Название | Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band |
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Автор произведения | Walther Kabel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075831101 |
12. Kapitel
Ein Abend in Wannsee
Eginhard von Blendel war, wie verabredet, von Charlotte Oltendorf um acht Uhr abends telephonisch benachrichtigt worden, daß in der bewußten Sache eine Wendung zum Besseren nicht eingetreten wäre.
Daher trafen sich die Beteiligten nachher im Schultheiß-Restaurant in Wannsee. Der Abend war so warm, daß man im Freien sitzen konnte. Bellinger hatte einen abseits stehenden Tisch gewählt, an dem die vier Personen unbeobachtet sich aussprechen konnten.
Die Begrüßung zwischen Lossen und der Tochter des Rentiers war auf beiden Seiten merklich verlegen. Blendel half ihnen aber geschickt darüber hinweg, indem er sagte:
„Fräulein Oltendorf nimmt das wärmste Interesse an Dir, mein alter Patroklus. Hoffen wir, daß wir sowohl ihre als auch Deine Angelegenheit zu einem glücklichen Ende führen.“
Nachdem der Kellner die beiden Flaschen Mosel gebracht hatte, die von dem Baron bestellt worden waren, wandte sich Bellinger, der dem Anlaß dieser Zusammenkunft entsprechend sein heiteres, rosiges Gesicht in ernste Falten zu legen versuchte, an Charlotte und bat sie, nunmehr auch ihm das zu wiederholen, was sie am Morgen dem Baron anvertraut hatte.
Bisher hatte das junge Mädchen Bellinger nicht recht beachtet, da das Wiedersehen mit Lossen und die wortreiche Liebenswürdigkeit Blendels ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch genommen hatte. Erst jetzt schien sie den Assessor genauer zu mustern. Wenigstens sah Lossen, daß sich ihr Gesichtsausdruck auffallend veränderte. Ihre Augen weiteten sich für einen Moment, und ihre Mienen spiegelten deutlich ein heftiges Erschrecken wider.
Der junge Maler, der sich heute seit der Rücksprache mit Thomas Schippel vorgenommen hatte, besonders die Tochter Oltendorfs genau zu beobachten, da sie ja vielleicht Mitwisserin des von ihrem Vater möglicherweise nur erdichteten Diebstahls sein konnte, wußte nicht, was er von diesem Benehmen Charlottes halten sollte, zumal er bald noch andere Wahrnehmungen machte, die ganz zweifellos dafür sprachen, daß das junge Mädchen gegen Bellingers Personen zum mindesten eine gewisse Abneigung verspüren müsse.
Schon daß sie jetzt auf des Assessors Bitte hin einige Zeit verstreichen ließ und wie unschlüssig vor sich hinblickte, war etwas auffällig. Dann erwiderte sie langsam, und fraglos wog sie jedes Wort genau ab:
„Ich habe den Herren ja schon meinen Dank dafür ausgesprochen, daß Sie mich in den Bemühungen unterstützen wollen, meinen Vater aufzufinden. Leider habe ich nun heute, wohl infolge der Aufregungen und der schlaflos verbrachten Nacht, so starker Migräne, daß ich mich ganz kurz fassen muß. Ich hoffe aber, auch dieses Wenige wird Ihnen, Herr Assessor, genügen. Sie sollen ja nur davon überzeugt werden, daß ich nicht grundlos in so großer Sorge um meinen Vater bin. – Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Meine Mutter starb sehr früh, und da mein Vater als Bergingenieur viel im Auslande beschäftigt war, wurde ich bei Verwandten in Hamburg erzogen. Vor mehreren Jahren kehrte mein Vater dann nach recht langer Abwesenheit aus Südafrika zurück, erwarb die Villa hier in Wannsee und nahm mich zu sich. Er traf dann einen Bekannten aus früherer Zeit, den Musikprofessor Weinreich, mit dem er zunächst häufig zusammenkam. Das gute Verhältnis zwischen beiden erfuhr jedoch eine Trübung, und schließlich fand sich der Professor bei uns überhaupt nicht mehr ein, mit dessen Stieftochter, einem Fräulein Fritzi Pelcherzim, ich nur einige Male zusammen war, da unsere ganzen Lebensanschauungen doch zu sehr auseinandergingen. Vergebens fragte ich meinen Vater des öfteren, weshalb Weinreich sich bei uns nicht mehr blicken ließ. Er erwiderte mir, und zwar auch später bei ähnlichen Anlässen in ungewöhnlich schroffem Ton, ich solle mich nicht um seine Angelegenheiten kümmern.“
Lossen hatte jetzt wieder eine neue Beobachtung gemacht. Als Charlotte Oltendorf den Namen Weinreich erwähnte, schaute sie unauffällig prüfend Bellinger an, wie wenn sie erwartete, aus seinen Mienen etwas Besonderes herauslesen zu können. Doch des Assessors junges, frisches Gesicht behielt denselben Ausdruck teilnehmender Aufmerksamkeit bei, und er unterbrach mit keinerlei Zwischenbemerkung die Erzählerin, die auch fernerhin jedesmal, wenn sie den Professor in ihrem Bericht anführte, mit schnellem Blick Bellingers Antlitz streifte.
