Название | Nur ein Viertel Elfenblut |
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Автор произведения | Wolf Awert |
Жанр | Языкознание |
Серия | Drachenblut |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959591805 |
„Ach ja, ich vergaß“, sagte Sumpfwasser, und eine Wolke des Unmuts zog über sein Gesicht. „Du nanntest diese Frau ‚Mutter‘, obwohl sie es nicht war. Und meinen Namen scheinst du mit dem zu verwechseln, was er beschreibt. Doch ist das in diesem Augenblick ohne Bedeutung. Ich bin gekommen, weil ich dich brauche und daher deine Bringschuld einfordere. Bist du dazu bereit?“
Tamalone biss sich auf die Lippen. Sie war sich keiner Bringschuld bewusst. „Wie geht es Mutter?“, presste sie heraus. „Ich erinnere mich, wie Ihr und Mutter mich hergebracht habt. Ihr seid sofort wieder gegangen. Mutter ist geblieben. Mit ihr zusammen zu sein, war die schönste Zeit meines Lebens. Bis auch sie mich plötzlich verließ. Sagt mir, war es meine Schuld, dass sie ging? Ist das die Schuld, die Ihr einfordert? Oder war sie meiner überdrüssig? Wenn jemand weiß, was damals passiert ist, dann seid Ihr das.“ Mit dem Mut der Verzweiflung setzte sie noch hinzu: „Und wer ist mein Vater?“
Sie sah Sumpfwasser zusammenzucken, wie sich sein Rücken versteifte. Doch schnell fand er zu seinem alten Selbst zurück.
„Wenn es dir hilft, darfst du mich ‚Vater‘ nennen. Ich bin dein Vater, wie ‚Mutter‘ deine Mutter ist. Es liegt nichts Böses darin, sie so zu nennen, denn sie liebte dich und hat sich um dich gekümmert. So wie auch ich, aber ich tat es eher aus der Ferne.“ Für einen Moment schloss Sumpfwasser die Augen, um einen Anflug von Mitleid abzuwehren und sich zur Ordnung zu rufen. Du bist nur ein Werkzeug und mein Geschöpf, dachte er. Dafür habe ich dich vor den Wehrhütern gerettet. Und auch „Mutter“, wie du deine Beschützerin nennst, ist nicht mehr als mein Werkzeug.
„Dein leiblicher Vater ist ein Mensch reines Blutes und mir unbekannt“, fuhr er fort. „Und deine leibliche Mutter war eine Unreine wie du. Aber an sie könntest du dich vielleicht noch erinnern. Du warst drei oder vier Jahre alt, als sie weggebracht wurde.“
Tamalone konnte sich an jemanden erinnern, der sich um sie gekümmert hatte, bevor Mutter es tat. Sie schloss ihre Augen, aber das half ihr nicht. Sie spürte noch eine entfernte Wärme, Hände, die sie streichelten und hielten, aber die lange Zeit hatte alle Bilder zerstört.
„Mutter sollte auf dich aufpassen, bis du groß genug warst und allein zurechtkommen konntest. Und sie sollte dich ausbilden. Irgendwann gab ich ihr eine neue Aufgabe. Aber jetzt habe ich lange Zeit nichts mehr von ihr gehört und angefangen, mir Sorgen um sie zu machen.“
Tamalone konnte sich nicht daran erinnern, von Mutter zu irgendetwas ausgebildet worden zu sein. Zur Sauberkeit hatte sie sie erzogen. Wenn sie irgendwo gespielt hatte, musste sie hinterher immer alles aufräumen und abwischen. Das Spiel hieß: „Wir sind niemals hier gewesen.“ Als sie angefangen hatte, bunte Steine zu sammeln, musste sie zuerst ein verstecktes Lager anlegen, in dem sie die Steine aufbewahrte, und dann lernen, einen gefundenen Stein so zu entfernen, dass sein Fehlen niemandem auffiel. Sie hatte es gern gespielt und war gut darin gewesen. Sie hatte immer alles richtig gemacht. Und doch war „Mutter“ gegangen und nicht wiedergekommen. Jetzt wusste sie warum. Weil Sumpfwasser sie fortgeschickt hatte. Sie spürte den Schmerz in ihrer Kehle aufsteigen. Mutter hatte sich noch nicht einmal von ihr verabschiedet. Oder vielleicht doch? Da war etwas in ihren Erinnerungen, das gar nicht dahin gehörte. Mutter war noch einmal zurückgekommen. Oder nicht? Sie war sich ihrer eigenen Erinnerungen nicht mehr sicher. Als sie dann fragte: „Und jetzt soll ich an ihre Stelle treten?“, erschrak sie vor ihrer eigenen Stimme und wie kalt diese plötzlich klang. Aber das Grübeln stellte sie erst einmal ein.
