Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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vor neuen Gebilden, so daß ich mich ernstlich umsehen mußte, wo denn dieser herrliche Lindenhain oder jenes mächtige Gebirge hingekommen seien, die ich im Augenblicke noch zu sehen geglaubt? Dazu verbreiteten die frischen Firnisse der Bilder einen sonntäglichen Duft, der mir angenehmer dünkte als der Weihrauch einer katholischen Kirche, obschon ich diesen sehr gern roch.

      Es ward mir kaum möglich, endlich vor einem Werke stillzustehen, und als dies geschah, da vergaß ich mich vor demselben und kam nicht mehr weg. Einige große Bilder der Genfer Schule, mächtige Baum-und Wolkenmassen in mir unbegreiflichem Schmelze gemalt, waren die Zierden der Ausstellung, eine Menge Genrebildchen und Aquarellen reizten dazwischen als leichtes Plänklervolk, und ein paar Historien und Heiligenscheine wurden kalt bewundert. Aber immer kehrte ich zu jenen großen Landschaften zurück, verfolgte den Sonnenschein, welcher durch Gras und Laub spielte, und prägte mir voll inniger Sympathie die schönen Wolkenbilder ein, welche von Glücklichen mit leichter und spielender Hand hingetürmt schienen.

      Ich stak, solange es dauerte, den ganzen Tag in dem wonniglichen Saale, wo es fein und anständig herging, die Leute sich höflich begrüßten und vor den glänzenden Rahmen mit zierlichen Worten sich besprachen. Nach Hause gekommen, saß ich nachdenklich umher und beklagte fortwährend mein Schicksal, daß ich auf das Malen verzichten müsse, daß es meiner Mutter durchs Herz ging und sie nochmals eine Rundschau anstellte mit dem Vorsatze, mir meinen Willen zu tun, möchte es gehen, wie es wolle.

      So trieb sie endlich einen Mann auf die Beine, welcher in einem alten Frauenklösterlein vor der Stadt, wenig beachtet, einen wunderlichen Kunstspuk trieb. Er war ein Maler, Kupferstecher, Lithograph und Drucker in einer Person, indem er, in einer verschollenen Manier, vielbesuchte Schweizerlandschaften zeichnete, dieselben in Kupfer kratzte, abdruckte und von einigen jungen Leuten mit Farben überziehen ließ. Diese Blätter versandte er in alle Welt und führte einen dankbaren Handel damit. Dazu machte er, was ihm unter die Finger kam, sonst noch, riskierte Porträts, fertigte Etiketten und Visitenkarten, Taufscheine mit Taufstein und Paten und Grabschriften mit Trauerweiden und weinenden Genien; wenn dazwischen ein Unkundiger gekommen wäre und ihm gesagt hätte »Könnt Ihr mir ein Bild malen, so schön es zu haben ist, das unter Kennern zehntausend Taler wert ist? ich möchte ein solches!« so würde er die Bestellung unbedenklich angenommen und sich, nachdem die Hälfte des Preises zum voraus bezahlt, unverweilt an die Arbeit gemacht haben. Bei diesem Treiben unterstützte ihn ein tapferes Häuflein Gerechter, und der Schauplatz ihrer Taten war das ehemalige Refektorium der frommen Klosterfrauen. Dessen beide Langseiten waren jede mit einem halben Dutzend hoher Fenster versehen mit runden Scheibchen, welche wohl Licht ein-, aber bei ihrer wellenförmigen Oberfläche keinen Blick hinausließen, was auf den Fleiß der hier waltenden Kunstschule wohltätigen Einfluß übte. Jedes dieser Fenster war mit einem Kunstbeflissenen besetzt, welcher, dem Hintermanne den Rücken zukehrend, dem Vordermanne ins Genick sah. Das Haupttreffen dieser Armee bildeten vier bis sechs junge Leute, teils Knaben, welche die Schweizerlandschaften blühend kolorierten; dann kam ein kränklicher, hustender Bursche, der mit Harz und Scheidewasser auf kleinen Kupferplatten herumschmierte und bedenkliche Löcher hineinfressen ließ, auch wohl mit der Radiernadel dazwischenstach und der Kupferstecher genannt wurde. Auf diesen folgte der Lithograph ein froher und unbefangener Geist, der verhältnismäßig das weiteste Gebiet umfaßte, nächst dem Meister, da er stets gewärtig und bereit sein mußte, das Bildnis eines Staatsmannes oder eine Wein karte, den Plan einer Dreschmaschine wie das Titelblatt für eine Erbauungsschrift junger Töchter auf den Stein zu bringen mit Kreide, Feder, graviert oder getuscht. Im Hintergrunde des Refektoriums arbeiteten mit breiten Bewegungen zwei schwärzliche Gesellen, der Kupfer- und der Steindruckergehilfe, jeder an seiner Presse, indem sie die Werke obiger Künstler auf feuchtes Papier abzogen. Endlich, im Rücken der ganzen Schar und alle übersehend, saß der Meister, Herr Kunstmaler und Kunsthändler Habersaat, Besitzer einer Kupfer- und Steindruckerei und sich allen entsprechenden Aufträgen empfehlend, an seinem Tische mit den feinsten und schwierigsten Aufgaben, meistens jedoch mit seinem Buche, Briefschreiben und dem Verpacken der fertigen Sachen beschäftigt.

