mit meinem Auftrag zu tun?“

      Sumpfwasser sprang auf, bekämpfte seine Erregung, indem er Lufthauch erneut den Rücken zudrehte, quer durch den Raum ging und nach draußen starrte, als suchte er in der Ferne einen Punkt, an dem er sich festhalten konnte. „Weißt du überhaupt, wie selten es ist, dass sich ein Drache vor uns Elfen zeigt? Das ist so selten, dass kaum jemandem ein solches Erlebnis jemals vergönnt ist, und wenn er alle Tage durch die Drachenberge streifen würde. Viele zweifeln sogar daran, dass es diese Wesen überhaupt noch gibt. Und du siehst gleich zwei davon.“

      „Die anderen haben sie auch gesehen.“

      „Ja, aber du hast behauptet, sie hätten sich gestritten. Und du bist sicher, dass einer der beiden Drachen Kriecher war.“

      „Ihr rechter Flügel war gelähmt, doch tat das ihrer Ausstrahlung keinen Schaden.“

      „Siehst du, das meine ich, Lufthauch. Alle anderen sprachen nur von zwei Drachen. Aber du scheinst mehr gesehen zu haben als die anderen. Du hast etwas gespürt, was niemand sonst gespürt hat. Und glaube nicht, dass Drachen sich so einfach beim Streiten zusehen lassen. Drachen kann man nicht überraschen, weil sie Elfen und Menschen immer einen Schritt voraus sind. Drachen können …, ach was rede ich.“ Sumpfwasser machte eine ärgerliche Bewegung mit der Hand und drehte sich wieder herum.

      Lufthauch hatte nichts mehr in seinem Korb halten können. Jetzt standen sie sich gegenüber. Sumpfwasser und Lufthauch, der Ältere und der Jüngere, und es war nicht mehr viel Platz zwischen ihnen. Lufthauch wich einen halben Schritt zurück. „Ich konnte den Zorn hören wie fernes Waffengeklirr.“ Die Stimme des jungen Elfen war leise geworden, die Worte kamen stockend aus seinem Mund. Doch nicht Furcht hielt sie zurück. Es war die Mühe, sich richtig zu erinnern, denn seine Erinnerungen waren flüchtig und von Magie durchwoben und gaben sich jetzt alle Mühe, sich einem Zugriff zu entziehen. Er sah Kriecher in den Drachenbergen und gleichzeitig den Baumwipfel mit dem Gesicht von Sumpfwasser vor sich, das immer größer wurde, sich aufblähte und mit den anderen Eindrücken verschmolz. „Die ganze Luft war von Schlachtenlärm erfüllt. Und dann dieser Geruch von Wildheit, wie man ihn vom Lagerplatz eines Rudels Raubkatzen her kennt. Und …“

      „Das genügt“, sagte Sumpfwasser und die Vision ebbte ab. „Zurück zu Kriecher? Was hat sie getan?“

      „Sie ist gegangen. Ruhig und gelassen. In ihr war keine Wut. Sie hat noch einmal über die Schulter zurückgeblickt und mich dabei angesehen. Und dann …“ Lufthauch brach die Stimme. Da war doch noch etwas gewesen. Eine Illusion. Kriecher hatte mit zwei Köpfen geschaut und nur einer davon hatte sich gedreht. Oder war es doch nur ein einziger Kopf gewesen? Ein Mädchenkopf? Nein, ein Frauenkopf.

      „Und?“

      Lufthauch schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht mehr, weil sich in jenem Augenblick die ganze Welt um mich herum verändert hatte. Es war mir, als hätte alles nur noch aus Magie bestanden. Aber Kriecher besaß zwei Köpfe. Zumindest für einen kurzen Moment.“

      „Und was haben die Wehrhüter während der Zeit gemacht?“

      Lufthauch schaute verdutzt. „Was sollen sie gemacht haben? Nichts. Sie haben sich wie ich die Drachen angeschaut.“

      „Du Idiot!“ Sumpfwasser nahm seine Wanderung wieder auf, blieb ruckartig stehen, drehte sich um. „Kriecher hat dich gerufen. Und Drachen rufen keine Elfen, weil Menschen und Elfen Drachen nicht verstehen können. Das weiß ich, und das weiß auch Kriecher. Trotzdem hat sie dich gerufen. Wir müssen unbedingt den Grund dafür herausfinden. Wie sahen die beiden Köpfe aus?“

      „Der eine war ein Drachenkopf, der andere der eines Mädchens. Oder einer jungen Frau. Helles Haar, glaube ich, aber das muss nicht stimmen, denn auch die Natur um Kriecher herum strahlte nicht in den Farben, die mir vertraut waren.“

