Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays. Фридрих Шиллер

Читать онлайн.
Название Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays
Автор произведения Фридрих Шиллер
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027204274



Скачать книгу

geworden; sie beherrscht ihn mit despotischer Gewalt; so versinkt er in einen schmerzhaft wollüstigen Zustand des Leidens. Auf einen einzigen Gegenstand sind jetzt alle seine Kräfte zusammengezogen. Ein nie gestilltes Verlangen hält seine Seele innerhalb ihrer selbst gefesselt. – Wie sollte sie ins Universum ausströmen? Unfähig, diesen Wunsch zu befriedigen, unfähiger noch, ihn durch innere Kraft zu besiegen, schwindet er halb lebend, halb sterbend in sichtbarer Zehrung hin; keine Zerstreuung für den brennenden Schmerz seines Busens, kein mitfühlendes, sich ihm öffnendes Herz, in das er ihn ausströmen könnte.

      »Ich habe Niemand – Niemand

       »Auf dieser großen weiten Erde, Niemand.

       »Soweit das Scepter meines Vaters reicht,

       »So weit die Schifffahrt unsre Flaggen sendet,

       »Ist keine Stelle, keine, keine, wo

       »Ich meiner Thränen mich entlasten kann.«

      Hilflosigkeit und Armuth des Herzens führen ihn jetzt auf eben den Punkt zurück, wo Fülle des Herzens ihn hatte ausgehen lassen. Heftiger fühlt er das Bedürfniß der Sympathie, weil er allein ist und unglücklich. So findet ihn sein zurückkommender Freund.

      Ganz anders ist es unterdessen diesem ergangen. Mit offenen Sinnen, mit allen Kräften der Jugend, allem Drange des Genies, aller Wärme des Herzens in das weite Universum geworfen, sieht er den Menschen im Großen wie im Kleinen handeln; er findet Gelegenheit, sein mitgebrachtes Ideal an den wirkenden Kräften der ganzen Gattung zu prüfen. Alles, was er hört, was er sieht, wird mit lebendigem Enthusiasmus von ihm verschlungen, alles in Beziehung auf jenes Ideal empfunden, gedacht und verarbeitet. Der Mensch zeigt sich ihm in mehrern Varietäten; in mehrern Himmelsstrichen, Verfassungen, Graden der Bildung und Stufen des Glückes lernt er ihn kennen. So erzeugt sich in ihm allmählich eine zusammengesetzte und erhabene Vorstellung des Menschen im Großen und Ganzen, gegen welche jedes einengende kleinere Verhältniß verschwindet. Aus sich selbst tritt er jetzt heraus, im großen Weltraum dehnt sich seine Seele ins Weite. – Merkwürdige Menschen, die sich in seine Bahn werfen, zerstreuen seine Aufmerksamkeit, theilen sich in seine Achtung und Liebe. – An die Stelle eines Individuums tritt bei ihm jetzt das ganze Geschlecht; ein vorübergehender jugendlicher Affekt erweitert sich in eine allumfassende unendliche Philanthropie. Aus einem müßigen Enthusiasten ist ein thätiger handelnder Mensch geworden. Jene ehemaligen Träume und Ahnungen, die noch dunkel und unentwickelt in seiner Seele lagen, haben sich zu klaren Begriffen geläutert, müßige Entwürfe in Handlung gesetzt, ein allgemeiner unbestimmter Drang, zu wirken, ist in zweckmäßige Thätigkeit übergegangen. Der Geist der Völker wird von ihm studiert, ihre Kräfte, ihre Hilfsmittel abgewogen, ihre Verfassungen geprüft; im Umgange mit verwandten Geistern gewinnen seine Ideen Vielseitigkeit und Form; geprüfte Weltleute, wie ein Wilhelm von Oranien, Coligny u. A., nehmen ihnen das Romantische und stimmen sie allmählich zu pragmatischer Brauchbarkeit herunter.

      Bereichert mit tausend neuen fruchtbaren Begriffen, voll strebender Kräfte, schöpferischer Triebe, kühner und weitumfassender Entwürfe, mit geschäftigem Kopf, glühendem Herzen, von den großen begeisternden Ideen allgemeiner menschlicher Kraft und menschlichen Adels durchdrungen, und feuriger für die Glückseligkeit dieses großen Ganzen entzündet, das ihm in so vielen Individuen vergegenwärtigt ward,

      »Großmüthig wie der Starke Menschenglück,

       »Aus Ihrem Füllhorn strömen, Geister reifen

       »An Ihrem Weltgebäude.

