Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann

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Название Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie
Автор произведения Nina Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066112783



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ich erinnere mich dessen sehr gut: hat ein anderer Erfolg, nun man lobt ihn, man beglückwünscht ihn, man kommt ihm entgegen — aber seht, diese kommen mit Thränen in den Augen herbeigelaufen, um vier Uhr morgens, um mich zu wecken, „weil das mehr wert ist, als der Schlaf“! — Ach! wie schön! so dachte ich; wo wäre da Schlaf gekommen?

      Njekrássow brachte das Manuskript den selben Tag zu Belinsky. Er betete Belinsky an und es scheint, dass er ihn sein lebenlang mehr geliebt hat, als alle andern. Damals hatte Njekrássow noch nichts von der Bedeutung geschrieben, wie dies ihm im nächstfolgenden Jahre gelingen sollte. Njekrássow befand sich, soviel mir bekannt ist, ungefähr sechzehn Jahre in Petersburg. Er schrieb ungefähr schon seit seinem sechzehnten Jahre. Über seine Bekanntschaft mit Belinsky weiss ich wenig, aber dieser hat ihn gleich anfangs richtig taxiert und hat wahrscheinlich grossen Einfluss auf seine Dichtung genommen. Ungeachtet des damals noch jugendlichen Alters Njekrássows und des grossen Altersunterschiedes, der zwischen ihnen bestand, waren sicherlich auch damals solche Augenblicke vorgekommen und solche Worte zwischen ihnen gefallen, welche auf das ganze Leben Einfluss nehmen und unlösbare Bande knüpfen.

      „Ein neuer Gogol ist erstanden“, rief Njekrássow, als er, die „armen Leute“ in der Hand, bei Belinsky eintrat. „Bei Euch wachsen die Gogols wie die Pilze“, antwortete ihm strenge Belinsky, — aber er nahm das Manuskript. — Als Njekrássow wiederkam, da kam ihm Belinsky entgegen „geradezu bewegt“: bringen Sie ihn her, bringen Sie ihn schnell!

      Und da brachten sie mich (schon am dritten Tage) zu ihm. Ich erinnere mich, dass mich beim ersten Anblick sein Äusseres sehr frappiert hat; seine Nase, sein Kinn — ich hatte mir ihn, Gott weiss warum, durchaus anders vorgestellt, diesen schrecklichen, diesen furchtbaren Kritiker. Er begegnete mir mit ausserordentlichem Ernst und grosser Zurückhaltung. „Nun es muss ja auch so sein“, dachte ich bei mir; allein es verging kaum eine Minute und alles hatte sich verwandelt. Es war nicht der Ernst einer bedeutenden Persönlichkeit, eines grossen Kritikers, welcher einem 22jährigen Jünglinge entgegen kam, der eben seine schriftstellerische Laufbahn betritt, sondern dieser Ernst floss sozusagen aus der Achtung vor jenen Gefühlen, die er so schnell als möglich in mich giessen wollte, vor jenen wichtigen Worten, die er mir zu sagen sich gedrängt fühlte. Er redete mich nun leidenschaftlich, mit leuchtenden Augen an: „Ja, verstehen Sie denn selbst — wiederholte er mehreremale, nach seiner Gewohnheit schreiend —, was Sie da geschrieben haben?“ Er schrie immer, wenn er in starker Bewegung sprach, „das haben Sie nur durch unmittelbares Gefühl, nur als Künstler schreiben können. Aber haben Sie denn selbst die schreckliche Wahrheit bedacht, auf die Sie uns hingewiesen haben? Es kann nicht sein, dass Sie mit Ihren 20 Jahren das verstehen könnten. Ja, dieser Ihr unglücklicher Beamte, ja, der ist schon dahin gekommen und hat sich selbst schon dahin gebracht, dass er sich selbst aus Erniedrigung sogar nicht mehr einen Unglücklichen zu nennen wagt und die geringste Klage als eine Freidenkerei ansieht; der es nicht einmal wagt, sich das Recht zuzusprechen, unglücklich zu sein, und als ihm der gute Mensch, der General, jene 100 Rubel giebt, ist er ganz zermalmt, ganz vernichtet vor Verwunderung, dass „ihre Excellenz haben“ einen solchen, wie er ist, bemitleiden können, „ihre Excellenz haben“, wie Sie ihn sich ausdrücken lassen, nicht „seine Excellenz hat“. Und der abgerissene Knopf, und der Augenblick, da er dem General das Händchen küsst, ja, da ist nicht mehr Mitleid mit einem Unglücklichen, da ist Grauen! Grauen! In dieser Dankbarkeit liegt etwas Grauenhaftes, das ist eine Tragödie. Sie haben das innerste Wesen der Sache getroffen, das allerwichtigste mit einem Strich gezeigt. Wir Publizisten und Kritiker beurteilen nur, wir trachten das Ding mit Worten zu erklären, aber Sie, der Künstler, stellen mit einem Strich die tiefste Wesenheit der Sache im Bilde hin, so dass man es auf einmal fassen kann, dass dem urteilslosesten Leser mit einem Male alles begreiflich werde. Da haben Sie das Geheimnis des Künstlertums, da haben Sie die Wahrheit in der Kunst. So dient Ihr der Wahrheit. Ihnen ist sie offenbart und verkündet als einem Künstler; Sie haben sie als ein Geschenk empfangen. — Schätzen Sie also diese Gabe hoch, bleiben Sie ihr treu, und Sie werden ein grosser Künstler werden!“

