Die Ökonomie der Hexerei. David Signer

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im Osten der Elfenbeinküste wohnt und praktiziert. Ich glaube sagen zu können, dass wir im Laufe der Jahre, in denen wir uns kennen, zu Freunden geworden sind. Ich habe ihm Einblicke in meine Welt gegeben, aber vor allem er mir in seine und in jene von andern Féticheurs, die wir in der Elfenbeinküste, in Mali und Guinea zusammen besucht haben.

      Clémentine Roger ist eine Abouré in Abidjan. Durch sie habe ich zum einen viel über die traditionellen Auffassungen der Akan über diese Dinge erfahren (insbesondere auch durch die Kontakte, die sich durch sie zu ihrem Herkunftsort Bonoua ergaben, wo ich andere Féticheusen aus ihrer Verwandtschaft kennen lernte), zum andern aber auch über die besondere Perspektive einer Frau, die, wie sie, praktizierende Féticheuse ist, zugleich jedoch gebildete Angehörige eines großstädtischen Mittelstands, und größtenteils eine ebensolche Kundschaft betreut. Auch mit ihr verbindet mich zu viel, als dass ich einfach von einer Informantin (und wäre es eine „Hauptinformantin“) sprechen könnte. Einen großen Teil meiner Forschung verbrachte ich reisend, mit Coulibaly, aber auch mit andern Heilern und mit Griots (auf die ich noch zurückkommen werde). Einen Höhepunkt in dieser Hinsicht stellte eine Reise dar, die ich mit Coulibaly in sein Heimatdorf Tiengolo im Westen Malis unternahm. Neben der Bekanntschaft mit seinem Vater, ebenfalls ein bekannter Heiler, ergaben sich Kontakte mit zahlreichen andern Féticheurs und Marabouts in den umliegenden Dörfern.

      Diese Art der teilnehmenden Beobachtung – mit einem Heiler an seinen Herkunftsort zu reisen – erwies sich als äußerst fruchtbar in mehrerer Hinsicht. Erstens ist das Reisen eine zwanglose Möglichkeit, viel Zeit miteinander zu verbringen, Raum für Gespräche zu haben und Alltagsverhalten mitzuerleben. Zweitens erleichtert die Begleitung eines Heilers den Zugang zu andern Heilern (die in diesem Fall entweder mit ihm verwandt oder seine ehemaligen Lehrmeiste sind), und zudem können die beobachteten Heilmethoden nachher diskutiert werden – aufgrund der Konkurrenzsituation oft auch durchaus kritisch. Drittens stellt die Rückkehr eines Arrivierten (wie es Coulibaly gemessen an seiner Herkunft zweifellos ist) in sein Heimatdorf quasi die Verhexungssituation par excellence dar. Auf einem solchen Rückkehrer lastet die Verpflichtung, seinen gewonnenen Reichtum zu verteilen. Tut er das nicht, gilt er als Egoist, zieht Neid auf sich und also möglicherweise auch Verhexung. Viertens erlebte ich diesen sozialen Druck, der auf dem Arrivierten lastet, gewissermaßen am eigenen Leib, indem ich für diese Erwartungen als Coulibalys „Überdruckventil“ fungierte und geben musste, wenn jener nicht mehr konnte. Das eigene Involviertwerden in diese Erwartungen und die Aggressionen bei Nichterfüllung verschafften mir wohl auch manche vertieften Einsichten in die Psychodynamik von „Verhexung und Gegenmaßnahmen“. Fünftens ermöglichte die Bekanntschaft mit seiner ganzen Familie und weiteren Verwandtschaft auch eine psychologisch differenziertere Betrachtung seiner Lebensgeschichte, einer Lebensgeschichte, die von einer leidensvollen Kindheit und Jugend gezeichnet ist und die in mancher Hinsicht als typisch für viele Heilerbiografien – zumindest dieser Region – gelten kann.

      Ich wiederholte diese Methode später mit dem Griot Baba Diarrasouba, einem Bwaba, mit dem ich, nachdem ich auch ihn schon länger kannte, von seinem jetzigen Wohnort Ferkessédougou im Norden der Elfenbeinküste eine Reise in sein Dorf Koumbara im Westen von Burkina Faso unternahm, die sich wiederum als äußerst aufschlussreich erwies. Auch sein Vater ist ein bekannter Heiler, der mir Kontakte zu verschiedenen andern Heilern der Umgebung ermöglichte. Darüber hinaus ist Baba Diarrasouba als Griot für das Erzählen von Familiengeschichten, Anekdoten, politischen Ränkespielen und Gerüchten prädestiniert und verfügt über ein immenses Netz von Kontakten durch alle Schichten und Landesteile, was ihn zu einem wunderbaren Reise und Gesprächspartner macht. Aber auch bei ihm stellte sich der ganze Komplex von Rückkehr, Verteilen-Müssen, Imponieren-Wollen (aber mit dem Vater und dem größeren Bruder nicht konkurrieren zu dürfen), Angst vor dem Vorwurf, unsozial zu sein usw., als äußerst konfliktreich dar.

      Bei Erstkontakten mit Heilern und Heilerinnen realisierte ich rasch, dass es am einfachsten und ergiebigsten war, sich anstatt als Forscher (was meist bloß zu Missverständnissen führte) direkt als Klient einzuführen, um die praktizierten Methoden sogleich „von innen“ zu erleben. Das wird dadurch erleichtert, dass von einem Kunden gar nicht erwartet wird, dass er ein konkretes Problem präsentiert, sondern es am Heiler (der immer auch Wahrsager ist) liegt, den Grund des Kommens herauszufinden. Und erfindet auch immer etwas.

