Das Buch des Kurfürsten. Marlene Klaus

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Название Das Buch des Kurfürsten
Автор произведения Marlene Klaus
Жанр Языкознание
Серия Kurpfalz-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941408364



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werden konnten. Das Bündel, das Madame Hedwig reichte, war in wollfarbenes Leinen gewickelt. Letztlich war dies eine Dreingabe, denn aus diesen Resten ließ sich noch immer etwas fertigen, und wenn es eine Windel für Juli war. Hedwig knickste ehrerbietig. „Danke, Herr Belier. Danke, Frau Belier.“

      „Gute Nacht, Hedwig, gehab dich wohl.“

      Hedwig verabschiedete sich und ging die Stufen hinunter. Um im Dunkeln nicht zu stürzen, musste sie langsamer gehen, als ihr lieb war. Unten angekommen trat sie in den Hofraum, wandte sich nach rechts, wo an den Treppenturm eine Küche aus Stein angebaut war. Lächelnd öffnete sie die Tür und wurde sofort von Wärme und dem Geruch von Holzfeuer und frisch gebackenem Brot empfangen. Und vom freundlichen Lächeln Frau Spahrs. Die Köchin stand am großen Holztisch in der Mitte des niedrigen Raumes und richtete Äpfel, Birnen und Karottenstücke in einer Schale.

      „War sie brav?“

      „Aber ja, das war sie. Sie ist es immer.“

      Hedwig hörte an Frau Spahrs Ton, dass deren Lächeln noch breiter geworden war. Augen indes hatte sie nur für das Weidekörbchen, das links neben dem Herd stand. Im Nu war sie dort und äugte hinein. Wärme kroch ihr vom Bauch in die Brust und weiter hinauf bis in die Wangen. Ihre Tochter!

      „Sie schläft, oder?“, fragte Frau Spahr herzlich.

      „Ja, das tut sie.“

      Hedwig wandte sich zum Tisch und hielt Frau Spahr stolz Stiefel und Bündel hin.

      „Fein gearbeitet, da lassen sie sich nicht lumpen“, bemerkte die Köchin anerkennend. Sie deckte die Schale mit den Früchten und die Teller, auf denen sie Brot und Käse für das Nachtmahl der Familie gerichtet hatte, mit einem weißen Leinentuch ab. Während sie sich daranmachte, alles in einen großen Henkelkorb zu packen, sagte sie: „Ist ja heute wieder zugegangen wie im Taubenschlag. Was für ein Haus!“ Sie lachte, und das klang zufrieden. „Lieferung neuer Tuche, das Rumpeln der Fässer, die ausgefrorenen Fuhrleute, die auf einen Becher Würzwein in die Küche kommen. Ich sag dir, fehlte bloß noch unser Fürst höchstselbst.“

      Frau Spahrs Stolz, zu einem solchen Haus zu gehören, sprach aus jedem ihrer Worte, und Hedwig, die ihr dies nachempfinden konnte, lächelte sie an. „Ja“, stimmte sie zu, „ein Umtrieb ist das stets.“

      „Na, ich bin’s froh, meine müden Knochen bald aufs Lager strecken zu können. Nun spute dich, damit ich nach oben kann.“

      Auch Velten wartete, sicher, dass sie käme, um hinter ihr abzuschließen. Sie band die lange weiße Schürze ab und hängte sie an den Haken an der Wand. Dann schälte sie Juli vorsichtig aus dem Körbchen, hüllte sie in das Wolltuch, das an einem weiteren Haken neben ihrem eigenen Mantel hing. Nachdem sie diesen angezogen hatte, hob sie Juli mit Frau Spahrs Hilfe in das Tragetuch und wickelte noch das Schaffell darum. Ihre Tochter auf dem Bauch, das Tuchbündel und die Stiefel in der Hand, verabschiedete sie sich von der Köchin.

