Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann

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Название Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie
Автор произведения Nina Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066112783



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dessen es nicht bedurft hätte, um die Tragödie eines isolierten Charakters, wie ein geistvoller Essayist den Doppelgänger nennt, darzustellen.

      In mehreren Briefen Dostojewskys finden wir Andeutungen darüber, dass das Buch ein „Bekenntnis“ und ein specifisch russisches Bekenntnis ist, dass es einem Grundfehler des „russischen Menschen“ an den Leib geht und dass es auch den Finger auf die Stelle legt, wo geistige Zerrüttung beginnt, die im Wahnsinn endet.

      Der „Roman in neun Briefen“ entstand, wie wir gesehen haben, ebenfalls in der ersten Epoche von Dostojewskys schriftstellerischer Thätigkeit und, wie wir ja aus seinem Briefe an den Bruder sehen, in einer Nacht. Er ist nichts weiter, als eine psychologische Spielerei, in welcher der Dichter mit Meisterschaft die ebenbürtige, wenn auch sehr verschieden nuancierte Niederträchtigkeit von fünf Personen in knappster Weise in neun Briefen heraus arbeitet.

      Im Dezember 1845 kommt der Dichter in einem Brief an den Bruder noch einmal auf den unglücklichen Goljadkin zurück und erzählt, Belinsky habe eigens einen Leseabend veranstaltet, zu welchem auch Turgenjew eingeladen gewesen sei, damit er einige Kapitel dieser Erzählung höre. Allein Turgenjew entfernte sich sehr bald nach Beginn der Vorlesung, äusserte sich sehr lobend, war aber sehr eilig fortzukommen. Drei oder vier Kapitel hätten Belinsky sehr gefallen, „obwohl sie es nicht wert waren“, wie Dostojewsky sich ausdrückt, worauf er sagt, dass diese Erzählung, der eine der ernstesten Ideen zu Grunde liege, welche der Dichter bis heute in die Litteratur eingeführt habe, dennoch misslungen sei. Er hat sie nach 15 Jahren einer gründlichen Umarbeitung unterzogen, sie aber dann noch als eine „völlig misslungene Sache“ bezeichnet. —

      Des Dichters äussere Verhältnisse zeigen in dieser Zeit immer dasselbe Bild grösster Veränderlichkeit und Unordnung, dem immer auch ein Wechsel in der Stimmung entspricht. Eines aber ist bleibend: sein grosses Selbstgefühl. So sagt er in einem Briefe vom 1. April 1845: „Ein ganzer Schwarm neuer Schriftsteller ist aufgetaucht“. Die bedeutendsten darunter scheinen ihm Gontscharow und Herzen zu sein. „Man lobt sie ausserordentlich“, fährt er fort „der Vorrang aber bleibt vorläufig noch mir und wird wohl immer mir bleiben“.

      Allerlei Pläne schwirren in seinem Kopfe herum. Er beginnt für Belinskys „Vaterländische Annalen“ zwei kleine Geschichten: „Der rasierte Backenbart“ und „Die zerstörten Kanzleien“. — Diese letztere dürfte wohl die unter dem Namen „Herr Prohartschin“ später erschienene Geschichte sein. „Beide“, sagt er, „haben ein erschütterndes, tragisches Interesse und sind — dafür stehe ich Dir gut — schneidig bis aufs äusserste“. Auch eine gemeinsame Übersetzung von Goethes Reineke Fuchs schlägt er dem Bruder vor.

      Nach einem zweiten Besuch in Reval kündigt er dem Bruder an, dass er abermals ausziehen werde, zwei kleine, möblierte Zimmer in Aftermiete genommen habe, wohin er indes, wie wir später sehen werden, gar nicht übersiedelt. Er erzählt ferner, dass im „Zeitgenossen“, einer von Njekrássow redigierten Zeitschrift, Gogols geistiges Vermächtnis erscheine, worin dieser sich von allen seinen Werken lossage. „Also,“ fügt er hinzu, „ziehe selbst den Schluss daraus.“ — Dass man seinen Prohartschin in der Zeitschrift Njekrássows zu besprechen beginne, teilt er auch mit und schliesst abermals mit einem Ausbruch von Trauer und Melancholie, „wo es am besten sei zu schweigen“. Es ist diese Stimmung nämlich die Folge eines rivalisierenden Geplänkels der Redakteure, denen er sich abwechselnd verdingen muss, um schnell zu Geld zu kommen. Namentlich scheint Njekrássow immer in sehr kaufmännischer Weise alle Transaktionen geleitet zu haben. Ein bedeutendes Aufschnellen von Dostojewskys Stimmung tritt jedoch wieder ein, als der junge Dichter einen Kreis von Freunden findet, die festigend und ordnend in sein äusseres Leben eingreifen. Es sind die Brüder Beketow, vor allem aber S. D. Janowsky, mit dem er noch nach vielen Jahren in Korrespondenz stehen sollte. Nun schreibt er an den Bruder voll Vertrauen und Hoffnung, sich unabhängig zu machen, und voll Durst nach heiliger Kunst, nach einer reinen, heiligen Arbeit, mit der ganzen Aufrichtigkeit eines Herzens, „das noch nie in ihm so heftig erbebt habe, wie jetzt, da so viele neue Bilder in seiner Seele erstehen. Bruder,“ sagt er, „ich bin in einer Wiedergeburt begriffen, nicht nur geistig, sondern auch physisch; noch niemals habe ich eine solche Fülle und Klarheit in mir getragen, so viel Gleichmässigkeit des Charakters, so viel physische Gesundheit empfunden. Darin bin ich meinen teueren Freunden Beketow und — anderen tief verpflichtet, mit denen ich lebe. Das sind thätige, gescheite Menschen, Menschen, die ein vortreffliches Herz, Seelenadel, Charakter haben ... sie haben mich durch ihre Genossenschaft gesund gemacht. Zuletzt habe ich ihnen vorgeschlagen, dass wir miteinander wohnen sollten; wir haben eine grosse Wohnung aufgenommen, und die Gesamtauslagen für die Erhaltung jedes einzelnen übersteigen nicht 1200 Rubel jährlich. So gross ist die Wohlthat der Association.“