      Ein „Aha-Erlebnis“ stellte für mich das Recherchieren eines Falles von Hexereiverdacht in Grand-Béréby dar. Nach einer Art Schneeballprinzip suchte ich immer neue Involvierte auf, die mich dann wiederum auf andere Beteiligte verwiesen. Das Interessante an dieser Geschichte (sie findet sich im Kapitel „Es soll dir nicht besser ergehen als mir“) ist, dass sie völlig ohne Institutionalisierung vor sich ging. Der Hexereiverdacht gegen die besagte Frau wurde eines Abends – nachdem der zugrunde liegende Konflikt sich seit einigen Wochen zugespitzt hatte – in einem Restaurant vor mehreren Gästen ausgesprochen und breitete sich in den nächsten Tagen im ganzen Ort aus, allerdings ohne dass irgendeine „offizielle“ Instanz involviert gewesen wäre. Die (gruppen-)psychologischen Faktoren des Hexereiverdachts ließen sich hier also insofern besonders gut studieren, als es eine kontinuierliche Entwicklung gab von einem „normalen“ Konflikt zu einem Konflikt, der in Begriffen der Hexerei formuliert und ausagiert wurde. Das war für mich lehrreich, weil in der klassischen ethnologischen Literatur eine Tendenz besteht, „Hexerei“ zu isolieren und zu institutionalisieren. Demgegenüber begriff ich anhand dieser an sich banalen Auseinandersetzung, dass – zumindest heute – die Relevanz der Hexerei in Afrika darin besteht, dass sie nicht so sehr einen klar abgegrenzten Sachverhalt markiert (Verdacht, Anklage, Strafe etc.), sondern eher einen kulturellen Stil, eine Struktur oder einen Aspekt bezeichnet, der praktisch alles prägt, was das Sozialleben ausmacht, auch wenn das Wort „Hexerei“ gar nicht ausgesprochen wird.

      Der Hauptteil des vorliegenden Buches, die „Expeditionen mit Zauberern“, ist empirischem Rohmaterial gewidmet. Zuerst gebe ich einen Bericht wieder, den ich anlässlich meiner ersten persönlichen Begegnung mit Féticheuren verfasste. Ich hatte Letztere als Klient aufgesucht (das kann man, wie gesagt, auch ohne spezifisches Problem, etwa so, wie man hier zu einem Wahrsager geht; es ist dann an ihm, das Problem zu finden.) Das gibt einem gute Einblicke, hat aber den „Nachteil“, dass man persönlich involviert wird (etwa so, wie wenn sich ein Afrikaner, der den europäischen Psychoboom untersucht, einer Urschrei-Therapie unterzieht. Die schöne Dialektik von Eigenem und Fremdem kann dann ziemlich tumultös werden). Auch „Verwirrung als Erkenntnismittel“ handelt von Verstrickungen, um die man in einer längeren Feldforschung nicht herumkommt. Der Text ist ein Versuch, die eigene Verdunkelung für Aufklärungszwecke fruchtbar zu machen, sich ins äußere und innere Chaos zu begeben, um zu einer neuen Ordnung zu gelangen.

      „In Coulibalys Welt“ porträtiert den Bambara-Féticheur Tiegnouma Coulibaly. Das Kapitel beschreibt vor allem auch die Reise in sein Heimatdorf in Mali, die ich mit ihm unternahm und die mir einige der familiären Probleme vor Augen führte, mit denen jemand konfrontiert ist, der einen Aufstieg geschafft hat, und nun einer Art verwandtschaftlicher Erpressung ausgesetzt ist: Entweder du gibst, oder du wirst verhext.

      Das Kapitel „Baba, die Familie und das Wort“ behandelt eine ähnliche Problematik. Auch mit dem Bwaba-Griot Baba Diarrasouba unternahm ich eine lange Reise in sein Dorf, zu seinem Vater. Wie schon mit Coulibaly besuchten wir auch hier zahlreiche Heiler, und Baba, als Griot ein professioneller Vermittler, war für mich dabei ein unschätzbarer „Passepartout“. Aber auch für ihn war das Wiedersehen mit all den frères und sœurs nicht nur eitel Freude. Wehe, jemand hatte das Gefühl, beim großen Geschenkeverteilen übergangen worden zu sein! In der Nacht gehen die Hexen um, vor allem auf dem Dorf (sagen die Städter). Wir jedenfalls verbrachten keine einzige Nacht in Koumbara ...

      Das Kapitel „Clémentines Geister“ zeichnet das Bild einer Féticheuse in der Millionenstadt Abidjan. Als Abouré-Frau gehört Clémentine Roger zur Akan-Kultur aus den Wäldern des südlichen Ghana. Damit vertritt sie auch in ihren Behandlungen einen andern Stil als die Leute aus dem Umfeld Coulibalys und Babas, die aus der Savanne im Norden kommen. Clémentine ist eine gebildete, städtische Kleinbürgerin mit Brille (tagsüber). In der Nacht, wenn sie konsultiert, ersetzt sie den Rock durch einen gelb-weißen pagne (das sind die Farben, die ihre Geister mögen). Ihre Brille legt sie ab, denn ihr Blick