      Es herrschte ein streng ausgeschiedener Geist in den Ansprüchen und Hoffnungen des Refektoriums. Der Kupferstecher und der Lithograph waren fertige Leute, die selbständig in die Welt schauten, bei Meister Habersaat um einen Gulden täglich ihre acht Stunden arbeiteten und sich weiter weder um ihn was bekümmerten noch große Hoffnungen nährten. Mit den jungen Koloristen hingegen verhielt es sich anders. Diese lustigen Geister gingen mit wirklichen, leichten und durchsichtigen Farben um, sie handhabten den Pinsel in Blau, Rot und Gelb, und das um so fröhlicher, als sie sich um Zeichnung und Anordnung nichts zu bekümmern hatten und mit ihrem buntflüssigen Elemente vornehm über die düstern Schwarzkünste des Kupferstechers wegeilen durften. Sie waren die eigentlichen Maler in der Versammlung, ihnen stand noch das Leben offen, und jeder hoffte, wenn er nur erst aus diesem Fegefeuer des Meisters Habersaat entronnen, noch ein großer Künstler zu werden. In dieser Cruppe erbte sich durch alle Generationen, welche schon im Dienste des Meisters durch das Refektorium geschwunden, die große Künstlertradition von Samtrock und Barett fort; aber nur selten erreichte einer dies Ziel, indem immer der Flug vorher ermüdete und die Mehrzahl der Getäuschten nach ihrem Austritte noch ein gutes Handwerk erlernte. Es waren immer Söhne blutarmer Leute, welche, in der Wahl eines Unterkommens verlegen, von dem rührigen Manne in sein Refektorium gelockt wurden unter der Aussicht, eine Art Maler und Herren zu werden, die ihr Auskommen finden und immer noch etwas über dem Schneider und Schuster stehen würden. Da sie gewöhnlich keine Gelder beibringen konnten, so mußten sie sich verbindlich machen, den Unterricht in der »Malerkunst« abzuverdienen und vier Jahre für den Meister zu arbeiten. Er richtete sie dann vom ersten Tage an zum Färben seiner Landschaften ab und brachte sie, ungeachtet ihrer gänzlichen Unberufenheit, durch Strenge so weit, daß sie ihre Arbeit bald reinlich und klar und nach den überlieferten Gebräuchen verrichteten. Nebenbei durften sie, wenn sie wollten, an Feiertagen ein verkommenes oder zweckloses Blatt nachzeichnen zur weiteren Ausbildung, und sie wählten meistens solche Gegenstände, welche nichts zu lernen darboten, aber für den Augenblick am meisten Effekt machten und die ihnen der Meister korrigierte, wenn er nicht allzu beschäftigt war. Er sah es aber nicht einmal gern, wenn sie diesen Privatfleiß zu weit trieben; denn er hatte schon einigemal erfahren, daß solche, welche Geschmack daran fanden und eine künstlerische Ader in sich entdeckten, beim Kolorieren seiner Prospekte unreinlich und verwirrt geworden. Sie mußten streng und anhaltend arbeiten und steckten um so mehr voll Possen und Schwänke, die sich in jedem freien Augenblicke Luft machten, und erst gegen das vierte Jahr hin, wenn die schönste Zeit zur Erlernung von etwas Besserm verflossen war, wurden sie gebeugt und gedrückt, von den Eltern mit Vorwürfen geplagt, daß sie immer noch von ihrem Brote äßen, und dachten ernstlich darauf, während sie noch pinselten, bei guter Zeit noch etwas Einträglicheres zu ergreifen, und auch solche, die wirklich aus einem innern Antriebe gekommen waren und außergewöhnliches Geschick bezeigten, fielen ohne weiteres ab, da sie in ihrer ganzen Erfahrung zufällig nie gehört, daß man nur durch Entbehren, Dulden und Ausharren ans Ziel gelange, und dagegen einzig wußten, daß man so bald als möglich Geld verdienen müsse. Die Jugendjahre von wohl dreißigen solcher Knaben und Jünglinge hatte Habersaat schon in blauen Sonntagshimmeln und grasgrünen Bäumen auf sein Papier gehaucht, und der hüstelnde Kupferstecher war sein infernalischer Helfershelfer, indem er mit seinem Scheidewasser die schwarze Unterlage dazu ätzte, wobei die melancholischen Drucker, an das knarrende Rad gefesselt, füglich eine Art gedrückter Unterteufel vorstellten, nimmermüde Dämonen, die unter der Walze ihrer Pressen die zu bemalenden Blätter unerschöpflich, endlos hervorzogen. So begriff er vollständig das Wesen heutiger Industrie, deren Erzeugnisse um so wertvoller und begehrenswerter zu sein scheinen für die Käufer, je mehr schlau entwendetes Kinderleben darin aufgegangen ist. Es saßen im Refektorium zehnjährige Äffchen in Höschen und Jäckchen, die ihnen zu kurz waren, und ließen ihre Finger ruhlos tanzen, in strengster Reinlichkeit die leichteren Anlagen bereitend; die Unglücklichen waren in dies Paradies geraten, weil sie zu Hause allzu emsig die Titelblätter und Vignetten ihrer Testamente illuminiert und so ihre Eltern irre und die Aufmerksamkeit des Herrn Habersaat auf sich geleitet hatten. Er machte auch ganz ordentliche Geschäfte und galt daher für einen Mann, bei dem sich was lernen ließe, wenn man nur wolle.

      Von irgendeiner Seite her war meiner Mutter angeraten worden, sich mit ihm zu besprechen und sein Geschäft einmal