Die böse Begierde. Stefan Bouxsein

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Название Die böse Begierde
Автор произведения Stefan Bouxsein
Жанр Языкознание
Серия Mordkommission Frankfurt
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783939362081



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Fotos wurden geschossen, Proben von den Fliesen gekratzt, auf Türklinken nach Fingerabdrücken gesucht.

      »Guten Tag, Herr Kommissar«, meldete sich eine vertraute Stimme.

      »Ach nee«, entfuhr es Siebels, als er den Gerichtsmediziner die Treppe vom ersten Stock herunterkommen sah. »Der alte Doktor Petri treibt immer noch sein Unwesen.«

      Petri kam Siebels mit ausgestreckter Hand entgegen und begrüßte ihn mit einem kräftigen Händedruck.

      »Ich bin noch gar nicht so alt, ich sehe nur so aus. Kommen Sie, gehen wir in die Küche und trinken erst mal einen Tee mit Rum. Die Haushälterin wartet dort, sie hat die Leiche gefunden.« Bevor sie in die Küche eintraten, begrüßte Petri auch Till, den er noch gar nicht zur Kenntnis genommen hatte.

      »Guten Tag, junger Mann. Wie ich höre, sind Sie immer noch der schlechteste Schütze im ganzen Revier.«

      »Ja, aber ich übe viel, es kann nur besser werden«, entgegnete Till.

      Siebels verdrehte gespielt genervt seine Augen. »Ständig ruft Schneider bei mir an und beschwert sich über den Kerl«, verriet er Petri. Schneider war Ausbilder auf dem Schießstand im Polizeipräsidium. Bei den regelmäßigen Schießübungen mussten die übenden Beamten auf Leinwände zielen, die plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen schienen. Auf den Leinwänden waren Motive abgebildet, die es zu treffen galt oder auch nicht. Mal erschien ein harmloses Reh am Waldrand, mal ein vermummter Bankräuber, mal ein kleines Kind auf einem Spielplatz. Der Schütze musste blitzschnell erkennen, ob es einen Grund zum Schießen gab oder nicht. Wenn es einen gab, musste er möglichst zielsicher einen Schuss abfeuern. Till hatte eine Lieblingsleinwand. Sie zeigte eine ältere grauhaarige Frau, die von zwei bewaffneten Männern in Schach gehalten wurde. Sowie diese Leinwand vor Till hochschnellte, jagte er der Oma ein paar Kugeln in den Kopf. Er nannte sie Oma bin Laden, die Mutter aller Terroristen. Schneider hatte allerdings keinen Sinn für den Humor von Till und beschwerte sich regelmäßig bei Siebels über dessen schießuntauglichen jungen Kollegen.

      In der Küche saß die Haushälterin und wurde von einem Sanitäter betreut. Man sah ihr an, dass sie unter Schock stand. Trotzdem ging Petri auf sie zu und fragte, ob sie einen Tee mit Rum für ihn und die beiden Beamten von der Kriminalpolizei zubereiten könnte. Sie nickte stumm und stand auf.

      »Für uns beide bitte ohne Rum«, bat Siebels.

      »Der kann jetzt nicht schaden, Dienst hin oder her«, widersprach Petri.

      »Na gut«, gab Siebels nach. »Dann bitte auch für mich mit Rum. Eigentlich bin ich ja auch im Urlaub.«

      »Wenn schon kein Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, dann wenigstens Rum im Tee«, warf Till dazwischen, um das Gewissen des gewissenhaften Siebels zu beruhigen.

      Die Haushälterin servierte den Tee. »Das ist Frau Bromowitsch«, stellte Petri sie vor. »Vielleicht sollten Sie sich einen Moment hinlegen, Frau Bromowitsch. Meine Kollegen von der Mordkommission werden nachher bestimmt noch Fragen an Sie haben.«

      Frau Bromowitsch nickte wieder stumm und der Sanitäter führte sie aus der Küche.

      Petri, Siebels und Till schlürften ihren Tee und betrachteten sich durch das Küchenfenster die frierenden Streifenbeamten.

      »Was ist hier eigentlich passiert?«, wollte Till endlich wissen.

      Petri nickte und fing an zu erzählen. »Vielleicht ist Ihnen der Name Liebig ein Begriff?«

      »Klar«, sagte Till. »In Frankfurt gibt es eine Liebigstraße, ein Liebig-Gymnasium und ein Liebieg-Café. Wird ein berühmter Dichter oder Maler gewesen sein.«

      »Da ist unser junger Kriminalist auf der falschen Spur«, gab Petri zurück. »Die Örtlichkeiten, von denen Sie sprechen, wurden entweder nach dem deutschen Chemiker Justus von Liebig oder nach dem Fabrikanten Heinrich Baron von Liebieg benannt. Letzterer ist Namensgeber für das Liebieghaus am Schaumainkai. Die Villa Liebig, in der wir uns hier befinden, hat ihren Namen von seinen Bewohnern. Hermann und Eva Liebig. Die beiden haben weder mit dem Chemiker noch mit dem Baron etwas zu tun. Sie befinden sich übrigens im Urlaub. Man versucht gerade, sie ausfindig zu machen.«

      »Und wer ist jetzt ermordet worden?«, wollte Siebels wissen.