„Nein“, sagte Sumpfwasser so ruhig, als ob er Tamalones plötzliche Veränderung gar nicht bemerkt hätte. „Das wäre zu viel verlangt von jemandem, der noch so jung ist wie du. Es ist nur eine einzige Fahrt zu machen. Von hier aus fährst du mit dem Frachter nach NeuAllerdamm-Rot. Zu unserer Quarantänestation. Du betrittst die Station und suchst den Ort auf, an dem ‚Mutter‘ sich zuletzt aufgehalten hat. Alles andere wird sich finden.“
„Wenn ich Euren Wunsch erfülle, werdet Ihr mir dann sagen, wer ich bin?“ Tamalone staunte über ihren Mut und sah zu ihrer Überraschung, wie sich jetzt auch in dem Elf etwas bewegte. Was es war, konnte sie nicht sagen, aber es breitete sich wie eine Welle von der Mitte seines Körpers aus und löste sich erst auf der glatten Haut auf.
„Nein, das werde ich nicht. Niemand kennt die Abstammung einer Unreinen. Wenn es eine Antwort auf diese Frage gibt, wirst du sie möglicherweise in dir selbst finden. Vielleicht kann die Frau, die du ‚Mutter‘ nennst, dir dabei helfen. Sie weiß mehr als andere Wesen. So reist du also nicht nur für mich oder für sie, sondern auch für dich. Aber lass dich nicht erwischen. Es gibt Kräfte in unserem Land, denen es nicht gefallen würde, dass du dort bist. Benutze dein bisschen Elfenblut klug.“
Tamalone hielt den Atem an. Sumpfwassers letzter Satz hatte die Luft schwer werden lassen und alles, was er vorher gesagt hatte, in eine Lüge verwandelt. Es ging nicht um eine kleine Gefälligkeit. Die Quarantänestation war ein Ort, an dem Leute verschwanden und der gefährlich war für jemanden wie sie. Aber wer sollte etwas dagegen haben, dass sie die Quarantänestation aufsuchte? „Wer wollte …?“
Sumpfwasser sah in Tamalones fragende Augen, schüttelte den Kopf und versiegelte seine Lippen mit dem Zeigefinger. Tamalone verstand. Keine Fragen mehr. Dann sagte er: „Tritt etwas zur Seite.“ Er griff in die Tasche, holte eine Handvoll Staub heraus und warf ihn in die Luft. Als er ihn dann mit gespitzten Lippen fortblies, kam wie aus dem Nichts ein hilfreicher Windstoß, der den Staub zu einer Gruppe Menschen hinbeförderte, die vor lauter Gaffen ihre Arbeit vernachlässigt hatte.
„Was war das?“, wollte Tamalone wissen.
„Sie haben mich gesehen. Jetzt habe ich ihre Erinnerungen durcheinandergebracht.“
„Sie mögen Euch vielleicht vergessen haben. Aber ich nicht. Ich weiß immer noch, über was wir gesprochen haben.“ Da war Trotz in Tamalones Stimme und ihre Hände hielt sie zu Fäusten geballt. Mehr gab ihre Kraft nicht her. Der Gedanke, diesen Ort der Sicherheit verlassen zu müssen, ließ ihre Beine schwach werden und ihre Arme zittern. Nur die Hoffnung, „Mutter“ möglicherweise wiederzusehen, half ihr, denn was konnte wichtiger sein, als „Mutter“ zu finden. Sie hob das Kinn. „Bei der Magie der Elfen, ich werde ‚Mutter‘ suchen gehen und die Station nicht eher wieder verlassen, bis ich sie gefunden habe.“ Doch bei dem Wort „Station“ sträubte sich etwas in ihr, was sie nicht so recht einfangen konnte.
Sumpfwasser betrachtete Tamalone mit kühlem Interesse. Dann erlaubte er sich ein leises Lächeln, das in den Mundwinkel begann, sich zur Nase hin ausbreitete, um dann auf dem Weg zu den Augen wieder zu erlöschen. „So stark ist dieser Zauber nicht, dass mich jemand vergisst, der mit mir geredet hat, Tamalone. Nicht für dich, nur für die anderen hier bin ich jetzt nicht mehr wichtig. Und so sollte es auch sein. Jetzt lebe wohl. Jemand anderes wird dir sagen, wann du aufzubrechen hast. Jemand von der Minengesellschaft. Es wird ein Mensch sein. Keiner von meiner Art.“
Der Wald verschluckte die Elfengestalt. Für einige Herzschläge atmete er noch einen Rest Elfenmagie aus, die in Tamalone das Verlangen weckte, Sumpfwasser hinterherzulaufen. Aber zunächst würde sie Mutter suchen gehen. Und in diesem einen Augenblick, der ihr einen Blick in das Innere der eigenen Seele erlaubte, erinnerte sie sich wieder. Es war kein Traum gewesen. Einmal noch war Mutter zurückgekommen, hatte in tiefster Nacht an ihrem Bett gesessen, sie geweckt und gesagt: „Suche in der Stadt nach mir. Vielleicht wirst du mich nicht gleich finden können, aber gib nicht auf. Nicht im Wald bin ich zu Haus. In der Stadt findest du die Antworten, die du suchst.“
Tamalone wusste nicht mehr, was