Vorhang zu!. André Storm

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Название Vorhang zu!
Автор произведения André Storm
Жанр Языкознание
Серия Ben Pruss
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954415298



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Tür hielt Ben inne. Er vernahm gedämpfte klassische Musik aus dem Raum dahinter. Das Schild neben der Tür verkündete, dass diese Garderobe einem Frank gehörte. Sprach da nicht auch jemand? Ben legte den Kopf schief und trat näher an die Tür. Mit kribbelnder Aufregung stellte er fest, dass er beabsichtigte, an der Tür zu lauschen. Oh Mann, dachte er. Er war ein echter Schnüffler. Damit hatte er zumindest Punkt 2 auf seiner privaten Liste Anforderungen an Detektive erfüllt.

      Nr. 1: Heimlich Zimmer durchsuchen.

      Nr. 2: Andere Leute belauschen.

      Kai wandte sich wieder dem Fenster zu. »Ey, guck mal, da kommt noch einer.«

      »Pssst! Sei leise!«, unterbrach ihn Ben in einem schroffen Tonfall. Er beugte seinen Oberkörper noch weiter in Richtung der Tür. Eindeutig vernahm er die gedämpfte Stimme eines Mannes. »Mietzekatze, Mietzekatze, Mietzekatze, Bla, Blaaaa, Blaaaaaa«. Irritiert, ohne den Kopf von der Tür zu nehmen, drehte Ben sich zu Kai um, der ihm keine Beachtung schenkte, sondern weiterhin fasziniert durch das Fenster in den Saal starrte. Die Stimme, die soeben begann »Ooooooooola, Ooooooooola« zu skandieren, wurde mit einem Mal lauter, dann öffnete sich schlagartig die Tür. Erschrocken sprang Ben zurück und prallte hart an die Mauer hinter ihm.

      »Haben Sie sich verlaufen?«, fragte der Mann, der im Türrahmen erschien. Er überragte Ben um nahezu eine Kopflänge. Sein schulterlanges Haar hing in einem lockeren Seitenscheitel herab, und sein Gesicht zierte ein gepflegt wirkender Drei-Tage-Bart. Ein glänzender Anzug und silberne Stiefeletten rundeten das Bild ab. Er schaute Ben mit einem freundlichen und unaufgeregten Lächeln an.

      Dieser hatte ihn gleich erkannt. Das war Frank Pracht, Zauberer und Moderator der Show. Der allerdings kein Zeichen des Erkennens in Bens Richtung sandte, obwohl die beiden sich mehrfach auf Zauberkongressen gesehen und auch schon das ein oder andere Wort miteinander getauscht hatten.

      »Nein. Äh. Ich habe nur … Ich wollte nicht.«

      »Stimmübungen«, antwortete der Mann. »Sehr wichtig vor der Show. Hört sich wohl nicht so intelligent an, was?«

      »Tschuldigung.« Ben sah sich in Gedanken durch das verschlossene Fenster springen und durch den Saal davonhechten. Er grinste verlegen. »Ben Pruss ist mein Name, ich bin der neue … der neue Masseur.« Er hielt dem Mann die Hand hin, und sein Gegenüber schüttelte sie kraftvoll. »Masseur? Meine Güte! Man sollte meinen, der Pedro würde es gut mit uns meinen!« Er lächelte halbherzig, und Ben war sich nicht sicher, ob er es scherzhaft meinte. Wahrscheinlich war er einfach schon etwas angespannt vor seinem Auftritt. Ben kannte das von sich. Kai grüßte kurz mit zwei Fingern an der Stirn und einem angetrunkenen Lächeln. »Das ist Kai Siebert. Wir sehen uns gleich die Show an und müssen schnell noch mal zum Auto.« Ben deutete den Gang entlang in die Richtung, in der seiner Meinung nach die Hintertür sein musste.

      »Hallo!«, sagte der Mann zu Kai, und dann, an Ben gewandt: »Ich heiße Frank Pracht. Ich bin der Conférencier und Zauberer der Show. Na, dann sehen wir uns sicher später noch.«

      »Conf… Confronz und Zauberer?«, meldete sich ausgerechnet jetzt Kai zu Wort, und die Aussprache wankte dabei so stark wie sein Oberkörper. »Cool. Kannst du mal ’nen Trick machen? Mein Kumpel hier …«, er deutete ungelenk mit dem Zeigefinger auf Ben, »kann auch Tricks.«

      »Nicht jetzt, Kai«, brummte Ben streng und zog seinen Freund mit sanfter Gewalt zur Seite. Dabei warf er ein versöhnliches Lächeln in Richtung Frank Pracht.

      Der lächelte verständnisvoll zurück und ging zu Bens Erleichterung nicht näher auf Kais Einlassung ein. Dann nickte er kurz, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand durch die einzelne Tür auf der linken Seite. Ben atmete hörbar aus. Froh, halbwegs unkompliziert aus dieser Nummer herausgekommen zu sein, machte er sich eine gedankliche Notiz: Stimmübungen vor der Show sind wichtig!