      „Gut. Mehr können wir zurzeit nicht machen. Zunächst muss diese Viertelelfe nach NA-R. Du wirst meinen Auftrag ausführen und du wirst deinen Eid sprechen. Deine Tage als Jäger und Waldläufer sind ab heute vorbei. Deine Befehle empfängst du ab heute nur noch von mir. Von keinem anderen sonst. Ist das klar?“

      Lufthauch stand wie vom Donner gerührt. Der Gedanke, „Nein“ zu sagen, kam ihm so flüchtig, dass man zweifeln musste, ob es ihn überhaupt gegeben hatte. „Ganz wie Ihr wünscht, Erster Berater“, sagte er und staunte über die Luft, die aufgeregt um sie herumtanzte. „Wie bei den Drachen“, dachte er und wusste doch, dass die Drachen daran unschuldig waren. Das hier war Elfenmagie in ihrer reinsten Form. Sie kannte und erkannte er. Doch so gestaltlos, inhaltsleer und gleichzeitig so voller Kraft hatte er sie noch nie erlebt. Das musste ihre Ursprungsform sein, bevor jemand sie in einen Zauberspruch zwang. Wo bin ich hier?, fragte er sich, als Sumpfwasser sich ein Amulett um den Hals legte und es mit seiner Linken festhielt.

      „Sprich mir nach.“ Sumpfwassers Stimme bahnte sich einen Weg durch Lufthauchs Ohren. „Sprich mir nach. Das Leben der Vernunft ist heilig und ich, der Elf Lufthauch, schwöre hiermit feierlich …“ Der Rest seiner Worte ging in einem Brausen unter.

      Nachdem Lufthauch den Eid geleistet hatte, klärte sich die Luft wieder, als würde sich alle Magie zurückziehen. „Ihr müsst damit rechnen, dass ich Euch enttäusche“, sagte Lufthauch. „Ihr schickt mich in eine Welt, die nicht die meine ist, in eine Welt von Befehl und Gehorsam, wo doch für mich die Freiheit über allem steht. Sagt später nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt.“

      Sumpfwasser legte Lufthauch die Hand auf die Schulter und packte ihn mit festem Griff. „Damit du es weißt: Du kannst mich nicht enttäuschen, höchstens scheitern. Und begleitet uns die Möglichkeit des Scheiterns nicht während unseres ganzen Lebens? Sollten wir wegen einer Angst vor dem Scheitern entscheiden, nichts zu tun? Oder gar den Zufall für uns entscheiden zu lassen? Dann würde es die Waldelfen nicht mehr lange geben, und glaube mir, Lufthauch, ich liebe unser Volk, auch wenn es nicht meine Natur ist, große Gefühle zu zeigen. Außerdem verliere ich ungern. Wenigstens das haben wir beide gemeinsam. Und nun geh.“

      Lufthauch ging. Zumindest diesem Befehl gehorchte er ohne Widerspruch. Und er fragte sich, woher Sumpfwasser wusste, das Verlieren immer wie die Pest für ihn war. Seine Gedanken wanderten wieder zu Kriecher. Den Drachen mit dem gelähmten Flügel. Und wie erhaben er gewirkt hatte trotz seines Makels. „Niemand in unserer Welt sollte Kriecher heißen“, flüsterte Lufthauch. „Und ein Drache schon gar nicht.“

      Tamalone

      Sumpfwasser eilte durch den schütteren Wald am Fuß des Berglandes. Nur einige neugierige Tieraugen folgten ihm. Der alte Elf war in diesem Spiel von Licht, Schatten und tanzenden Flecken aus Braun, Grün und Silber nicht leicht zu erkennen. Auch konnte man ihn nicht hören, weil seine Sprungschritte leiser waren als der Flügelschlag eines Nachtfalters. Hin und wieder geriet sein Lauf ein wenig aus dem Takt, weil er sich an die Brust griff, als wollte er sich vergewissern, dass sein Herz noch schlug. Irgendwann blieb er stehen. Für ein kurzes Durchschnaufen wenige Sprünge vor dem Ziel oder eine letzte schnelle Orientierung, dass er noch auf dem richtigen Weg war. Vielleicht aber auch nur, um seine Gedanken zu sammeln.

      Ich werde langsam zu alt für diese Rennerei, dachte er, als er sich eingestehen musste, seine Kräfte überschätzt zu haben. Er hatte länger gebraucht als geplant. Umso größer war nun die Erleichterung, sein Ziel endlich erreicht zu haben.

      Es war ein erbärmliches Ziel. Nur eine Niederlassung der Minengesellschaft in einem kleinen