Название | Was wir nicht schreiben durften |
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Автор произведения | Suzanne Speich |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783905896916 |
Es klingt heute verrückt, doch es war so: Wir heckten aus, dass ich in Sansibar verkauft werden und so nach Saudi-Arabien gelangen sollte. Dort würde Charlotte mich erwarten und wir hätten zusammen die Story des Jahres. Und das in einer Zeit, als es weder Mobil-Telefonie noch Internet gab! Ich trug den Plan am BLICK-Desk vor, und die Nachrichtenredaktion war begeistert. Doch ein Jahr später war ich die Ehefrau von BLICK-Chefredaktor Martin Speich, und als Charlotte und ich wieder auf die Sache zu reden kamen, meinte er nur: «Seid ihr wahnsinnig!?!», und damit war die Story gestorben.
Ein paar Jahre später leiteten wir zur gleichen Zeit die beiden wichtigsten Frauenzeitschriften des Landes, Charlotte die ELLE und ich die ANNABELLE. Wir galten zwar als Konkurrentinnen, waren es aber nur, was die Auflage unserer Magazine betraf. Privat blieben wir Freundinnen, dem Schwachsinn von den Frauenfeindschaften am Arbeitsplatz konnten wir nie etwas abgewinnen. Charlotte war etwas Feministin, ich überhaupt nicht. Wir erreichten ja alles, was wir wollten (ausser die Sklaven-Story!), waren super bezahlt und spürten Storys auf, an die kein Mann je kam … nicht zuletzt manchmal eben gerade weil wir Frauen waren.
Jetzt endlich ist es soweit: Wir haben ein gemeinsames journalistisches Projekt, dieses Buch hier.
Ein Bonmot sagt, dass jeder, der redet, auch etwas verschweigt – und meistens das Beste. Unsere Erinnerungen an ein halbes Jahrhundert journalistische Arbeit rufen Storys und Histörchen in Erinnerung, die damals wohl das Beste gewesen wären, aber eben aus verschiedensten Gründen besser nicht geschrieben wurden. Wenn Sie sie lesen, werden Sie verstehen weshalb und ich hoffe, sie amüsieren Sie wenigstens heute.
Suzanne Speich
Helden und Lichtgestalten
Charlotte Peter
Das Volk liebt die Helden, die Lichtgestalten, die Heilsbringer, von denen man sich eine bessere Zukunft erhofft, und die Medien liefern das Gewünschte in Massen. Sie polieren führende Politiker zu unantastbaren Ikonen auf, dies besonders in Krisen- oder in Kriegszeiten. Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Charles de Gaulle, aber auch die Queen von England wurden wie Heilige verehrt, niemand fragte nach der zweifelhaften Rolle Churchills in den Kolonialkriegen des ausgehenden 19. Jahrhunderts oder nach der mittelalterlich rigiden Familienpolitik des englischen Königshauses, es genügte, auf der richtigen Seite zu stehen.
Für Journalisten eine Knacknuss. Schon meine harmlose Bemerkung über einen unpassenden Hut der Queen löste bei der Leserschaft der Elle Protest aus. Ganz unmöglich, bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die flotten Seitensprünge der Könige von Spanien und Schweden zu erwähnen oder die Affairen des holländischen Prinzgemahls öffentlich zu machen. Die Königshäuser hatten als Hochburgen der Moral zu dienen, statt einer Maitresse en titre wie bei den französischen Königen gab es nur gut versteckte, verleumdete und rechtlose Schätzchen.
Auf Lichtgestalten darf kein Schatten fallen, sie sind makellos und haben immer Recht, das aber kann fatale Folgen haben. Eine hochgeschätzte Ikone aus Fernost war die hübsche Soong Mei-ling, Tochter aus reichster chinesischer Familie und Frau des chinesischen Generalissimus Chiang Kai Shek. Sie wohnte in Washington bei den Roosevelts im Weissen Haus, sprach vor dem amerikanischen Repräsentantenhaus und belehrte mit ihrem 1942 erschienen Bestseller «Unser China» die Welt über ihr Heimatland. Ihr glaubten nicht nur Mann und Frau von der Strasse, ihr glaubten auch die einflussreichsten Politiker, während wirkliche Kenner der Situation wie Harrison Forman, Walter Bosshard, Agnes Smedley, Robert Capa und vor allem Edgar Snow nicht ernst genommen oder gar als Abenteurer eingestuft wurden.
Mei-ling selbst schreibt von sich «An mir ist nichts orientalisch ausser mein Gesicht.» Stimmt. Mei-ling kam mit fünf Jahren in eine methodistische Missionsschule, wurde von einer frömmelnden Mutter zur Christin erzogen, besuchte amerikanische Colleges, sprach besser Englisch als Chinesisch, erwähnt in ihrem Bestseller Buddha nur ganz am Rande, Mao und seine Kommunisten überhaupt nicht. Für die chinesische First Lady gab es nur Banditen und Banden (gemeint waren Mao und die Kommunisten), mit denen der Generalissimus angeblich leicht fertig werden konnte. Es war eine eklatante Fehleinschätzung, dies mit fatalen Folgen.
