Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд

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Название Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde
Автор произведения Оскар Уайльд
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225644



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schlug, fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, stand dann rasch auf und zog sich beinahe mit noch größerer Sorgfalt an, als gewöhnlich, indem er die größte Aufmerksamkeit auf die Wahl seiner Krawatte und seiner Nadel verwandte und seine Ringe mehr als einmal wechselte. Er verbrachte auch beim Frühstück längere Zeit, kostete von den verschiedenen Gerichten, sprach mit seinem Bedienten über neue Livreen, die er der Dienerschaft in Selby machen lassen wollte, und sah seine Briefschaften durch. Bei einigen Zuschriften lächelte er. Drei ödeten ihn an. Einen Brief las er mehrmals durch und zerriß ihn dann mit einem leichten Ärger in seinen Mienen. »Was für ein gräßliches Ding das Gedächtnis einer Frau ist«, hatte Lord Henry einmal gesagt.

      Als er seine Schale schwarzen Kaffee getrunken hatte, trocknete er die Lippen langsam an seiner Serviette ab, gab dem Diener ein Zeichen zu warten, ging zum Schreibtisch hinüber, setzte sich und schrieb zwei Briefe. Einen steckte er in die Tasche, den anderen reichte er dem Diener.

      »Bringen Sie den nach Hertford Street 152, Francis, und wenn Herr Campbell nicht in der Stadt ist, lassen Sie sich seine Adresse geben.«

      Sobald er allein war, zündete er sich eine Zigarette an und begann auf einem Blatt Papier Skizzen zu machen, zeichnete zuerst Blumen, dann Architekturstücke und dann menschliche Gesichter. Plötzlich bemerkte er, daß jedes Gesicht, das er entwarf, eine phantastische Ähnlichkeit mit Basil Hallward zu haben schien. Er runzelte die Stirn, stand auf, ging zum Bücherschrank und nahm auf gut Glück einen Band heraus. Er war fest entschlossen, an das Geschehene nicht eher zu denken, als bis es unbedingt notwendig war.

      Als er sich auf dem Sofa ausgestreckt hatte, sah er auf den Titel des Buches. Es waren Gautiers »Emaux et Camées«, Charpentiers Ausgabe auf japanischem Papier, mit Radierungen von Jacquemart. Der Einband war aus zitronengelbem Leder mit einem Blinddruckmuster von goldenem Laubwerk und Granatäpfeln in Punktmanier. Es war ein Geschenk Adrian Singletons. Als er darin blätterte, fiel sein Auge auf das Gedicht über die Hand Lacenaires, die kalte gelbe Hand »du supplice encore mal lavée«, mit ihren rötlichen Flaumhärchen und ihren »doigts de faune«. Er blickte auf seine eigenen weißen, spitzen Finger, schauderte unwillkürlich zusammen, las dann weiter, bis er zu den lieblichen Versen auf Venedig kam.

      Sur une gamme chromatique,

      Le sein de perles ruisselant

      La Vénus de l'Adriatique

      Sort de l'eau son corps rose et blanc.

      Les dômes, sur l'azur des ondes

      Suivant la phrase au pur contur,

      S'enlent comme des gorges rondes

      Que soulève un soupir d'amour.

      L'esquif aborde et me dépose,

      Jetant son amarre au pilier

      Devant une façade rose,

      Sur le marbre d'un escalier.

      Wie entzückend die Verse waren! Wenn man sie las, hatte man die Empfindung, durch die grünen Wasserstraßen dieser rot- und perlfarbigen Stadt zu gleiten, in einer schwarzen Gondel mit silbernem Schnabel und schleppenden Vorhängen. Schon die Zeilen sahen so aus wie die geraden, türkisblauen Kiellinien, die einem folgten, wenn man nach dem Lido hinausrudert. Die plötzlichen Farbenblitze erinnerten ihn an den Schimmer jener Vögel mit opal- und regenbogenfarbenen Hälsen, die um den schlanken, wabenartig durchlöcherten Kampanile flattern oder mit prächtiger Anmut durch die düstern, staubigen Arkaden trippeln. Zurückgelehnt mit halb geschlossenen Augen sagte er immer und immer wieder zu sich: –

      Devant une façade rose

      Sur le marbre d'un escalier.

      Das ganze Venedig war in diesen zwei Versen enthalten. Er dachte an den Herbst, den er dort verbracht hatte, und eine himmlische Liebelei, die ihn zu wahnsinnigen, entzückenden Torheiten getrieben hatte. Es gab Romantik in jedem Erdenwinkel. Aber Venedig hatte noch wie Oxford den Hintergrund für Romantik bewahrt, und für den wahren Romantiker ist der Hintergrund alles oder fast alles. Basil war einen Teil der Zeit bei ihm gewesen und war ganz wild vor Bewunderung für Tintoretto. Der arme Basil! Was für eine schreckliche Art, so zu sterben!

