Was wir nicht schreiben durften. Suzanne Speich

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Название Was wir nicht schreiben durften
Автор произведения Suzanne Speich
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783905896916



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Augen sah und wie es von seiner jüngsten Tochter Marc Spencer-Churchill Jahrzehnte später bestätigt wurde, also bereits morgens im Bett. Dann folgte das, was Mary den Daddy-Cocktail nannte, weil er sich am Vormittag mit den Kindern unterhielt, wenn er einen Johnny Walker mit Soda trank. Dann ging es weiter: Champagner (Lieblingsmarke Pol Roger) zum Mittag- und Nachtessen, dazwischen Brandy, Sherry und immer wieder Whisky. Die Abendmahlzeit beendete die Jahrhundertfigur mit Portwein ehe er sein Tagwerk nach einer späten Arbeitsstunde mit einem alten Brandy beschloss.

      Soviel Alkoholkonsum konnte nicht unentdeckt bleiben. Winston Churchill zählte als Sohn des 7. Herzogs von Marlborough zur englischen Hocharistokratie und führte mit Ehefrau Clementine ein grosses Haus. «Ich hatte mehr vom Alkohol als er von mir», lautet eines seiner unzähligen Bonmots zum Thema. Adolf Hitler beschimpfte den Kriegspremier als «Trunkenbold». Dass er genau dies nicht gewesen war, konnte Paul Nüesch jedoch nach vielen Tagen in nächster Nähe Sir Winstons bezeugen: «Er wirkte nie, nie auch nur einen Hauch angetrunken, geschweige denn betrunken.»

      Gleichwohl versuchten seine politischen Gegner, aus seinem exzessiven Alkoholkonsum natürlich Kapital zu schlagen, doch Churchill, der grosse Meister des Worts, war um eine schlagfertige Antwort nie verlegen. Einmal rief ihm die Labour-Abgeordnete Bessie Braddock im Unterhaus zu: «Winston, Sie sind betrunken!» Worauf Churchill erwiderte: «Bessie, Sie sind hässlich. Morgen werde ich wieder nüchtern sein und Sie immer noch hässlich.»

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       Suzanne Speich: Zu Gast bei Paul Nüesch in der Kronenhalle Bar

       Gefährliche Mission

       Oder: Ein Alphorn für den Massenmörder

       Suzanne Speich

      Die Natur des Berufs bringt es mit sich, dass man als Journalist mit dem Hans und nicht mit dem Hänsli spricht. Dass einem Enzo Ferrari persönlich in Maranello seinen neuesten Sportwagen zeigt. Dass man mit Denner-Boss Karl Schweri und -VR Helmut Zilk und nicht mit irgend einem Produktmanager spricht, wenn es um die Einführung von Red Bull in der Schweiz geht. Und dass man von Modekaiser Karl Lagerfeld höchstselbst backstage die nächste Chanel-Kollektion erläutert bekommt. Das ist alles sehr angenehm und first-hand-Infos sind ja bekanntlich die besten. Manchmal allerdings kommt man so aber auch mit Grossen auf Tuchfühlung, zu denen man lieber mehr Abstand gewahrt hätte.

      Der Grosse, der mich das Fürchten lehrte, war Joseph-Désiré Mobutu, später Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa Zabanga genannt («der Krieger, der von Eroberung zu Eroberung schreitet, ohne Angst zu haben»). Musste er auch nicht, denn die Geheimdienste in Brüssel und Washington hatten schon dafür gesorgt, dass der Staatsstreich, mit dem er 1965 an die Macht gelangte, reibungslos über die Bühne ging. Mobutu liess sich von Westen als Retter des Kongo vor dem drohenden Kommunismus feiern und war so eng mit dem Establishment in Brüssel, dass 1968 die Wahl der Miss Europe, ausgerichtet vom grössten belgischen Baukonzern, tatsächlich in der kongolesischen Hauptstadt über die Bühne ging, die kurz zuvor von Léopoldville in Kinshasa unbenannt worden war. Die Baufirma war Lizenznehmerin der Miss Belgium-Wahl und hatte grosse wirtschaftliche Interessen im zweitgrössten Land von Afrika, das in den nächsten 30 Jahren von einer kleptokratischen Clique um Mobuto ausgeplündert werden sollte und dem Westen kontinuierlichen Zugriff auf die kongolesischen Rohstoffe sicherte.

      Ich war als damalige Präsidentin der Miss-Schweiz-Wahl automatisch auch Jury-Mitglied bei der Miss-Europe-Wahl, und so flog ich im September 1968 zusammen mit der neu gewählten Miss Schweiz, Jeannette Biffiger, nach Afrika. Vorher waren wir, ebenso wie Delegationen von 20 weiteren europäischen Ländern, über do’s and don’ts instruiert worden, und ich wusste, dass ich dem Staatsoberhaupt ein Gastgeschenk mitzubringen hatte. Ich entschied mich für ein zusammenlegbares Alphorn und reiste so mit ziemlich sperrigem Gepäck und unserer Schweizer Miss via Brüssel nach Kinshasa. Dort erwartete uns der Schweizer Botschafter höchstpersönlich mit Wagen und Standarte am Flughafen: «Bienvenue, Mademoiselle, il se passe enfin quelque chose ici!», begrüsste er mich und war mir in der folgenden Woche ein charmanter und kompetenter Begleiter. Ganz offensichtlich war die Wahl der Miss Europe das wichtigste gesellschaftliche Ereignis des Jahres, ansonsten langweilten sich die Diplomaten dort fast zu Tode, wie er mir erzählte.

