Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Название Leopold von Ranke: Historiografische Werke
Автор произведения Leopold von Ranke
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027206056



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von den Ideen des Imperiums, auf denen die damalige Welt beruhte, aber auch von den Ideen, welche den Tempel von Jerusalem und die Schriftgelehrten beherrschten; er lehrte eine allgemeine Kindschaft zu dem ewigen Vater, gleichweit entfernt von den beiden religiösen Begriffen, zwischen denen die Überlieferung und Verehrung sich teilte. Er sah in der Religion ein heiliges Kleinod der Menschen, das durch keine politische Zutat in seiner Echtheit verdunkelt werden dürfe; er verkündigte ein Gottesreich, zu welchem nur die sittlich reinen, die wahren Kinder Gottes, sich vereinigen sollten. Und wenn die Juden durch den vermeinten Messias, den sie erwarteten, zur Herrschaft über alle Nachbarn erhoben zu werden hofften, so faßte Jesus eben diese Idee in ihrer geistigen Bedeutung. Der Messias war ihm der Verkündiger des an das Alte anknüpfenden, aber doch ein unbekanntes Neue eröffnenden Gottesreiches, das von allem Nationalen absah; er selbst der Messias. Dies Reich zu verkündigen zugleich und zu stiften, darin sah er seinen göttlichen Beruf.

      Dort an dem galiläischen See hat Jesus von einem Schiffe her das neue Evangelium von dem anbrechenden Reiche Gottes verkündigt, welches, im Gegensatz sowohl mit der Herrschaft der Cäsaren als mit dem partikularen Gemeinwesen der Juden, der Menschheit eine allgemeine Vereinigung rein geistiger Art in Aussicht stellte. Er verstand darunter die Genossenschaft der Gläubigen; er sprach unumwunden aus, daß sich diese Genossenschaft keineswegs auf die Juden allein beschränken werde. In Kapernaum fand er in dem römischen Zenturio mehr gläubige Hingebung als bei irgend einem Israeliten. Auf einer seiner Wanderungen, die ihn in die Nähe von Samaria führte, finden wir ihn bei einem Brunnen sitzend, wo er sich ohne Rücksicht auf die Antipathie der Juden aus dem Schöpfgefäße eines samaritischen Weibes erlabt. Einige tiefsinnige Fragmente sind uns aufbewahrt, in denen von dem Verhältnis der sinnlichen Nahrung zu der geistigen die Rede ist. Dort in Samaria wurde er wohl zuerst als der verheißene Messias anerkannt: ein Gedanke, der das Prinzip seines Lebens war, durch den er doch allezeit wieder an den Sinn und Inhalt der jüdischen Lehren und der heiligen Schrift anknüpfte.

      In ihrer zurückgedrängten Stellung hatten die Juden von jeher auf die Rettung durch einen göttlichen Menschen, der zugleich Gesandter Gottes sein und ihr König werden sollte, gehofft. Was wäre aber damit der Menschheit geholfen gewesen? Die Religion wäre sogleich in eine politische Herrschaft ausgeartet, und niemand konnte sich in jenen Zeiten ohne fanatische Impulse ein Ereignis dieser Art auch nur möglich denken. Christus belehrte die Juden, daß ihre messianische Erwartung nicht den Staat betreffe, sondern die Religion. Die Religion sollte als solche die Menschheit durchdringen, der Monotheismus, frei von dem Zeremonialdienst, die Religion der Welt werden im Sinne der Urzeit. Der Messias ist der Gründer des Reiches Gottes, welches eben darin besteht, daß der Mensch sich ihm hingibt, in ihm lebt und stirbt. So kann es den geistigen Boden bilden, auf welchem neben dem politischen Bestand sich das Gefühl einer höheren allumfassenden Gemeinschaft der Menschheit erhebt und ausbildet.

      Hätte sich nicht, so darf man fragen, die Idee der Menschheit auch auf eine andere Weise entwickeln können, im Sinne der platonischen oder auch der stoischen Philosophie? Aber das wäre dann nicht Religion gewesen, es hatte nicht an die ältesten Überlieferungen der Menschheit und ihre Überzeugungen angeknüpft. Auf diese Verbindung kam es an. Gerade dadurch aber mußte der Stifter sich mächtige Widersacher erwecken, deren Feindseligkeit sein Leben bestimmte. Hohepriester und Schriftgelehrte nahmen an seinen Überschreitungen des Zeremonialgesetzes, besonders auch an seinen Heilungen am Sabbat Anstoß. Das Unerträglichste aber war ihnen, daß der Gedanke, auf welchem ihre Volksgenossenschaft beruhte, überboten und dadurch zerstört wurde. Als Jesus sich in den unmittelbaren Bereich dieser priesterlichen Gewalt begab, wie sie damals unter den Römern bestand, welche sie hätten vernichten können, aber doch anzuerkennen verpflichtet waren, wurde er ergriffen und vor Gericht gestellt. Er hatte wohl gesagt, er würde den Tempel zu zerstören und in kurzem wiederherzustellen imstande sein, was doch unverhohlen ankündigt, daß die bestehende beschränkte Gottesverehrung aufhören und eine andere in seinem Sinne an deren Stelle treten werde. Damit greift es zusammen, wenn er behauptete der Messias zu sein und eine unmittelbare göttliche Sendung im Leben und selbst nach seinem Tode dafür in Anspruch nahm. Das Synedrium, das nach einem in der Nacht vorgenommenen Verhör des Morgens früh zusammenberufen wurde, verurteilte ihn zum Tode.

