Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield

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Название Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen
Автор произведения Charles Sealsfield
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835741



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verschwunden.«

      »Tokeah hat wie ein frommer Sohn, wie ein großer Miko getan«, erwiderte der junge Mann. – »Aber die Cumanchees und Pawnees und die Oconees sind verwaist, der Pfad, den Tokeah und El Sol zu gehen haben, ist lange – der weißen Rose wird bange sein.« – Er hielt plötzlich inne.

      Der alte Häuptling warf einen forschenden Blick auf ihn und sprach dann: »Die roten Männer wissen, daß Tokeah auf dem Pfade ist, das Gebot des großen Geistes zu erfüllen. – Aber mein Sohn hat etwas auf dem Herzen, er muß seine Zunge lösen.«

      El Sol schwieg jedoch, und sie setzten sich zu ihrem Mahle. Als sie dieses eingenommen, traten sie ihren Rückweg an. Es war jedoch nicht derselbe Weg, den sie gekommen waren; ihre gegenwärtige Richtung lag mehr südöstlich. Der junge Häuptling schien ungeduldig zu werden. Schweigend, jedoch mit der den Indianern eigentümlichen Selbstverleugnung, folgte er dem greisen Häuptlinge durch eine Landschaft, die von der, durch welche sie bisher gekommen waren, gänzlich verschieden war. Gewächse, Bäume, das Erdreich, die zerstreuten Pflanzungen, die ihnen aufstießen, selbst die Zäune um die Gärten an den Häusern waren verschieden. Sie bemerkten an diesen Zäunen häufig die Gerippe von Tieren, die dem Mexikaner fremd zu sein schienen; lange, fürchterliche Gerippe mit ungeheuern Rachen und Zähnen, die einen noch immer grinsend anblickten, als wollten sie die Wanderer verschlingen. Sie waren in Alabama, wo die häufigen Aligatoren gewöhnlich von den Pflanzern als eine Art Trophäen an den Zaun aneinander gereiht werden, so wie die Amerikaner sonst die Adler und andere Raubvögel an ihre Scheunen als Warnungszeichen für die Hühnerdiebe heften. Ihre Schritte wurden nun mit jeder Stunde sorgsamer. Sie vermieden nicht nur ängstlich die Wohnungen der Weißen, sondern auch jede zufällige Begegnung derselben; durch die dunkelsten Wälder, die unzugänglichsten Dickichte, die weglosesten Sümpfe ging ihr gefahrvoller Weg schnell und mit einer Sicherheit, die die Gefahr wittert und ihr instinktartig zu entrinnen weiß. Endlich, nach einem Marsche von mehreren Tagen, langten sie in einem weiten, tiefen Tale an, das, von mäßigen Hügeln umschlossen, in der abgeschiedensten Verborgenheit lag. Der alte Mann setzte seinen Sarg auf die Erde, winkte seinem Sohne zu bleiben, und verließ seine beiden Begleiter.

      Nach einer Weile wurde ein durchdringend langes Pfeifen gehört, so schneidend, so gellend, daß die Nachteulen zu Hunderten in ein lang schallendes Gelächter ausbrachen – dann erfolgte eine tiefe Stille. Wieder erschallte das Pfeifen, von einem ohr- und herzzerreißenden Tone begleitet, der weder von Tieren noch Menschen herzurühren schien, und wieder erfolgte eine lange Stille. Ein drittes Mal ertönte dieses Pfeifen, schneidender und durchdringender als zuvor, und nun war es, als ob aus der Ferne ein Gezisch und Gemisch von Tönen und Stimmen vernehmbar würde, so klagend, so heulend, wie das Geheul des Wolfes, wenn er in langen, schmerzlichen Todesmartern sich wälzt. Bald darauf erschien der alte Mann und setzte sich schweigend an die Seite seines Sohnes.

      Achtunddreißigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Mit einem Male wurde es hell. Rot und wild flackernde Flammen schlugen durch das Gebüsch und erleuchteten die grausige Waldesnacht. Aus den verschiedenen Zugängen kamen eine Menge Gestalten trottend auf die beiden Häuptlinge zu, neigten ihre Häupter, kreuzten ihre Hände auf der Brust und ließen sich dann, ohne ein Wort zu reden, am Rasen auf die gewöhnliche Art nieder. Ihre Anzahl war bereits auf fünfzig gestiegen; aber sie mehrte sich mit jeder Minute, so daß sie sich endlich auf mehrere Hunderte belaufen mochte. Die meisten der wilden Ankömmlinge waren in ihre Wolldecken gehüllt, unter denen sie das Jagdhemd und den Wampumgürtel mit der Lendenbedeckung trugen. Viele aber hatten bereits Fragmente amerikanischer Kleidung, obwohl in so bunter Mischung, daß sie, bei Tage und in weniger schauerlichen Umgebungen gesehen, leicht Lachen hätten erregen können. So hatten einige Beinkleider, aber weder Schuhe noch Strümpfe. Andere hatten Hüte, auf deren Kronen bleierne Bilder in dem breiten blechernen Bande staken, wieder andere hatten Röcke ohne Beinkleider oder Westen ohne eine andere Bekleidung, das Jagdhemde und die Wolldecke ausgenommen. Nur wenige waren ganz in das amerikanische Kostüm gekleidet. Auch in der Art, wie sie sich den beiden Häuptlingen nahten, war etwas ganz Eigentümliches. Es schien, als ob sie mit Widerwillen herankämen; ihre wilden und durch den unmäßigen Genuß des Feuerwassers halb vertrockneten Gesichtszüge gaben weder Freude noch Teilnahme zu erkennen, eher eine gewisse Scheu, einen unwillkürlichen, halb unterdrückten Schauder. Der alte Mann war gesenkten Hauptes in der Stellung sitzengeblieben, die er eingenommen hatte. Als er endlich seine Augen aufschlug und sein Blick über die versammelte Menge hingleitete, starrten ihn die Wilden mit einem so glotzend gleichgültigen Ausdrucke an, als wären sie mit Entsetzen beim Anblicke ihres frühern Häuptlings erfüllt. Da wurde seine Miene schmerzhaft düster, und ein bitteres, beinahe höhnisches Lächeln verzog seinen Mund. Ein ältlicher, aber ganz nach amerikanischer Weise gekleideter Mann, von einer ins Kupferrot schillernden Gesichtsfarbe, trat keck vor den alten Häuptling, sah ihn eine Weile höhnisch lächelnd an, und seine Kienfackel in die Erde stoßend, setzte er sich unter die Vordersten im Halbkreise. »Joseph, der Oconee«, murmelten alle – und dann erfolgte wieder eine lange Pause.

      Die Wilden hatten sämtlich ihre Kienfackeln in die Erde gesteckt, und der Widerschein des rot in ihre grimmigen Gesichter schlagenden Lichtes gab der Versammlung einen Ausdruck, der wild pittoresk gewesen wäre, wenn nicht die übel angebrachten Fragmente amerikanischer Kleidung diesen Eindruck ins Lächerliche verzerrt hätten.

      »Sind meine Brüder versammelt, um die Stimme eines zu hören, dessen Auge sie lange nicht mehr gesehen hat?« fragte der Miko.

      »Sie sind es,« sprach ein alter Mann, »die Muscogees sind weit gekommen, um die Worte des großen Miko zu hören, und ihre Ohren sind offen, und ihre Arme ausgestreckt.«

      »Die Männer der Muscogees haben die Tomahawks begraben«, rief der Häuptling Joseph heftig. – »Sie haben beim großen Geist geschworen«, setzte er mit einer zänkisch gellenden Stimme hinzu.

      Es entstand ein Gemurmel, das ebensowohl Beifall als Mißbilligung bedeuten konnte.

      »Mein Geruch spürt den Atem eines Verräters, den Sohn eines Weißen und einer betrogenen Squaw, der Tochter eines Häuptlings der Muscogees«, sprach der Miko.

      Es erhob sich wieder das Gemurmel des Unwillens.

      »Mein Atem«, erwiderte der Halfblood oder Mischling Joseph giftig, »spürt den Atem eines Wolfes, den die Herde der Seinigen vertrieben, weil er sie den Jägern in die Schlingen geführt; Joseph«, setzte er triumphierend hinzu, »ist geboren von dem Blute roter und weißer Eltern. Sein Vater war ein Weißer, seine Mutter war die Tochter der Schwester des Miko Tokeah. Hat er aber, gleich diesem, den roten Männern das lange Messer der Weißen in den Nacken gesetzt? Nein, er hat es abgewehrt von ihrer Brust. Er hat gejagt mit ihnen, er hat den Tomahawk erhoben mit ihnen gegen die Cherokees und die Choctaws der sechs Nationen.«

      Er hielt inne und sah die Umhersitzenden forschend an.

      »Wenn meine Rede meinen Brüdern gefällt, so will ich fortfahren; wenn sie aber ihre Ohren verschließen, so weiß der Häuptling Joseph seine Zunge zu halten.«

      Ein alter Wilder unterbrach ihn. »Er hat sich wie der rote Hund in seine Höhle geflüchtet, als die Muscogees die Axt gegen die Weißen erhoben. Er hat den Späher der Weißen gemacht.«

      »Und seinen Brüdern den Frieden gebracht«, fiel der Halfblood dem Sprecher keck ein. »Wäre Joseph nicht gewesen, wo wären jetzt die Muscogees? Sie wären von der Erde vertilgt.«

      »Besser,« sagte ein zweiter, »sie wären gefallen im blutigen Felde, als von ihren eigenen Brüdern verraten zu werden.«

      Der Miko hatte diese verschiedenen Ausbrüche der Ungeduld, die so sehr der bei einer Versammlung hergebrachten Sitte zuwiderliefen, mit mehr Staunen als Unwillen angehört.

      »Und sehen die Augen Tokeahs«, so sprach er endlich, »wirklich die Muscogees, die großen Muscogees, deren größter Häuptling sein Vater und er gewesen? Die Muscogees, die den Weißen noch fürchterlich waren, als bereits alle roten Stämme diesseits des