      Man quartierte uns nicht in einem Hotel ein (Nobelhotels gab es Kinshasa damals so wenig wie heute), sondern in den ersten bereits fertiggestellten Länder-Bungalows der ONU Cité, welche Ende der sechziger Jahre für die Organisation der Afrikanischen Einheit (ONU/OUA) im Vorort Ngaliema errichtet wurden. Jeannette und ich wurden im Marokko-Haus untergebracht und waren seine ersten Bewohner, wie man uns stolz erklärte. Es war damals eine einsame Gegend, wo dieser Prunkbau der Organisation für Afrikanische Einheit hingebaut wurde, kein Strassenlärm war nachts zu hören, höchstens die Geräusche von Wind und Vögeln.

      Umso entsetzter schreckten wir in der ersten Nacht in unseren Betten auf, als plötzlich Geschrei und Gebrüll und Schüsse zu hören waren, bestimmt eine Viertelstunde lang. Wir trauten uns nicht aus unserem Haus, ebenso wenig die Bewohnerinnen der benachbarten Pavillons. Am nächsten Morgen wollte uns niemand sagen, was da nachts vor sich gegangen war. Es hiess lediglich, die ONU-Cité sei streng bewacht und wir hätten zu keiner Minute etwas zu befürchten gehabt.

      Ich glaubte unseren einheimischen Betreuern kein Wort und begann mich umzuhören, als wir am Nachmittag zu einem Cocktail in der holländischen Botschaft eingeladen waren. Ein Diplomat sagte mir ganz unverblümt, was da offenbar regelmässig vor sich ging: Aufständische, also Anhänger von Mobutus Amtsvorgängern Kasavubu und Tschombé, würden zusammengetrieben und kurzerhand umgebracht, indem man sie an Ketten zusammenband und im Kongo-Fluss ertränkte.

      Und auf diesem Fluss sollten wir am nächsten Tag unsere Begegnung mit Präsident Mobutu haben! Mir war überhaupt nicht wohl, als ich anderntags mit dem hübsch eingepackten Alphorn den Bus bestieg, der uns für die nächtliche Flussfahrt abholte. Am Ufer des Kongo erwartete uns ein Schiff, das genauso aussah wie ein Mississippi-Dampfer, und als stolzer Kapitän begrüsste uns Mobutu in goldbesetzter Uniform.

      Es gab Cocktails, Musik und einheimische Tänze. Ich lehnte mich immer wieder über die Reling und wusste selbst nicht, wovor ich mehr Angst hatte: die erbärmlich Ertrunkenen von letzter Nacht zu sehen oder ein Krokodil. Und dann kam der Höhepunkt des Abends: das Überbringen der Gastgeschenke. Eine Ländervertretung nach der anderen trat nach vorn und beschenkte den Gastgeber; meist waren es kleinere Schatullen mit irgendetwas Landestypischem.

      Mobuto grinste, als ich mit meinem Alphorn nach vorn trat und befahl, das Paket zu öffnen und das Instrument zusammenzusetzen. Als ich es ihm überreichen wollte, sagte er mit seiner herrischen, tiefen, lauten Stimme: «Jouez-en!» Ich erstarrte vor Angst, denn Alphornblasen kann ja niemand, der das nicht wirklich gelernt hat – und erst recht nicht ich, die ich als Asthmatikerin noch weniger Schnauf habe als andere. Doch gehorchen musste ich, das war klar und so setzte ich das Alphorn an meinen Mund. Heraus kam – natürlich nichts. Ich befürchtete das Schlimmste, doch Mobutu lachte laut und verächtlich und winkte mich weg.

      Natürlich hütete ich mich, in meiner Berichterstattung auch nur ein Wort von alledem zu erwähnen, dafür war mir mein Leben zu lieb. Und kurze Zeit später erfuhr die Welt, dass Mobuto tatsächlich keinerlei Skrupel kannte und an Grausamkeit nicht zu überbieten war. Kurz nach unserer Miss-Veranstaltung versprach er dem wichtigsten Oppositionellen, dessen er noch nicht habhaft geworden war, Pierre Mulele, die Amnestie und überredete ihn dazu, aus dem Exil zurückzukehren.

      Wenig später wurden alle Kongolesen, die Mulele seit seiner Rückkehr besucht hatten, verhaftet und anschliessend getötet. Mulele selbst wurde öffentlich gefoltert, indem man ihm die Augen und Genitalien herausriss und die Gliedmassen eines ums andere amputierte, während er noch lebte. Sein Rumpf wurde in den Kongo geworden – jenen Fluss, auf dem