Afrikanische Mythen und Magie. Leo Frobenius

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Название Afrikanische Mythen und Magie
Автор произведения Leo Frobenius
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783849615048



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wagte hinzuschauen oder stehenzubleiben, der war ebenfalls der Todesstrafe verfallen. Wer zufällig an dem Hof des Königs oder sonstwo eine Frau seines Hofstandes sah, der mußte sich abwenden und das Gesicht mit den Händen oder mit dem Mantel bedecken. – Vor allem eine seiner Frauen liebte der Herrscher über alle Maßen. Das war Njelle. Der konnte er keinen Wunsch abschlagen, und sie war Hüterin aller seiner wichtigsten Schätze.

      Es war ein Fulbe, der hieß Bulloballi. Der hatte von Gossis Taten gehört und machte sich auf den Weg, um den Helden persönlich kennen zu lernen. Er legte den weiten Weg zurück, kam an, trat zu Gossi und sagte: "Ich suche das Schreckliche und Unerhörte." Gossi sagte: "Da kann dir ja leicht geholfen werden. Warte nur einige Tage, dann will ich dir das Unerhörte so zeigen, daß du genug davon haben sollst." Bulloballi sagte: "Ich werde warten."

      An einem Montag saßen alle gemeinsam auf dem Marktplatz. Einige Dialli spielten Gitarre und sangen das Baudi (Heldenlied). Gossi schnippste gegen die Gitarre und sagte: "Komm, Bulloballi, heute wollen wir auf den Sandbänken des Flusses das Paddi (ein Würfelspiel) spielen." Gossi und Bulloballi gingen zum Fluß und begannen zu spielen. Nach einiger Zeit sah Gossi, daß der Zug der königlichen Frauen, geführt und beschützt von den siebenhundert Soldaten, daherkam. Er ließ sich nicht stören. Bulloballi wandte sich um. Er sah auch den Frauenzug. Da schlüpfte er sogleich in großer Furcht in eine Höhle, die im Ufersand war.

      Gossi stand auf. Er erwies den königlichen Frauen die Ehre und warf sich auf die Knie, das Antlitz gegen den Boden gewendet. Als der Zug aber just neben ihm war, richtete er sich unerschrocken auf, blickte mitten in den Zug und rief: "Njelle." Njelle antwortete sogleich: "Hier bin ich!" Gossi sagte: "Njelle, ich habe Durst, bringe mir doch eine kleine Schale mit Wasser." Njelle ging an den Fluß, sie ging bis an die Knie in das Wasser und schöpfte für Gossi Wasser. Sie kam mit der Schale zurück. Sie kniete vor Gossi nieder und reichte dem Helden den Trank. Gossi trank.

      Man hatte vordem schon für die Frauen Decken am Boden ausgebreitet. Gossi strich jetzt mit der flachen Hand von einer der Decken den daraufgewehten Sand fort und sagte: "Setz dich zu mir nieder, Njelle!" Alle siebenhundert Soldaten und Wächter, alle Frauen sahen starr und entsetzt auf dieses Unerhörte. Niemand wagte sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Njelle aber ließ sich neben Gossi nieder, und so plauderten sie miteinander. Njelle sagte dann zu Gossi: "Es gibt keine rechten Männer mehr unter den Fulbe in Bakunu." Gossi sagte: "Ach, es gibt schon noch echte Männer in Bakunu. Du kennst sie nur nicht. Wenn du einen echten Fulbehelden kennen lernen willst, so erwarte mich heute abend in deinem Haus; denn dann will ich trotz der siebenhundert Wachen und des heiligen Stieres bei dir schlafen." Njelle sagte: "Ach, ich kann es gar nicht erwarten, daß es Abend wird. Ich wünschte, es wäre schon Nacht!"

      Dann nahmen Njelle und Gossi voneinander Abschied, und die Frauen kehrten mit ihren Wächtern in die Gehöfte des Königs zurück. Bulloballi kam auch aus seinem Versteck hervor. Er sagte: "Komm schnell heim. Ich habe genug Unerhörtes erlebt." Gossi sagte: "Nein, wir gehen nicht, wir wollen erst noch spielen." Bulloballi sagte: "Wir wollen gehen!" Gossi sagte: "Dann geh allein." Bulloballi blieb. Sie spielten Paddi.

      Gossi sagte (spielgemäß): "Eine Frau hat gesagt, es gibt keine echten Männer mehr unter den Fulbe von Bakunu. Das gibt eine neue Sache. Wir wollen es zeigen." Im Hintergrunde kam eine Löwin herbei. Gossi sah nie hinter sich. Er hörte nun wohl die Schritte und das Knurren des Tieres; aber da es hinter ihm herankam, achtete er nicht darauf. Bulloballi sagte erschreckt: "Eine Löwin!" Gossi sagte: "Da, spiel!" Bulloballi sprang auf und schlüpfte wieder in seine Höhle. Gossi blieb, wo er war.

      Dann kamen zwei Jäger des Weges, das erschreckte die Löwin und sie sprang schnell in den Busch. Bulloballi sagte: "Ich gehe nach Hause!" Er kroch aus seiner Höhle. Als er an Gossi vorbeikam, sagte er: "Ich habe heute genug Unerhörtes gesehen." Er lief fort.

      Gossi sagte: "Es gibt wirklich wenig wahre Männer unter den Fulbe. Ich werde es aber zeigen, daß es doch welche gibt." Er stand auf und ging auch in die Stadt.