      Alles dieses sagte er mir damals, alles dieses sagte er auch später über mich vielen anderen, die jetzt noch leben und es bezeugen können. Ganz berauscht ging ich von ihm fort; ich blieb an der Ecke seines Hauses stehen, sah den Himmel über mir, sah den hellen Tag, die Vorübergehenden, und fühlte mit meinem ganzen Wesen, dass in meinem Leben ein feierlicher Augenblick eingetreten war, ein Durchbruch nach der Ewigkeit, etwas ganz Neues; aber etwas, das ich damals auch in meinen leidenschaftlichsten Träumen nicht vermutet hatte (und ich war damals ein schrecklicher Träumer!). „Wär’ es möglich, bin ich in Wahrheit so gross?“ — dachte ich schamhaft, in einer Art schüchterner Entzückung, bei mir. O, lachet nicht! Niemals nachher habe ich gedacht, dass ich gross sei, aber damals — konnte man denn das ertragen! O, ich werde dieses Lobes würdig sein! — Und was für Menschen, was für Menschen! Ich werde es verdienen, ich werde trachten so prächtig zu werden wie sie, ich werde ausharren, getreu sein! O, wie bin ich doch leichtsinnig! Wenn Belinsky nur sähe, was für niedere, schändliche Dinge in mir sind! Übrigens giebt es solche Leute nur in Russland, sie stehen allein, aber bei ihnen allein ist Wahrheit; und diese, das Gute und Wahre siegen und triumphieren überall. — So werden wir über das Böse und das Laster siegen — o, zu ihnen also, mit ihnen! ......

      Das alles dachte ich, ich erinnere mich des Augenblicks in seiner ganzen Klarheit, und niemals habe ich ihn später vergessen können; das war der hinreissendste Moment meines ganzen Lebens.

      Mit dieser Erzählung „Arme Leute“, sagt N. Strachow, „hat Dostojewsky einen neuen Ton in die russische Litteratur gebracht. Die Situation und die Figur des armen Helden, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit der Hauptfigur aus Gogols „Mantel“ hat, weist Züge rührender Schönheit und Herzenseinfalt auf, während Gogol nur das Factum, das Erniedrigende und Lächerliche desselben darstellt“. Dass Dostojewsky mit vollem Bewusstsein diesen grossen Schritt gethan und diesen echt russischen Zug von Teilnahme und Liebe zu den Unbegabten und Erniedrigten in die Litteratur gebracht hat, beweist die Stelle, wo Makar Djewuschkin (der Held), dem das geliebte Mädchen Bücher leiht und einmal Gogols „Mantel“ zu lesen anrät, diese Erzählung als ein böswilliges Pasquill auf alle Armen aufnimmt, „die man ja jetzt auf der Strasse erkennen kann“, und sich in seiner Verzweiflung zum ersten Male im Leben — einen Rausch antrinkt. Es ist dies Dostojewskys schärfste Kritik Gogols, den er im übrigen unendlich bewundert und den er sich infolge ähnlicher Anlage zum Humor eine Zeit lang äusserlich zum Muster nimmt. — Wir mussten länger bei dieser Erzählung verweilen, weil sie eigentlich schon das „Leitmotiv“ der litterarischen Thätigkeit von Dostojewskys ganzem Leben anstimmt. Im Gegensatze zu anderen Dichtern, welche in ihren Erstlingswerken höchst unoriginal sind und erst später zu sich selbst kommen, setzt Dostojewsky kräftig und zielbewusst mit dem Ton an, der durch alle seine Werke geht, den er in der Seele hört, und um deswillen allein er schreibt. Seine Biographen und Arbeitsgenossen nennen vier Anlässe oder Anläufe des Dichters, welche seine vier, nach ihrer Grundidee bedeutendsten Werke hervorgerufen haben, gleichsam grosse Etappen auf seiner Dichterlaufbahn. N. N. Strachow, des Dichters Freund und Mitarbeiter, sagt in seinem Nachruf: „In seiner litterarischen Thätigkeit hat Dostojewsky eine Lebenskraft und Energie gezeigt, wie kein Zweiter. Er hatte Perioden der Erschlaffung, gleichsam des Verfalles — dann aber hat er sich immer wieder höher aufgeschwungen als je zuvor und sich immer wieder von einer neuen Seite gezeigt. Man kann vier solche neue Krafterhöhungen bei ihm nachweisen: 1. „Arme Leute“, 2. „Das Totenhaus“, 3. „Schuld und Sühne“ und endlich 4. „Das Tagebuch eines Schriftstellers“.

      Uns scheint diese Einteilung eine ziemlich äusserliche zu sein. Die vier Grundideen, welche sich in diesen vier Werken äussern, sind durchaus einheitlich und nur verschiedene Äusserungen des in „Arme Leute“ angeschlagenen Themas. Hat man aber dieses Grundthema herausempfunden, so wird man, nämlich seiner Wirkung nach aussen nach, finden, dass zwei andere Werke es noch kräftiger, eindringlicher, zwingender durchführen. Diese Werke sind: „Der Idiot“ und „Die Brüder Karamasow“. Wir werden bei der Besprechung jedes einzelnen eingehender darauf zurückkommen. Gleichwohl wird der aufmerksame Leser von Dostojewskys Werken in Bezug auf seine litterarische Entwickelung zwei Epochen seiner schriftstellerischen Thätigkeit unterscheiden. Die erste Phase, welche gleich nach dem herrlich sicheren Ansetzen