      Um jedoch das Urteil zu vollstrecken, war die Einwilligung und Mitwirkung des Prokurators notwendig. Dieser widmete den gegen Jesus vorgebrachten Beschwerden keine besondere Aufmerksamkeit; an und für sich würde er zu keiner Verurteilung geschritten sein. Aber das Verhältnis, in dem er sich befand, war nicht dazu angetan, einem von den Landesbehörden gefaßten Beschluß zu widerstreben, und überdies: Jesus hatte sich im Sinne der Messiasidee als König begrüßen lassen und wohl auch selbst bezeichnet. Er war entfernt davon, das jüdische Königtum etwa den Römern gegenüber aufrichten zu wollen; der Gedanke kam ihm nicht in die Seele. Allein der Hohepriester machte den Prokurator aufmerksam, daß sich Jesus als König der Juden gebärdet habe: Pilatus würde der Freund des Kaisers nicht sein, wenn er einen Menschen dieser Art am Leben lasse. Angewiesen, die den Juden noch verbliebenen Reste der Selbständigkeit zu schonen, und mit einer Beschwerde bedroht, die ihm in Rom gefährlich werden konnte, gewann es Pilatus über sich, den Unschuldigen hinrichten zu lassen. Die hierarchische Gewalt, welche die eine, und die militärische, welche die andere Religion bekannte, vereinigten sich dazu, den Verkündiger einer von beiden unabhängigen Religion umzubringen. Die Inschrift, die Pilatus über das Kreuz setzte, bezeichnete den Anspruch auf die Königswürde unter den Juden als Ursache der Hinrichtung, denn in der den Römern unterworfenen Provinz durfte es keinen König geben. Aber die Ankläger Jesu wußten doch sehr wohl, daß ein weltlicher Anspruch, wie er in dieser Bezeichnung lag, von ihm niemals gehegt worden war. Sein Königtum war nur der Ausdruck der messianischen Idee, die bei ihm eine außerweltliche Bedeutung hatte. Ihr Unrecht bestand darin, daß sie, um sich selbst zu erhalten, dem göttlichen Meister einen Anspruch zuschrieben, an den er in Wahrheit nicht dachte.

      Das fleckenloseste, tiefsinnigste, menschenfreundlichste Wesen, das je auf Erden erschienen war, fand keinen Platz in der damaligen Welt. Jesus hatte seinen Tod mit voller Bestimmtheit kommen sehen, aber er wußte, daß damit seine Lehre bekräftigt und gerettet werde. Was wir das Abendmahl nennen, war nicht ein bloßer Abschied; es war ein Bund zwischen ihm und den Jüngern auf der mystischen Grundlage seiner göttlichen Sendung; Taufe und Abendmahl haben den Charakter von gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Göttlichem und Menschlichem. Wer hätte nicht meinen sollen, daß mit dem Meister, dessen Jünger bisher sich oft sehr schwach und zweifelhaft erwiesen hatten, auch die Lehre vertilgt sein werde? Allein der Tod selbst und die Erscheinungen, die ihn begleiteten und ihm folgten, von deren Realität sie so fest überzeugt waren wie von irgend etwas, das man mit Augen gesehen und mit Händen betastet hat, erhoben ihre Seele zu einer Freudigkeit, die sie bisher nie bewiesen. Aus Jüngern wurden sie selbst Lehrer der Welt, Apostel des Meisters, den sie, seinen eigenen Äußerungen folgend, als Gottheit verkündigten.

      Ich vermeide, wie berührt, auf das Geheimnis einzugehen. Auf dem Standpunkt der historischen Verknüpfung der Ideen drängt sich mir beim Anblick dieser Erscheinung mitten in der griechisch-römischen Welt noch eine Erinnerung auf, die ich nicht übergehen darf. In jenem Widerstreit der Naturkräfte, den die alte Mythologie als einen Kampf zwischen Göttern und Titanen auffaßt, in welchem die Götter den Sieg erringen, bildet vielleicht die in sich bedeutendste Gestalt jener Prometheus, der besiegt und an den Kaukasus geschmiedet wird. Die Götter bestraften ihn, weil er sich der Menschheit, ihren Bedürfnissen, ihrem Leben, der Ausbildung ihrer Kräfte, der geistigen sowohl wie der materiellen, gewidmet hatte. Die Menschheit war seitdem den Göttern des Olymp unterlegen. Seit vielen Jahrhunderten hatten die polytheistischen Vorstellungen die Welt beherrscht; jetzt aber waren sie in dem Widerstreit der nationalen Götter, der übrigen mit den römischen, dieser selbst mit einander, unhaltbar geworden. Das Extrem dieser Vorstellungen, die Göttlichkeit des römischen Kaisers, schien das System zu vollenden, trug aber doch das meiste bei, es zu zerstören. Da mußte denn auch, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, Prometheus von seinem Felsen gelöst und die Menschheit in ihr ursprüngliches Dasein zurückgerufen werden. Sie trat in eine unmittelbare Verbindung mit dem Göttlichen, nicht aber den Naturkräften, sondern der Gottheit, welche über denselben allwaltend gedacht wurde, und diese Verbindung vor allem erscheint in dem christlichen Glauben.

      Dies höchste göttliche Wesen, Schöpfer des