      Er seufzte, nahm das Buch wieder auf und suchte zu vergessen. Er las von den Schwalben, die aus- und einfliegen in dem kleinen Café zu Smyrna, wo die Hadjis sitzen und ihre Bernsteinperlen durch die Hand laufen lassen, und wo die Kaufleute im Turban ihre langen, quastenbehängten Pfeifen rauchen und ernsthaft miteinander sprechen: er las von dem Obelisk auf der Place de la Concorde, der in seiner vereinsamten, sonnenlosen Verbannung granitene Tränen weint und sich zurücksehnt nach dem heißen, lotosbedeckten Nil, wo die Sphinxe sind, und rosenrote Ibisse und weiße Geier mit goldenen Klauen und Krokodile mit kleinen Beryllaugen, die durch den grünen, dampfenden Schlamm dahinkriechen: er fing an, den Versen nachzusinnen, die ihre Musik aus Marmor locken, der von Küssen fleckig geworden ist, und die uns von der sonderbaren Statue erzählen, die Gautier einer Altstimme vergleicht, von dem » monstre charmant«, das in dem Porphyrsaal des Louvre steht. Aber nach einiger Zeit entfiel seinen Händen das Buch. Er wurde nervös, und ein gräßlicher Angstanfall schüttelte ihn. Was nun tun, wenn Alan Campbell nicht in England war? Tage könnten möglicherweise verstreichen, bevor er zurückkäme. Vielleicht weigerte er sich, zu kommen. Was sollte er dann tun? Jeder Augenblick war von tödlicher Bedeutung.

      Sie waren einmal sehr befreundet gewesen, vor fünf Jahren – sogar fast unzertrennlich. Dann hatte die Intimität plötzlich ein Ende. Wenn sie sich jetzt in Gesellschaft trafen, war es nur noch Dorian Gray, der da lächelte, niemals Alan Campbell.

      Er war ein außerordentlich begabter junger Mann, wenn er auch kein eigentliches Verhältnis zu den sichtbaren Künsten hatte, und der geringe Sinn für Poesie, den er besaß, vollständig von Dorian herrührte. Die geistige Leidenschaft, die ihn beherrschte, erstreckte sich nur auf die Wissenschaft. In Cambridge hatte er einen großen Teil seiner Zeit mit Arbeiten im Laboratorium verbracht und hatte sein Examen in den Naturwissenschaften mit vorzüglich bestanden. Noch jetzt war er dem Studium der Chemie ergeben und hatte ein eigenes Laboratorium, in das er sich häufig den ganzen Tag einzuschließen pflegte, zum großen Kummer seiner Mutter, die sich darauf verbissen hatte, daß er für das Parlament kandidieren sollte, und die eine unklare Vorstellung hatte, ein Chemiker sei ein Mensch, der Rezepte anfertige. Indessen war er ein ausgezeichneter Musiker und spielte Geige und Klavier besser als die meisten Dilettanten. Die Musik war es denn auch wirklich, die Dorian Gray und ihn zueinander gebracht hatte – die Musik und die unerklärliche Anziehungskraft, die Dorian ausüben konnte, wenn er wollte, und auch oft ausübte, ohne es zu wissen. Sie hatten sich bei Lady Berkshire an dem Abend kennengelernt, als Rubinstein dort spielte, und man sah sie von da an immer zusammen in der Oper und überall, wo es gute Musik gab. Achtzehn Monate dauerte diese Freundschaft. Campbell war regelmäßig entweder in Selby Royal oder in Grosvenor Square. Für ihn wie für viele andere war Dorian Gray die Verkörperung alles dessen, was wunderbar und bezaubernd im Leben ist. Ob zwischen ihnen ein Streit vorgefallen war oder nicht, wußte kein Mensch. Aber plötzlich bemerkten die Leute, daß sie kaum miteinander sprachen, wenn sie sich trafen, und daß Campbell jede Gesellschaft frühzeitig verließ, in der Dorian anwesend war. Er war auch verändert – bisweilen merkwürdig melancholisch, schien kaum noch Musik hören zu können, spielte nie mehr selbst und gab, wenn man ihn dazu aufforderte, als Entschuldigung an, daß ihn die Wissenschaft so stark in Anspruch nähme, daß er keine Zeit mehr zum Üben habe. Und das war auch der Fall. Er schien jeden Tag mehr Interesse für biologische Studien zu gewinnen, und sein Name erschien ein- oder zweimal in wissenschaftlichen Zeitschriften in Verbindung mit gewissen außergewöhnlichen Experimenten.

      Das war der Mann, auf den Dorian Gray wartete. Jede Sekunde blickte er auf die Uhr. Als Minute um Minute verstrich, wurde er furchtbar aufgeregt. Schließlich stand er auf und begann im Zimmer hin und her zu gehen wie irgendeine schöne Bestie im Käfig. Er holte weiten Schrittes, fast sprunghaft, aus und trat leise auf. Seine Hände waren eigentümlich kalt.

      Das Warten wurde unerträglich. Die Zeit schien ihm mit bleiernen Füßen zu schleichen, während er von ungeheuren Wirbelwinden zum zackigen Grat einer schwarzen Kluft oder eines Abgrundes hingefegt wurde. Er wußte, was dort