Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield

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Название Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen
Автор произведения Charles Sealsfield
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835741



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Oberstin blickte das in tiefsten Schmerz versunkene Mädchen in sprachloser Rührung an. »Mein teures, verwaistes Kind!« sprach sie, »ich will dir Mutter sein. Eine Mutter läßt sich zwar nimmermehr ersetzen! aber mütterliche Freundin, Beschützerin will ich dir ganz sein.«

      Der unglücklichen Waise war nun allmählich ihr Verlust, das Entbehren der Mutterbrust, des väterlichen Schutzes in den Kontrasten, die sie in ihrem kurzen Leben erfahren hatte, deutlich geworden. Es war aber nicht bloß Sehnsucht nach den entbehrten Vater- und Mutterarmen, die sich nun in dem Kinde so ergreifend äußerte. Sie hatte ihre Verlassenheit schon in der Hütte des Miko gefühlt; aber nie war sie sich derselben so deutlich, so schmerzlich bewußt geworden, als in ihren neuen Umgebungen und der freien Beweglichkeit und hinwiederum den eingezwängten Formen ihres neuen Kreises. An die rauhe Väterlichkeit des Miko gewöhnt, war diese ihrer demütigenden, von Liebe erquellenden, sich so gerne anschließenden Natur zum Bedürfnis geworden; jetzt aber fühlte sie sich nur unendlich einsam und verlassen.

      »Ja, Rosa!« sprach die Oberstin, die gegangen und wieder zurückgekommen war, »du sollst meine Tochter sein. Der Indianer ist unsichtbar geworden, höre ich soeben. Möge er nie wiederkommen.«

      »Er wird wiederkommen«; rief das Mädchen zuversichtlich. »Er wird kommen, um Rosen zu holen.«

      »Ich zweifle«; erwiderte ihr die Oberstin, die es vielleicht nicht rätlich fand, das, was ihr als Starrsinn an dem Mädchen erscheinen mochte, gegenwärtig zu bekämpfen. »Es ist zwar sehr wenig an ihm gelegen; allein er hat des Bösen zu viel getan, um sich seinen gerechten, aber auch strengen Richtern nochmals zu stellen.« »Er wird gewiß wiederkommen«; versicherte sie Rosa nochmals.

      »Und warum ist er gegangen?« fragte die Oberstin. »Vielleicht sollte ich nicht fragen, da er deinem Herzen näher scheint als wir. Nur ist sein Verschwinden gegenwärtig auffallend. Rosa! ich hoffe, du wirst mir Vertrauen schenken, kindliches Vertrauen? Es hat das Verschwinden des Indianers einige Unruhe verursacht. Ich hoffe, nochmals sage ich es, du wirst in deiner Anhänglichkeit, die ich übrigens ehre, die Scheidelinie der Pflicht erkennen und das Vertrauen, das in dich gesetzt wird, nicht mißbrauchen.«

      Nachdem sie diese Worte mild, aber ernst und eindringend gesprochen hatte, entfernte sie sich. Das Mädchen war in tiefes Nachdenken versunken dagestanden, über die seltsamen Worte sinnend. Die mysteriöse und plötzliche Entweichung der vier Indianer hatte wirklich am Bayou und in der Umgegend einige Unruhe verursacht, und die Frau des Obersten war ersucht worden, womöglich die Veranlassung dieses Unsichtbarwerdens des gefährlichen Unruhstifters aus seiner Pflegetochter herauszubringen. Ihr offener, zuversichtlicher Ton war jedoch ein hinlänglicher Beweis, daß sie keine Mitwissenschaft habe, was auch um so wahrscheinlicher schien, als es sich kaum denken ließ, daß die Wilden, im Falle sie wirklich etwas Feindseliges im Schilde führten, ihr ihre Absichten kundgetan haben würden. Bald verschmolz auch diese kleine Besorgnis in der großen Angelegenheit, die nun alle ausschließlich zu beschäftigen anfing und in der man alles übrige vergaß. Solange nämlich die beiden Kompagnien unter dem Befehle des Kapitäns Percy noch am Bayou waren, schien man noch immer beruhigt. So unbedeutend die Anzahl der zurückgebliebenen Milizen war, so hatte doch der Umstand ihrer Nichteinberufung der Umgegend ein gewisses Gefühl von Sicherheit, von Vertrauen eingeflößt, das nun durch die plötzliche Order zum Abmarsche sehr erschüttert worden war. Es war eine fieberische Aufregung eingetreten, eine krankhafte Spannung, die die Gemüter immer heftiger dann ergreift, wenn der Schauplatz der Gefahr entfernt und so der düstern Phantasie mehr Spielraum zu trüben Bildern gelassen ist, eine Art schaudernder Empfindung, die sich mehr oder weniger an den Zurückgebliebenen äußerte. Man sah sie in den ernst verschlossenen Gesichtern, den bedenklich ausforschenden, starren Mienen, dem häufigen Vergessen aller persönlichen Rücksichten und Vorteile, dem ängstlichen Zulaufen beim jedesmaligen Erscheinen eines Dampfbootes und dem bangen Verschlingen der Zeitungen, deren lakonisch geheimnisvolle Kürze nie peinlicher ward. Auch unsere Familie war von diesen fieberischen Schauern nicht verschont geblieben, und wenn durch das rege Stilleben, das auf der Pflanzung herrschte, die düstere Folie weniger stark hindurchschimmerte, so war dieses nicht so sehr einem Mangel an Teilnahme oder Gefühl, als vielmehr der Selbstverleugnung der würdigen Frau zuzuschreiben, die als Mutter und Gebieterin dem Hause vorstand. »Unsere Gatten und Söhne«, sprach sie zu ihren Töchtern und Rosen, »kämpfen für uns und unser Land. Uns hat die Natur eine nicht minder ehrenvolle Bestimmung angewiesen, die – durch häusliche Tätigkeit die Kräfte unserer Männer und Söhne in den Stand zu setzen, ihrer großen Bestimmung Genüge zu leisten; die würdigste Teilnahme, die das Weib äußern kann. Es geziemt dem freien Weibe nicht, sich von Empfindungen überwältigen zu lassen; denn es ist nicht niedergedrückt durch das erschütternde Phantom eines übermütigen Tyrannen, der ihre Lieben von ihrem Busen reißt und einem dunkeln Verhängnisse zustößt; es kennt die Gefahr und die Notwendigkeit, ihr zu begegnen.«

