Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther Kabel

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Название Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835246



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Ungebundenheit ihre Lederzelte bald hier bald dort aufschlagen. Platz genug haben sie in Patagonien. Ist ein Land, in dem man tagelang reiten kann, ohne auch nur ein Lagerfeuer zu Gesicht zu bekommen. War nun heran, der Tehu. Schaute ins Flußtal hinab. Sein Gaul knabberte an den dürren fahlen Gräsern, er selbst saß als Bildsäule im plumpen selbstgearbeiteten Sattel, die Doppelbüchse quer über dem Schenkel, Hand am Schloß.

      Der Blinde hatte sich neben den Tümpel gesetzt und schien ausruhen zu wollen.

      Ein unmerkliches Geräusch neben mir … Coy war verschwunden.

      Minuten später tauchte er im Rücken des Reiters auf, der nun abgestiegen war und sich gleichfalls niedergelassen hatte. Es machte den Eindruck, als wollte der Tehu feststellen, was der Blinde weiter tun würde.

      Um die Vorgänge recht genau verfolgen zu können, benutzte ich abermals mein Fernglas. Der Tehuelche war ein überaus kräftig gewachsener Mann, hatte aber, als er sich nun zu Fuß bewegte, die allen Reitervölkern eigenen schwerfälligen oder doch schwerfällig erscheinenden Schritte und eine schlaffe Körperhaltung.

      Wie ich ihn so noch voller Spannung auf die Entwicklung der Dinge beobachtete, irrte mein Blick ganz zufällig einmal von ihm ab. Vielleicht fünfhundert Meter hinter ihm zog sich, noch im Gesichtsfeld meines Glases liegend, ein Gebüschstreifen hin, um dessen Ecke soeben ein zweiter Reiter bog, sofort aber wieder seinen Gaul zurückriß und hinter der grünen Blattmauer verschwand. Obwohl ich diesen dritten Fremden, der hier genauso unvermutet wie der Blinde und der Tehu auftauchte, nur Sekunden vor mir gehabt hatte, war ich doch überzeugt, daß es sich um ein in einen praktischen Reitanzug gekleidetes Weib, um eine blondhaarige Europäerin handelte. Sattel und Zaumzeug ihres Pferdes waren niemals indianische Arbeit, die großen gelben Satteltaschen erst recht nicht, und unter dem breitrandigen Hut hatte ich das Haar hell und golden schimmern sehen, hatte auch den bestimmten Eindruck, daß es ein jugendlich-frisches, leicht gebräuntes Antlitz von angenehmen Zügen gewesen war.

      Eine Europäerin hier in der Wildnis – hier, wo die nächsten Weißen Hunderte von Kilometern weiter östlich am Gallegos-Fluß wohnten?!

      Merkwürdig – sehr merkwürdig!! Durfte ich etwa die Reiterin ebenfalls mit dem Blinden in Zusammenhang bringen?! War auch sie der Fährte dieses verwahrlosten armen blinden Steppenwanderers gefolgt?!

      Die ganzen Umstände dieses Vorspiels eines Erlebnisses, dessen fernere Auswirkungen ich auch nicht im geringsten jetzt schon vorausahnen konnte, waren seltsam genug, – so seltsam, daß sie auch mir, dem Anspruchsvollen, die Nerven ein wenig ins Schwingen brachten. –

      Coy hatte Pech. Diese Pampasgäule haben feine Nasen. Und man kann nicht sagen, daß Coy nicht duftete. Tran, Blut, Tabak, Sprit, – es war schwer, die einzelnen Gestankwolken, die seinem speckigen Lederwams entströmten, auseinanderzuhalten. Sauberkeit war meines Freundes Stärke nicht. Aber lügen, stehlen, saufen, das konnte er. Zuweilen ritt er, der eifrigste Pferdeschacherer, mit einem jämmerlichen Klepper heimlich davon und kehrte erst nach drei Tagen mit einem Prachtgaul von derselben Farbe und ähnlicher Zeichnung zurück, behauptete dann, er habe das Pferd in den grünen saftigen Weideflächen der fruchtbaren nördlichen Andentäler aufgemästet. Ich behaupte, er hatte es eingetauscht – ohne Genehmigung des anderen Pferdebesitzers.

      Coy hatte Pech. Der Tehu-Gaul witterte ihn und keilte aus. Der Reiter floh.

      Ich mußte lachen, wie die beiden Indianer sich als Wettläufer versuchten. Ich bin doch auch gut zu Fuß. Aber die beiden – staunenswert!

      Eine Bodensenkung entzog sie meinen Blicken, und was konnte ich besseres tun, als nunmehr den Ärmsten dort unten auszufragen. Ich kletterte die Lehmterrassen hinab. Er hörte das Kollern und Poltern der abbröckelnden Lehmklumpen, stand auf und starrte mit seinen völlig geschwollenen Augen mir entgegen. Daß er mich sah, also nicht blind war, erschien bei dem überaus gespannten, geradezu gequälten Ausdruck seines verunstalteten Gesichts gänzlich ausgeschlossen.