       Stellen Sie der Menschheit

       »Verlornen Adel wieder her. Der Bürger

       »Sei wiederum, was er zuvor gewesen,

       »Der Krone Zweck, ihn binde keine Pflicht,

       »Als seiner Brüder gleichehrwürd’ge Rechte.

       »Der Landmann rühme sich des Pflugs und gönne

       »Dem König, der nicht Landmann ist, die Krone.

       »In seiner Werkstatt träume sich der Künstler

       »Zum Bildner einer schönern Welt. Den Flug

       »Des Denkers hemme keine Schranke mehr,

       »Als die Bedingung endlicher Naturen.«

      so kommt er jetzt von der großen Ernte zurück, brennend von Sehnsucht, einen Schauplatz zu finden, auf welchem er diese Ideale realisieren, diese gesammelten Schätze in Anwendung bringen könnte. Flanderns Zustand bietet sich ihm dar. Alles findet er hier zu einer Revolution zubereitet. Mit dem Geiste, den Kräften und Hilfsquellen dieses Volks bekannt, die er gegen die Macht seines Unterdrückers berechnet, sieht er das große Unternehmen schon als geendigt an. Sein Ideal republikanischer Freiheit kann kein günstigeres Moment und keinen empfänglicheren Boden finden.

      »So viele reiche blühende Provinzen!

       »Ein kräftiges und großes Volk, und auch

       »Ein gutes Volk, und Vater dieses Volkes,

       »Das, dacht’ ich, das muß göttlich sein.«

      Je elender er dieses Volk findet, desto näher drängt sich dieses Verlangen an sein Herz, desto mehr eilt er, es in Erfüllung zu bringen. Hier, und hier erst, erinnert er sich lebhaft des Freundes, den er, mit glühenden Gefühlen für Menschenglück, in Alcala verließ. Ihn denkt er sich jetzt als Retter der unterdrückten Nation, als das Werkzeug seiner hohen Entwürfe. Voll unaussprechlicher Liebe, weil er ihn mit der Lieblingsangelegenheit seines Herzens zusammen denkt, eilt er nach Madrid in seine Arme, jene Samenkörner von Humanität und heroischer Tugend, die er einst in seine Seele gestreut, jetzt in vollen Saaten zu finden und in ihm den Befreier der Niederlande, den künftigen Schöpfer seines geträumten Staats zu umarmen.

      Leidenschaftlicher als jemals, mit fiebrischer Heftigkeit stürzt ihm dieser entgegen.

      »Ich drück’ an meine Seele dich, ich fühle

       »Die deinige allmächtig an mir schlagen.

       »O, jetzt ist alles wieder gut. Ich liege

       »Am Halse meines Rodrigo.«

      Der Empfang ist der feurigste: aber wie beantwortet ihn Posa? Er, der seinen Freund in voller Blüthe der Jugend verließ und ihn jetzt einer wandelnden Leiche gleich wiederfindet, verweilt er bei dieser traurigen Veränderung? Forscht er lange und ängstlich nach ihren Quellen? Steigt er zu den kleineren Angelegenheiten seines Freundes herunter? Bestürzt und ernsthaft erwiedert er diesen unwillkommenen Empfang.

      »So war es nicht, wie ich Don Philipps Sohn

       »Erwartete – – Das ist

       »Der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem

       »Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet –

       »Denn jetzt steh’ ich als Rodrigo nicht hier,

       »Nicht als des Knaben Carlos Spielgeselle –

       »Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit

       »Umarm’ ich Sie – es sind die flandrischen

       »Provinzen, die an Ihrem Halse weinen« u. s. f.

      Unfreiwillig entwischt ihm seine herrschende Idee gleich in den ersten Augenblicken des so lang entbehrten Wiedersehens, wo man sich doch sonst so viel wichtigere Kleinigkeiten zu sagen hat, und Carlos muß alles Rührende seiner Lage aufbieten, muß die entlegensten Scenen der Kindheit hervorrufen, um diese Lieblingsidee seines Freundes zu verdrängen, sein Mitgefühl zu wecken und ihn auf seinen eigenen traurigen Zustand zu heften. Schrecklich sieht sich Posa in den Hoffnungen getäuscht, mit denen er seinem Freunde zueilte. Einen Heldencharakter hatte er erwartet, der sich nach Thaten sehnte, wozu er ihm jetzt den Schauplatz eröffnen wollte. Er rechnete auf jenen Vorrath von erhabener Menschenliebe, auf das Gelübde, das er ihm in jenen schwärmerischen Tagen auf die entzweigebrochene Hostie gethan, und findet Leidenschaft für die Gemahlin seines Vaters. –

      »Das ist der Karl nicht mehr,

       »Der in Alcala von dir Abschied nahm.

       »Der Karl