      Aber ungeachtet dieser männlich starken Gründe wurde die Prüfung auch für sie allmählich zu schwer, und sonderbarerweise suchte sie bei unserem liebenden Naturkinde Trost und Ermunterung. Jeden Tag, jede Stunde fühlte sie sich mehr und mehr angezogen, und der beiderseitige Anklang von Schmerz und Entbehrung schien sie nun wirklich zu einem Gliede der Familie zu machen. So verlief eine Woche.

      Es war an einem sonnigen Mittage, daß Rosa am Bayou in sinnender Betrachtung stand, dem Gesange der in der Kottonpresse arbeitenden Neger zuhorchend, wie sie ihr eindringend wehmütiges Talla-i-hoe herübertönen ließen. Es ist ein ergreifend melancholischer Gesang, wie er in seinen tiefen Baßtönen und dem klagenden Tenor in langen Kadenzen an das Ohr schlägt. Allmählich verstummten die Stimmen eine nach der andern, dann erhoben sie sich wieder, und ein Chor von vierundzwanzig Männern brach in den schönen Negergesang Bulla-tai aus. Auch dieser war verklungen. Rosa stand aber noch immer, ohne zu bemerken, wie die Oberstin mit ihren Töchtern herantrat.

      »Weißt du, liebe Rosa,« sprach sie, »daß dieser Schmerz, dem du dich überläßt, selbstisch ist, daß wir uns nie ganz einer Wehmut überlassen dürfen, die unsere Kräfte aufzehrt?«

      »Es ist nicht Schmerz, Mutter; es ist etwas ganz anderes. Etwas Großes, etwas Wichtiges, das dir Rosa zu verkünden hat.«

      »Etwas Großes«; sprach die Dame, die aufmerksam wurde; denn die Züge des klaren, idealen Gesichtes der Sprecherin schienen außerordentlich bewegt.

      »Ja,« sprach sie, »es ist eine wichtige Stunde diese, in der viel entschieden wird. Der gute Gott wird sie tröstend für dich werden lassen; Mutter, er ist gut und milde. Sei auch du es, Mutter! ich bitte dich.«

      »Wie kann ich es, liebe Rosa«; sprach die bewegte Dame.

      »Du kannst es. Sei milde gegen das arme Weib, deren Mann im Gefängnisse schmachtet. Die Stunde, in der Rosa dich bittet, ist wichtig. Gewähre ihr, so wird sie dir sagen –«

      »Und was wird Rosa sagen?« fragte die Oberstin das sinnend horchende Mädchen. »Deine Bitte ist gewährt; ich will die Bürgschaft übernehmen.«

      Das Kind drückte die Hand der Dame freudig an den Busen. »Rosa dankt dir, teure Mutter!« sprach sie mit Hoheit. »Dafür will sie dir etwas sagen. In dieser Stunde schlagen die Eurigen die Schlacht«; flüsterte sie leise, aber bestimmt.

      Mutter und Töchter lächelten ungläubig. »Kommt,« sprach sie; »hier hören wir nichts.« Sie eilte voran an das untere, südliche Ende des Parkes, stellte die drei Damen in einen Halbzirkel und beugte sich dann in der Richtung des Luftzuges.

      Es war diesen Morgen ein ungemein dichter Nebel über der ganzen Gegend gelegen. Gegen Mittag jedoch fing ein starker Südwind an vom Strome heraufzuwehen, und die Kraft der Sonne, die selbst Januartage in diesem Lande zu so herrlich milden Erscheinungen macht, hatte allmählich die Atmosphäre in eine zitternd elastische Bewegung versetzt. Von den fernen Pflanzungen her waren noch einige Chöre der Neger zu hören. Allmählich schwiegen jedoch diese, und die Natur schien mit den armen Schwarzen ihre Feierstunde zu halten.

      »Ich höre nichts«, sprach die Dame, »als den Windzug,« setzte Virginie hinzu; »und das knarrende Gekrächze der alten Bidi«, meinte Gabriele.

      »Ihr habt nicht in dem schweigenden, stillen Wigwam