Edgar Snow sah es anders. Als erster westlicher Reporter interviewte er Mao bereits in den Dreissiger Jahren in Yan’an, war beeindruckt und hielt seine Erfahrungen in 20'000 Worten fest. Den sagenumwobenen Vorsitzenden der Chinesisch-Sowjetischen Volksrepublik beschreibt er als Bauernsohn und Intellektuellen, von kräftiger Gestalt, mit vollem Haar und hellwachen Augen, klassisch gebildet, gut bewandert in chinesischer Geschichte und Philosophie, sehr belesen, überall aktiv, in der Politik, im Militär, im Gesundheitswesen, der Wirtschaft, dem sozialen Bereich, der Erziehung etc., voll unermüdlicher Energie, diszipliniert bei der Arbeit, lässig im Umgang, guter Redner, Sinn für Humor, er konnte auch über sich selbst lachen, lebte wie alle Soldaten der Roten Armee von drei US-Dollar im Monat, war nach japanischem Urteil der beste Stratege des Ostens.
Besonders freute sich Snow über ein Gedicht zur Erinnerung an den langen Marsch, das Mao für ihn verfasste, besonders staunte er über die Unbekümmertheit, mit der er unter Bauern im roten Volkstheater auf dem Boden sass und das, obwohl die Kuomintang auf seinen Kopf 250'000 Dollar ausgesetzt hatte. Dazu Snows Erklärung: «Ich habe niemanden getroffen, der Mao nicht geliebt hätte.»
Die Interviews des Amerikaners durften in den von Chiang Kai Shek kontrollierten Gebieten nicht erscheinen, denn allein schon die Bezeichnung «Kommunisten» war den Journalisten verboten. In den USA war Snow bekannt, jedoch längst nicht so gefeiert wie Mei-ling Chiang Kai Shek, deren fake news im Westen als grosse Wahrheit galten und unter anderem dazu führten, dass die USA den Generalissimus bis zum bitteren Ende mit Dollar-Milliarden finanzierten.
«Die Kuomintang ist das Baby der Amerikaner, sie können den Generalissimus nicht fallen lassen», hiess es unter chinesischen Intellektuellen.
China war anders als von der Methodisten-Schülerin besungen. Die Japaner hatten nicht nur die Mandschurei geschnappt und zu einem Satellitenkaiserreich gemacht, sie hielten auch weite Küstengebiete besetzt, im Westen hatten vielerorts War Lords genannte Lokalpotentaten das Sagen und dann gab es da noch Mao. Für Mei-ling nur ein minderes Problem, sie hoffte auf ihre Missionare und ihren meist Generalissimus genannten Mann.
Typisch ein Besuch auf dem Emei Shan, einem heiligen Berg der Buddhisten. Mei-ling schaffte den Aufstieg zum 3099 Meter hohen Gipfel nicht – zu viele Treppen und noch keine Seilbahn –, liess sich aber berichten. Es soll auf dem Emei Shan Tausende von buddhistischen Priestern (gemeint wohl Mönche) geben, dazu viele laute und überfüllte buddhistische Gästehäuser, der Haupttempel sei durch einen Blitzschlag zerstört worden, nun würden die Pilger zum Wiederaufbau Geld sammeln, doch es reiche noch nicht.
Mei-ling wohnte bei einem methodistischen Missionar, sprach mit keinem einzigen Buddhisten und spendete nicht einen einzigen Dollar. Für sie gab es nicht nur keine Kommunisten, es gab auch keinen Buddha, es gab nur Jesus.
Ich war 2017 wieder einmal auf dem Emei Shan, nun mit Seilbahn, wohnte ruhig und gemütlich in einem buddhistischen Gästehaus, liess mir die berühmten Wolkenspiele erklären, besuchte die neuen Bronze-, Silber- und Goldtempel (die Vergoldung ist echt), hörte Rezitationen der Sutras und spendete wie die Chinesen Geld für weitere Tempel.
Später dachte ich in einem Teehaus sitzend nach: China hat mehr erreicht, als sich Mei-ling und Chiang Kai Shek je erträumen konnten, China ist geeint, unabhängig, frei von aller Kolonialherrschaft, wirtschaftlich höchst erfolgreich, hat gute Schulen und Spitäler, hat es geschafft, 900 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien, verfügt über die schnellsten Züge und die modernsten Flughäfen, ist wieder wie vor 2000 Jahren eine Weltmacht und das alles – wie wir wissen – nicht dank der Missionare und dank des Generalissimus, sondern allein dank des chinesischen Volkes.
Tabu ist in der Politik nicht nur die Kritik an den Ikonen, tabu oder zumindest ungern gehört sind auch positive Nachrichten aus unbeliebten Ländern. So liest man weit häufiger über chinesische Umweltsünden als über die Pflanzung einer grünen Mauer, die die Äcker vor dem Gobisand schützt, von