      Als es Abend wurde, nahm Gossi zwei Lanzen und ging damit zu dem Königsviertel. An dem einen Tor war Ngare togo scholi angebunden, der heilige Stier, den niemand bei Todesstrafe schlagen oder stoßen durfte. Er nahm die erste Lanze und stieß sie dem Stier in die Seite. Er nahm die zweite Lanze und stieß sie dem Stier in die Seite.

      Der heilige Stier brach tot zusammen. Dann ging Gossi durch das Torhaus und in das Königsviertel. Er fragte eine Frau nach der Wohnung Njelles. Die Frau zeigte ihm die Richtung. Er fragte nochmals eine Frau nach dem Hause Njelles. Sie zeigte Gossi das Haus Njelles. Gossi ging hinein und schlief bei Njelle. Drei Tage war Gossi im Hause Njelles und schlief bei ihr. Alle Frauen und Männer wußten es. Keiner aber wagte es, dem König diese Nachricht zu hinterbringen, denn alle Leute fürchteten seinen Zorn. Am dritten Tage faßte sich die erste Frau Hamadis ein Herz, ging zum König und sagte: "Seit drei Tagen ist der Held Gossi im Königsviertel und im Hause deiner Frau Njelle und schläft bei ihr." Als der König das hörte, rief er alle seine Vornehmen und Weisen zusammen zu einer Beratung auf dem großen Platz. Der König sagte: "Ich habe das Gesetz erlassen, daß jeder, der den Ngara togo scholi schlägt oder stößt, getötet werden soll. Ich habe das Gesetz erlassen, daß jeder, der auf meine Frauen sieht und sich nicht umwendet, wenn sie irgendwo daherkommen, getötet werden soll. Nun aber ist dieser Gossi gekommen und hat den Ngare togo scholi nicht geschlagen, nein, er hat ihn getötet. Er hat meine Frauen nicht nur angesehen, sondern er hat die liebste meiner Frauen beschlafen. Er ist drei Tage bei Njelle und kümmert sich nicht um meinen Zorn. Wenn man schon wegen Schlagen und Hinschauen tötet, was soll man dann beim Töten und Beschlafen tun? Wer kann mir da einen Rat geben?"

      Einige Leute sagten: "Man kann ihn eben nur töten." Andere sagten: "Man kann ihn in einem großen Topf kochen." Es wurde vieles von der Art gesprochen. Es war auch ein Bruder Gossis da, der war älter als Gossi und sagte: "Tötet Gossi nicht, sondern weist ihn aus dem Lande." Gossi hörte in dem Hause Njelles alles, was draußen auf dem Platz gesprochen wurde.

      Als der ältere Bruder Gossis gesagt hatte: "Tötet Gossi nicht, sondern weist ihn aus dem Lande!" sagte Gossi zu Njelle: "Höre, es wird mir etwas eng und warm im Haus, ich will ein wenig auf den großen Platz gehen." Njelle sagte: "Ich komme mit dir." Darauf traten Gossi und Njelle Hand in Hand aus dem Hause auf den großen Platz, auf dem die Versammlung abgehalten wurde, die wegen Gossis Strafe beratschlagte. Gossi sagte zu Njelle: "Nun kehre zurück." Njelle sagte: "Nein, ich begleite dich noch ein wenig, denn du bist ein wahrer Mann und der tapferste unter den Fulbe." Sie gingen also Hand in Hand noch weiter auf die Versammlung und den König zu und dann sagte Gossi: "Guten Weg, Njelle!" Njelle sagte: "Guten Weg, Gossi." Njelle kehrte in ihr Haus zurück.

      Als die versammelten Männer Gossi mit Njelle Hand in Hand aus dem Haus und über den Platz kommen sahen, wandten die einen den Kopf weg, die anderen bedeckten die Augen mit den Händen, die dritten verhüllten das Antlitz, um so den Geboten des Königs zu gehorchen, welche verlangen, daß jeder fortsieht, wenn ein königliches Weib auftritt. So kam es, daß Gossi ganz ungehindert über den Platz auf den König zugehen und neben ihm Platz nehmen konnte. Den König packte aber angesichts solcher Unerschrockenheit große Angst und er rückte furchtsam ein wenig zur Seite.

      Gossi setzte sich neben den König und sagte: "Mein älterer Bruder hat hier soeben gesagt: "tötet Gossi nicht, sondern weist ihn aus dem Lande!" Wenn es nicht mein Bruder gewesen wäre, der diese schmähenden Worte gesagt hat, mein Bruder, der gleichen Vater und Mutter mit mir hat, so würde ich ihn auf der Stelle töten. Straft mich, wie ihr wollt. Ihr könnt mich töten. Aber aus der Gemeinschaft der Fulbe werdet ihr mich niemals ausweisen!" Gossi sagte das, stand auf und ging zurück in das Haus Njelles.

      Als Gossi den Platz verlassen hatte und wieder in Njelles Haus zurückgekehrt war, kam ein eiliger Bote in die Versammlung gestürzt und teilte mit, daß ein starker Kriegshaufe in der Nachbarschaft der Hauptstadt aufgetaucht sei und da großen Schaden anrichte. Da sagte König Hamadi: "So wollen wir die Sache mit diesem Gossi zunächst sich selbst überlassen und zunächst einmal den Feinden entgegenziehen." Einer aus der Umgebung sagte: "Wenn wir aber hier weggehen, wird dieser Gossi sehr bald entfliehen und sich so seiner Strafe entziehen." Ein Einheimischer aber sagte: "Man sieht, daß du nicht aus dieser Stadt bist, sonst würdest du wissen, daß dieser hier ein Held ist, der niemals entfliehen wird." – Somit brach das Heer auf und zog unter