      »Magdalena Liebig, die Tochter.«

      »Und warum sollte uns der Name Liebig ein Begriff sein?«, kam Till wieder auf den Ausgangspunkt zurück.

      »Nun ja«, begann Petri nachdenklich. »Vielleicht fangen wir anders an. Arenz. Sagt Ihnen dieser Name etwas?«

      »Die Arenz-Werke?«, fragte Siebels.

      »Volltreffer. Die Arenz-Werke. Eines der größten deutschen Unternehmen, das noch in Familienbesitz ist. Wahrscheinlich erinnern Sie sich, dass Wilhelmine Arenz erst vor einigen Wochen gestorben ist. Das ging durch alle Medien.«

      »Ja, jetzt dämmert es mir«, gab Siebels zurück. »Hermann Liebig ist der Sohn aus erster Ehe von Wilhelmine Arenz. Ist er nicht der oberste Mann bei den Arenz-Werken?«

      Petri schüttete sich noch etwas Rum in seinen Tee. »Hermann Liebig leitet die Arenz-Werke. Aber er ist nur Angestellter. Jedenfalls war er es bis zum Tod seiner Mutter. Bis dahin hat das Unternehmen mehrheitlich Wilhelmine Arenz und deren Kindern aus zweiter Ehe, Peter und Klara Arenz, gehört.«

      »Wir haben es hier also mit Millionären zu tun?«, fragte Till.

      »Sagen wir besser mit Milliardären. Oder noch besser mit Multi-Milliardären.«

      »Da wird uns Jensen keine einzige ruhige Minute über Weihnachten lassen«, stöhnte Siebels.

      »Das glaube ich auch«, pflichtete Petri ihm bei.

      »Na, dann schießen Sie doch endlich mal los.«

      »Nun ja«, begann Petri zögerlich. »Die Leiche von Magdalena Liebig liegt im Schlafzimmer ihrer Eltern. Sie wurde mit einem Messerstich getötet. Das war eine blutige Angelegenheit. Der Stich ging genau in die Halsschlagader. Das Blut muss nur so gespritzt haben. Sie werden es ja gleich sehen.«

      »War es ein Einbruch? Hat es einen Kampf gegeben?«

      »Nach meinen Kenntnissen gibt es keine Einbruchsspuren. Ob es zum Kampf kam, muss noch geprüft werden. Und wenn es einen gegeben hat, bleibt noch die Frage, wer mit wem gekämpft hat.«

      »Was soll das denn wieder heißen?«

      Petri räusperte sich. »Die Haushälterin hat nicht nur die Leiche gefunden. Neben der Leiche saß ein Mann auf dem Fußboden in ihrem Blut.«

      »Der Täter? Warum sagen Sie das denn erst jetzt?«

      »Es ist eher unwahrscheinlich, dass er der Täter ist. Jedenfalls hatte er kein Messer.«

      »Vielleicht hat er sie umgebracht, ist dann spazieren gegangen, hat das Messer entsorgt und ist wieder zurückgekommen?«, warf Till ein.

      »Auch eher unwahrscheinlich. Aber das müssen Sie mit der Spurensicherung klären. Die waren sich jedenfalls ziemlich sicher, dass er das Haus zwischenzeitlich nicht verlassen hat. Er saß übrigens nackt in ihrem Blut. Sie war auch nackt, als sie abgestochen wurde.«

      »Wo ist er denn? Und was sagt er?« Siebels war ziemlich durcheinander.

      »Er ist zur Untersuchung im Krankenhaus. Gesagt hat er nichts. Er war völlig apathisch. Es könnte sein, dass er einfach nur unter Schock stand, als ich eingetroffen bin. Aber ich befürchte, der Kerl hat tiefergreifende psychische Störungen. Er hatte einen völlig irren Blick. Deswegen habe ich veranlasst, dass er schnellstmöglich in der Psychiatrie unter die Lupe genommen wird.«

      »Ist ja gleich um die Ecke«, besänftigte Till Siebels, der gerade anfangen wollte, sich über das Vorgehen in diesem Fall aufzuregen.

      Die Psychiatrie war tatsächlich nur einige hundert Meter von der Villa entfernt. Trotzdem hätte Siebels sich gerne am Tatort ein Bild von dem Mann gemacht.

      »Der läuft Ihnen nicht weg