Ausgewählte Werke über die Sexualität von Sigmund Freud.

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Название Ausgewählte Werke über die Sexualität von Sigmund Freud
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isbn 9788027207282



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glaube auch nicht, daß sie sich, ähnlich wie ich, genug intensiv damit beschäftigt haben, um es selbständig auffinden zu können. Die Bemerkungen in den Studien über Hysterie sind vollkommen unzureichend, um 33 einem Leser die Beherrschung dieser Technik zu ermöglichen, streben solche vollständige Unterweisung auch keineswegs an.

      Die psychoanalytische Therapie ist derzeit nicht allgemein anwendbar; ich kenne für sie folgende Einschränkungen: Sie erfordert ein gewisses Maß von Reife und Einsicht beim Kranken, taugt daher nicht für kindliche Personen oder für erwachsene Schwachsinnige und Ungebildete. Sie scheitert bei allzu betagten Personen daran, daß sie bei ihnen, dem angehäuften Material entsprechend, allzuviel Zeit in Anspruch nehmen würde, so daß man bis zur Beendigung der Kur in einen Lebensabschnitt geraten würde, für welchen auf nervöse Gesundheit nicht mehr Wert gelegt wird. Endlich ist sie nur dann möglich, wenn der Kranke einen psychischen Normalzustand hat, von dem aus sich das pathologische Material bewältigen läßt. Während einer hysterischen Verworrenheit, einer eingeschalteten Manie oder Melancholie ist mit den Mitteln der Psychoanalyse nichts zu leisten. Man kann solche Fälle dem Verfahren noch unterziehen, nachdem man mit den gewöhnlichen Maßregeln die Beruhigung der stürmischen Erscheinungen herbeigeführt hat. In der Praxis werden überhaupt die chronischen Fälle von Psychoneurosen besser der Methode standhalten als die Fälle von akuten Krisen, bei denen das Hauptgewicht naturgemäß auf die Raschheit der Erledigung fällt. Daher geben auch die hysterischen Phobien und die verschiedenen Formen der Zwangsneurose das günstigste Arbeitsgebiet für diese neue Therapie.

      Daß die Methode in diese Schranken gebannt ist, erklärt sich zum guten Teil aus den Verhältnissen, unter denen ich sie ausarbeiten mußte. Mein Material sind eben chronisch Nervöse der gebildeteren Stände. Ich halte es für sehr wohl möglich, daß sich ergänzende Verfahren für kindliche Personen und für das Publikum, welches in den Spitälern Hilfe sucht, ausbilden lassen. Ich muß auch anführen, daß ich meine Therapie bisher ausschließlich an schweren Fällen von Hysterie und Zwangsneurose erprobt habe; wie es sich bei jenen leichten Erkrankungsfällen gestalten würde, die man bei einer indifferenten Behandlung von wenigen Monaten in wenigstens scheinbare Genesung ausgehen sieht, weiß ich nicht anzugeben. Wie begreiflich, durfte eine neue Therapie, die vielfache Opfer erfordert, nur auf solche Kranke rechnen, die bereits die anerkannten Heilmethoden ohne Erfolg versucht hatten oder deren Zustände den Schluß berechtigten, sie hätten von diesen angeblich bequemeren und kürzeren Heilverfahren nichts zu erwarten. So mußte ich mit einem unvollkommenen Instrumente sogleich die schwersten Aufgaben in Angriff nehmen; die Probe ist um so beweiskräftiger ausgefallen.

      Die wesentlichen Schwierigkeiten, die sich jetzt noch der psychoanalytischen Heilmethode entgegensetzen, liegen nicht an ihr selbst, sondern in dem Mangel an Verständnis für das Wesen der Psychoneurosen bei Ärzten und Laien. Es ist nur das notwendige Korrelat zu dieser vollen Unwissenheit, wenn sich die Ärzte für berechtigt halten, den Kranken durch die unzutreffendsten Versicherungen zu trösten oder zu therapeutischen Maßnahmen zu veranlassen. »Kommen Sie für sechs Wochen in meine Anstalt, und Sie werden Ihre Symptome (Reiseangst, Zwangsvorstellungen usw.) verloren haben.« Tatsächlich ist die Anstalt unentbehrlich für die Beruhigung akuter Zufälle im Verlaufe einer Psychoneurose durch Ablenkung, Pflege und Schonung; zur Beseitigung chronischer Zustände leistet sie – nichts, und zwar die vornehmen, angeblich wissenschaftlich geleiteten Sanatorien ebensowenig wie die gemeinen Wasserheilanstalten.