„Nach der Entzweiung mit Weinreich“, hatte Charlotte inzwischen weitergesprochen, „verschlechterte sich der Gemütszustand meines Vaters zusehends. Verschiedentlich merkte ich, wie mein Vater noch spät abends heimlich einen Gast empfing, den er stets an der Straßenpforte erwartete. Dieser Besuch regte meinen armen Vater stets in einer Weise auf, daß er noch tagelang hinterher wie ein Schwerkranker umherschlich oder aber Wutanfälle bekam, für die keine Veranlassung vorhanden zu sein schien. Wiederholt habe ich auch laute, streitende Stimmen aus Papas Zimmer bis in die Erdgeschoßräume dringen gehört, wo ich mich auf seinen Befehl an diesen unheilvollen Abenden aufhalten mußte, während er dann die Dienstboten dann stets bis Mitternacht beurlaubt hatte. Einmal hörte ich sogar oben einen dumpfen Knall wie einen Schuß. Als ich hinaufeilen wollte, da ich irgend ein schreckliches Vorkommnis befürchtete, fand ich die Türen nach dem Treppenflur von außen versperrt: ich war in den Parterrezimmern eingeschlossen. – Dieses Ereignis rückte mir diese heimlichen Besuche in ein ganz neues Licht. Meine Phantasie malte sich Dinge aus, die selbst in meinen Träumen neu auflebten. Ich glaubte jetzt meinen Vater von Feinden umringt, die ihm das Leben verbitterten. Klarheit über all dies Geheimnisvolle, das sich bei uns abspielte, gewann ich nicht. Nur feststellen konnte ich, wie mein Vater von Tag zu Tag düsterer, schwermütiger und menschenscheuer wurde. Auf unserem Hause lastete es beständig wie Gewitterschwüle. Dann wieder ein neues Moment: ich merkte, daß unsere Vermögensverhältnisse sich verschlechterten. Mein Vater begann sparsamer zu leben, und bald erklärte er mir auch, er habe an der Börse beträchtliche Summen verloren, die ihn dazu zwängen, unseren Haushalt ganz einfach einzurichten. Nun – es ging fortan bei uns nicht nur einfach, sondern sogar ärmlich zu. Oft fehlte es am nötigsten. Ich war gezwungen, meinen Schmuck zu veräußern, verschwieg dies aber meinem Vater, der zumeist in finsterem Brüten in seinem Zimmer saß. So verging ein Vierteljahr. Vor einigen Tagen brachte der Postbote dann meinem Vater einen Brief, dessen Adresse mit Schreibmaschine geschrieben war. Ich muß noch erwähnen, daß ich diese Briefe mit den graublauen Umschlägen schon kannte. Erhielt mein Vater einen solchen, so wußte ich, daß an einem der nächsten Abende der geheimnisvolle Gast sich wieder einfinden würde, dann war seine Stimmung noch trüber als sonst. Ich hatte dies sehr bald herausgemerkt. – Wir saßen gerade am Kaffeetisch, als jener Brief ihm ausgehändigt wurde. Er wurde beim Lesen leichenblaß, stierte eine Weile vor sich hin, erhob sich dann und ging wortlos hinaus. – Seit vorgestern habe ich ihn dann nicht wiedergesehen. Unsere alte Köchin erzählte mir nachher, Vater habe sich vorgestern früh auf sein Zimmer begeben, sei eine Weile dort geblieben und dann ausgegangen, als wolle er einen Spaziergang machen. Als er zum Mittagessen sich nicht wiedereinfand, als auch der Nachmittag verstrich, ohne daß er zurückkehrte, steigerte sich meine Unruhe und wurde bald zu einem beklemmenden Angstgefühl. Dieses trieb mich dann schließlich gegen sieben Uhr abends aus dem Hause. Auf dem Bahnhof erfuhr ich von einem mir näher bekannten Beamten, daß mein Vater morgens nach Berlin gefahren wäre. Dort hatte er nun eigentlich nur einen Menschen, den er aufsuchen konnte: Weinreich! Sonst kannte er niemanden. – Ich benutzte den nächsten Zug nach Berlin, eilte zu Weinreichs, bekam dort aber von Frau Weinreich den Bescheid, mein Vater sei seit Monaten nicht mehr bei ihnen gewesen. Der Professor selbst und Fräulein Fritzi waren nicht daheim. – Was sollte ich tun? Blasse Furcht ängstigte mich. Meine durch das häusliche Ungemach ohnehin schwer in Mitleidenschaft gezogenen Nerven versagten jetzt ganz. Erst trieb es mich wieder nach Wannsee hinaus. Vater war noch nicht zu Hause. Ich also wieder zurück nach Berlin. Papa liebte gute Musik und bevorzugte die Konzerte in der Philharmonie. Vielleicht war er dort, um sich zu zerstreuen, wie er dies manchmal früher getan hatte. Es fand gerade ein Konzert statt, und ich klammerte mich an diese unsinnige Hoffnung. Natürlich entdeckte ich ihn in dem Riesensaale nicht. Dann fiel mir ein, daß wir mitunter in einem Kaffee in der Nähe des Zoologischen Gartens gewesen waren. Auch dort suchte ich ihn vergeblich. Als ich wieder auf die Straße hinaustrat, wurde ich ohnmächtig vor