      Dieser Schluss dürfte, wie Orest Miller richtig bemerkt, wohl schon im Zusammenhang mit Dostojewskys neuester Beschäftigung stehen, mit dem Sozialismus:

      Ein tiefer gehendes Merkmal dieser Beschäftigung mit dem Sozialismus ist wohl der Umstand, dass sich der Dichter nachträglich in seiner eigenen Beurteilung der „Armen Leute“ von der rationalistischen Anschauung Belinskys beeinflussen lässt, welcher die positiven Schönheiten dieses Buches durchaus nicht in den weichen Schatten sieht, welche „Armut im Geiste“ über die Gestalt des Helden breitet, sondern ganz einfach in gewissen, schärfer hervortretenden, gleichsam das Mitleiden escomptierenden Zügen dieser missbrauchten, zertretenen Figur. Dostojewsky selbst schliesst sich, vermöge der seinen Geist jetzt beschäftigenden Ideen von Kollektivismus und Association, dieser flacheren Betrachtung an, und wir werden später sehen, wie er sich, seinem innersten Wesen nach, wieder davon lossagt.

      Über des Dichters Leben in den Jahren 1846 und 47 geben uns sowohl die Berichte N. Strachows, Dr. Granowskys und anderer Freunde, als auch seine stets die Stimmung des Augenblicks malenden Briefe an den Bruder ein ziemlich klares Bild. Obwohl er noch immer im Verein mit den Freunden lebt, „angenehm und ökonomisch,“ wie er sagt, leidet seine nervöse Konstitution doch schwer unter den doppelten Qualen eines schöpferischen Dranges, die Probleme, die ihn förmlich bestürmen, auszulösen, sie mit allerfeinster analytischer Genauigkeit herauszuarbeiten, und der misstrauischen Ängstlichkeit, mit welcher er auf den Eindruck lauert, den seine Arbeiten hervorrufen; wobei seine Eigenliebe bald den Gipfel des entzückten Triumphes und der Selbstüberschätzung erklimmt, bald abgrundtief in Kränkung und melancholischen Unwillen versinkt. Zudem plagt ihn das Ungeordnete, das dem Schriftsteller-Handwerk durch die Zahlungs-Verhältnisse zwischen Dichter, Redakteur und Verleger an und für sich anhaftet, doppelt. Dennoch finden wir nicht einen Augenblick wirklicher Mutlosigkeit oder eines Nachlasses in der Arbeit, und wir sehen von hier an, wo sich sein schriftstellerischer Beruf ihm und aller Welt schon klar gezeigt hat, eine immer gesteigerte Arbeitskraft, die alle Widerwärtigkeiten, die schwere, sich entwickelnde Epilepsie und die daraus entstehende Gedächtnisschwäche überwindet und geradezu verblüffende Leistungen schafft. Im Dezember 1846 teilt er dem Bruder mit, dass er ganz in Arbeit versunken ist. Er schreibt Tag und Nacht, erholt sich nur hie und da, wie er gleichsam als Entschuldigung zufügt, an der italienischen Oper. Er schreibt an der Erzählung „Njetotschka Njezwánowa“ — „auch eine Beichte“, sagt er, „wie Goljadkin, wenn auch in einem andern Tone. Mir scheint immer“, fährt er fort, „als führte ich einen Prozess gegen unsere gesamte Litteratur; und mit den drei Teilen meines Romans, die in den Vaterländischen Annalen erscheinen werden, stelle ich auch für dieses Jahr meinen Vorrang gegenüber meinen Neidern fest.“ Anfangs 1847 drückt er dem Bruder sein Bedauern darüber aus, dass dieser „ohne Umgebung“ lebe. Wir haben oben gesehen, wie sehr ihm die Deutschen der Ostseeprovinzen missfielen. Doch tröstet er ihn mit Worten, welche gleichfalls die neue, seinem ursprünglichen Wesen widersprechende Richtung kennzeichnen. Weiter berichtet er in überschwenglichen Ausdrücken über seine „Wirtin“, die er eben schreibt, gerade so selbstzufrieden, als mit dem Roman in neun Briefen. „Diese Erzählung wird besser, als die „Armen Leute“, sie ist in derselben Art“, meint er. „Meine Feder treibt eine Quelle der Inspiration, nicht so wie bei Prohartschin, an dem ich mich einen ganzen Sommer lang herumquälte.“

      „Herr Prohartschin“ ist eine jener Erzählungen aus der Zeit einer, wie wir oben gesagt, tastenden Nachahmung. Eine lächerliche, armselige Gestalt unter anderen armseligen und ungebildeten Menschen,