      Ein Großteil der Zuschauer saß bereits auf seinen Plätzen, als Ben und Kai den Saal betraten. Es herrschte reges Treiben in allen Reihen, und in die leise Musik, die aus den Boxen drang, mischte sich ein unverständliches Stimmengewirr. Sie standen auf einer Empore, die der Bühne gegenüberlag. Vor einem Geländer gab es hier zwei Tischreihen. Da die Empore ein Stück höher lag als die Bühne, boten alle Plätze hier einen unverstellten Blick auf die Spielfläche. Zwei Treppen an den Seiten führten in den unteren Teil des Saals. »Da hinten müssen wir hin.« Er deutete auf einen Tisch in ungefähr fünf Metern Entfernung zur Bühne, genau in der Mitte.

      Eine Minute später sanken sie in die weichen, rot gepolsterten Sessel, die im Boden verankert waren und sich leicht in alle Richtungen drehen ließen. Kai grunzte unverständlich und suchte nach einem Kellner. Am Parkplatz hatte ihm Ben seine Notration Bier abgenommen, und er schien wieder nüchtern genug zu sein, um dieser Situation entgegenzutreten.

      Ben genoss es, das eigene Gewicht im Sessel zu spüren, und er nahm den Raum in sich auf. Rote Polstersessel, rote Wände, roter Samtvorhang vor der Bühne. Alles warm, indirekt beleuchtet. Seitlich an den Wänden verlief eine golden glänzende Borte durch den Saal, die vorne an den Stufen am Bühnenrand endete. Auf den Tischen aus dunklem Holz standen kleine, fest verschraubte Stehleuchten. Der Raum wirkte von innen höher als von außen. Ben gefiel es hier, und einmal mehr kam ihm der Gedanke, dass ein Auftritt in so einem Etablissement doch ein ganz besonders tolles Erlebnis sein müsse. Er wusste, wenn man bei Tageslicht genauer hinsah, würde man Flecken auf den Teppichen, Kratzer auf den Tischen und Macken an den Wänden erkennen. In diesem Licht wirkte der Saal jedoch zeitlos und edel – und für dieses Licht war er schließlich gebaut worden.

      Ein Kellner mit schwarzer Stoffhose, rotem Zack-Hemd und Tablett kam an den Tisch, und sie gaben ihre Bestellung auf. Ein großes Bier und eine Apfelschorle.

      »Voll peinlich wie du eben beim Lauschen erwischt worden bist«, setzte Kai unvermittelt mit einem gehässigen Grinsen an und versetzte Ben damit einen Stich in die Magengegend. Die Sache war ihm äußerst unangenehm, und er hätte gerne für immer darüber geschwiegen.

      »Ach ja, und du hast die ganze Scheibe mit deiner fettigen Stirn verschmiert«, konterte er mittelmäßig. »Und hör bloß auf, irgendwem zu erzählen, dass ich auch Zauberer bin. Das bin ich nämlich im Moment nicht!« Zu seinem Glück verdunkelte sich just in diesem Moment der Saal und ein dramatischer Jingle setzte ein, um den Beginn der Show anzukündigen.

      Ben und Kai gefiel die Show. Sie hatte Speed, sie hatte ruhige Momente und sie hatte in Frank Pracht einen Conférencier, der sein Handwerk außergewöhnlich gut verstand. Ben hatte Schwierigkeiten, sich alle »mentalen Notizen« zu merken, die er sich gemacht hatte, um seine eigene Show in Zukunft ein Stück weit nach Frank Prachts Vorbild aufzuwerten. Der war es, der als Erster die Bühne betrat und mit einer Stand-up-Comedy eloquent und perfekt getimt die Zuschauer anheizte. Der Act, der folgte, war Guilio Elmo, der »italienische Jongleur« aus dem Erzgebirge. Beim Höhepunkt seiner Darbietung stellte er sich in einen mit Schwarzlicht beleuchteten, quadratischen Rahmen und jonglierte dort mit sieben leuchtenden Bällen, die er an den Wänden, dem Boden und dem Dach des Rahmens abprallen ließ. Das Publikum tobte.

      Die zweite Nummer, nach einer kurzen Anmoderation von Frank Pracht, bei der er das gesamte Publikum in ein magisches Kunststück einbezog, war die Schlangenfrau Lily Polley. Ben lernte hier ein Wort, welches er vorher noch nie gehört und am nächsten Tag schon wieder vergessen haben würde. Denn Frank Pracht erklärte, dass der Fachbegriff für eine Schlangenfrau »Kontorsionistin« sei. Lily Polley trieb es auf die Spitze, indem sie lebende Schlangen, eine Würgeschlange, eine Kobra und zwei Klapperschlangen in ihre Akrobatik mit einbezog. Am Ende ihrer Nummer kletterte sie zu der Würgeschlange in eine gläserne Truhe, die viel zu klein für sie beide schien. Bei dieser Nummer herrschte Totenstille im Publikum, und erst als Lily wohlbehalten aus der Kiste stieg und sich in eine Applauspose warf, brandete der Beifall los.

      Act Nummer drei war die Hundedressur einer Schwedin namens Aletta Fernström. Die Dame war das Gegenteil von Lily Polley. Rundlich, mit paillettenbesetztem, rosa glitzerndem und hautengem Kleid. Passend dazu einen rosa Cowboyhut und rosa Stiefel. Vier Hunde, ein Collie und drei Pudel, rannten aufgeregt um ihre Füße und vollführten die verschiedensten Kunststückchen. Ben fand diese Nummer langweilig. Zu Hunden hatte