      Dann nestelte er rasch an seiner verwitterten Pistolentasche herum und brachte eine Repetierpistole in der Richtung auf mich in Anschlag.

      »Halt – stehen bleiben!« rief er in englischer Sprache. Seine Stimme war heiser und ohne jede Kraft, und auch der rechte Arm zitterte hin und her – wie ein Grashalm, der gerade in einer Windecke wächst.

      Diese Drohung konnte nur unendlich mitleiderregend wirken.

      Als ich nun leise einige Schritte seitwärts trat, behielt der Kopf des Fremden dieselbe Haltung bei. Der Mann war blind.

      »Fürchten Sie nichts,« erklärte ich herzlich. »Ich bin ein Europäer wie Sie, und …«

      »… Europäer sind die schlimmsten Schurken.«

      »Da haben Sie nicht ganz unrecht … Was mich betrifft, so rechne ich mich nicht mehr zu denen, die das große Kontingent der Halunken stellen. Ich habe der Zivilisation Lebewohl gesagt. Ich hatte sie nach acht Monaten schuldloser Zuchthausstrafe satt.«

      »Ah – das gefällt mir …« Er lächelte ironisch aber sein entsetzliches Gesicht wurde durch dieses Lächeln zur Satansfratze. »Da können wir uns die Hand reichen, Sir … Ich bin Kollege, auch Zuchthäusler a. D., auch schuldlos eingesperrt gewesen. Vielleicht kennen Sie das Gefängnis in Valdivia.«

      »Nein. Das nicht. – Aber ich denke, ich kann vielleicht für Sie jetzt zunächst irgend etwas tun. Sie scheinen hungrig zu sein … Darf ich.«

      »Danke, Sir … Ihr Name?«

      »Ich hieß einmal anders … Jetzt nennen meine indianischen Freunde mich in ihrem verpfuschten Kauderwelsch von Englisch-Spanisch El Gento, womit sie freilich etwas für mich höchst Ehrenvolles zum Ausdruck bringen wollen, nämlich eine Verquickung der Begriffe Herr und Mann …«

      »Verstehe,« nickte der Blinde, und sein Kopf war nach links gewandt, wo der Gaul des Tehuelchen soeben am Rande der Uferhöhe beim Grasrupfen ein wenig Sand hatte in die Tiefe rieseln lassen. »Ist dort noch jemand, El Gento?« fügte er sofort hinzu und bewies so, daß sein Gehör außerordentlich scharf war.

      »Ein Pferd nur,« erwiderte ich ausweichend, denn ich wollte prüfen, ob der Mann etwas von seinem indianischen Verfolger wußte und ob er nicht etwa mit der Wahrheit hinter dem Berge halten würde. Es kam mir nämlich ziemlich unglaubwürdig vor, daß ein Sträfling von Valdivia bis hier in die Südwestecke Patagoniens geflohen sein sollte. Der Blinde erweckte ja überhaupt den Eindruck, als ob ihm die Begegnung mit mir keineswegs angenehm wäre, – doch höchst sonderbar für einen Menschen, der sich nur mit dem Stecken weitertasten konnte und unfehlbar ohne fremde Hilfe hier verhungern mußte.

      »Wohl Ihr Pferd, El Gento?« meinte er gleichmütig. »Setzen wir uns … Ich bin müde. Diese gräßlichen Ameisen haben mich vor vier Tagen in einem der dichten Koniferenwälder der Andentäler während einer längeren Bewußtlosigkeit so fürchterlich zugerichtet. Vielleicht hatte ich’s verdient. Ich bin blind geworden. Das haben Sie wohl schon gemerkt.« Er sagte es mit einer trostlosen Gleichgültigkeit, die mich ganz seltsam berührte.

      Ich führte ihn seitwärts zu einem Steine und nahm neben ihm Platz, vermied es, ihn anzusehen, denn dieses entstellte Gesicht trieb mir wahrlich ein Frostgefühl über die Haut, und fragte ihn nun, wann er aus Valdivia entwichen sei.

      »Sie haben ein Recht, von mir Auskunft über meine Person zu verlangen,« meinte er in demselben stumpfen Tone eines Menschen, dem nichts mehr am Leben gelegen ist. »Sie gestatten, daß ich Sie auch weiterhin El Gento anrede. Weshalb sollen wir uns hier in der Wildnis mit Salonphrasen anöden?! – Mein Name ist van Braanken, Holländer von Geburt, nachher deutscher Untertan, Farmbesitzer in Deutschsüdwest gewesen, durch den Krieg alles verloren, daher aus Not Gelegenheitsarbeiter, bis ich vor einem halben Jahr nach Valdivia kam und Buchhalter bei Sennor Manuel Mastilo wurde, der einer der reichsten chilenischen Schafzüchter ist. Was dann geschah, ist genau so alltäglich wie mein ganzes Leben, das nur eine Kette von Fehlschlägen darstellt. Nie habe ich Glück gehabt, nie. Was ich auch begann, nachdem ich mit achtzehn Jahren meine Eltern verloren hatte, – nichts schlug zum Guten aus. Heute bin ich fünfunddreißig und … ein höchst überflüssiges Geschöpf,