      Es wäre würdiger und dem Kranken, der sich doch schließlich mit seinen Beschwerden abfinden muß, zuträglicher, wenn der Arzt die Wahrheit sprechen würde, wie er sie alle Tage kennenlernt: Die Psychoneurosen sind als Genus keineswegs leichte Erkrankungen. Wenn eine Hysterie anfängt, kann niemand vorher wissen, wann sie ein Ende nehmen wird. Man tröstet sich meist vergeblich mit der Prophezeiung: Eines Tages wird sie plötzlich vorüber sein. Die Heilung erweist sich häufig genug als ein bloßes Übereinkommen zur gegenseitigen Duldung zwischen dem Gesunden und dem Kranken im Patienten oder erfolgt auf dem Wege der Umwandlung eines Symptoms in eine Phobie. Die mühsam beschwichtigte Hysterie des Mädchens lebt nach kurzer Unterbrechung durch das junge Eheglück in der Hysterie der Ehefrau wieder auf, nur daß jetzt eine andere Person als früher, der Ehemann, durch sein Interesse veranlaßt wird, über den Erkrankungsfall zu schweigen. Wo es nicht zu manifester Existenzunfähigkeit infolge von Krankheit kommt, da fehlt doch fast nie die Einbuße an aller freien Entfaltung der Seelenkräfte. Zwangsvorstellungen kehren das ganze Leben hindurch wieder; Phobien und andere Willenseinschränkungen sind für jede Therapie bisher unbeeinflußbar gewesen. Das alles wird dem Laien vorenthalten, und darum ist der Vater einer hysterischen Tochter entsetzt, wenn er z. B. einer einjährigen Behandlung seines Kindes zustimmen soll, wo doch die Krankheit etwa erst einige Monate gedauert hat. Der Laie ist sozusagen von der Überflüssigkeit all dieser 35 Psychoneurosen tief innerlich überzeugt, er bringt darum dem Krankheitsverlaufe keine Geduld und der Therapie keine Opferbereitschaft entgegen. Wenn er sich angesichts eines Typhus, der drei Wochen anhält, eines Beinbruches, der zur Heilung sechs Monate beansprucht, verständiger benimmt, wenn ihm die Fortsetzung orthopädischer Maßnahmen durch mehrere Jahre einsichtlich erscheint, sobald sich die ersten Spuren einer Rückgratsverkrümmung bei seinem Kinde zeigen, so rührt dieser Unterschied von dem besseren Verständnis der Ärzte her, die ihr Wissen in ehrlicher Mitteilung dem Laien übertragen. Die Aufrichtigkeit der Ärzte und die Gefügigkeit der Laien wird sich auch für die Psychoneurosen herstellen, wenn erst die Einsicht in das Wesen dieser Affektionen ärztliches Gemeingut geworden ist. Die psychotherapeutische Radikalbehandlung derselben wird wohl immer eine besondere Schulung erfordern und mit der Ausübung anderer ärztlicher Tätigkeit unverträglich sein. Dafür winkt dieser, in der Zukunft wohl zahlreichen Klasse von Ärzten Gelegenheit zu rühmlichen Leistungen und einer befriedigenden Einsicht in das Seelenleben der Menschen.

      Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie

      (1905)

      Inhaltsverzeichnis

       VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE

       VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE

       I DIE SEXUELLEN ABIRRUNGEN

       (1) ABWEICHUNGEN IN BEZUG AUF DAS SEXUALOBJEKT

       (2) ABWEICHUNGEN IN BEZUG AUF DAS SEXUALZIEL

       (3) Allgemeines über alle Perversionen

       (4) DER SEXUALTRIEB BEI DEN NEUROTIKERN

       (5) PARTIALTRIEBE UND EROGENE ZONEN

       (6) ERKLäRUNG DES SCHEINBAREN ÜBERWIEGENS PERVERSER SEXUALITäT BEI DEN PSYCHONEUROSEN

       (7) VERWEIS AUF DEN INFANTILISMUS DER SEXUALITäT

       II DIE INFANTILE SEXUALITäT

       [1]DIE SEXUELLE LATENZPERIODE DER KINDHEIT UND IHRE DURCHBRECHUNGEN

       [2]DIE ÄUßERUNGEN DER INFANTILEN SEXUALITäT

       [3]DAS SEXUALZIEL DER INFANTILEN SEXUALITäT