      „Bis morgen!“, rief diese und schloss die Küchentür hinter ihr.

      Hedwig überquerte den großen, fast quadratischen Hof, an dessen östlicher Mauer zwei Fackeln in Halterungen flackerten. Sie bog nach links und betrat das lange, schmale Hofgelände, das zur Straße führte und an dessen Ende sich das Eingangsportal befand. Dort standen Velten und Timotheus und – wer noch? Kurz erschrak sie, ob es sich wohl um den seltsamen Unbekannten handelte. Knecht und Lehrling hatten die Fackeln, die diesen Teil des Hofes erhellten, aus den Halterungen genommen und hielten sie in der Hand. Beide wandten ihr den Rücken zu. Sie kam näher und sah im Fackelschein einen jungen Mann mit schmalem, blassem Gesicht. Er war barhäuptig, hatte kinnlanges schwarzes Haar und war gänzlich in Schwarz gewandet. Zu seinen Füßen lag ein schwarzer Ledersack. In einem seltsamen Singsang sprach er auf die beiden jungen Männer ein, dann bemerkte er Hedwig.

      Velten und Timotheus drehten sich zu ihr um, und der Fremde hob den Arm, ein Lächeln huschte über seine hohlen Wangen. Er rief über die Köpfe der beiden vor ihm Stehenden hinweg: „Jungfer, seid gegrüßt! Sankt Martin ist ein harter Mann für den, der nicht bezahlen kann. Wollt Ihr so gütig sein und von einem Reisenden am Tag seines Schutzpatrons erwerben eine Heiltinktur? Geweihtes Öl vom Grab des heiligen Martin? Auch Räucherwerk und allerlei Würzereien ich habe anzubieten, die sorgen für gesunden Schlaf und gute Träume.“ Er lächelte gewinnend. „Hat Martini weißen Bart, wird der Winter lang und hart. Da solltet Ihr sein gewappnet und mein Wundermittel gegen Gelenkschmerzen im Haus haben, auch wenn Ihr – hold und jugendlich wie die aufgehende Sonne – von derlei Gebrechen sicher nicht heimgesucht werdet. Ich hoffe, Ihr habt mehr Einsehen als diese beiden Sturköpfe hier.“

      Der Redeschwall war mit atemlosem Eifer auf sie niedergegangen. Die Stimme des Unbekannten hatte einen seltsamen Beiklang. Englisch?

      „Nichts da, wir brauchen nichts!“, besann sich Velten auf seine Pflichten. „Raus hier!“ Unsanft stieß er den Fremden zum Portal. Der klaubte seinen Sack vom Boden und rief über die Schulter: „Möge der Herr Euch schenken einen friedvollen Schlaf!“

      Dann verschlang ihn die Dunkelheit jenseits des Hofportals.

      „Nichts für ungut, Hedwig, der schwatzte uns ganz dumm mit seinen Wundermittelchen.“

      „Vielleicht wartet Ihr besser einen Augenblick, ehe Ihr geht, Frau Eichhorn“, zeigte Timotheus sich besorgt. „Soll ich nachschauen, ob er auch wirklich fort ist?“

      Hedwig war der Fremde zwar harmlos erschienen – doch jener andere fiel ihr erneut ein, also machte sie eine zustimmende Geste, und der Lehrjunge, stolz, ihr behilflich sein zu können, wuselte durchs Tor.

      Drei Herzschläge drauf war er wieder da, hob die Schultern und sagte: „Keine Spur mehr von ihm! Ihr seid sicher.“

      Woraufhin sie den beiden eine gute Nacht wünschte und hinaus auf die Straße trat.

       Zwei

      Philipp sah nach rechts und links in die Obere Kalte Talgasse, während er darauf wartete, dass Sekretarius Kolb die Stufen hinabging. Kalte Luft wehte in den Vorraum der kurfürstlichen Kanzlei am Schlossberg. Glaslaternen hingen von der Decke und sorgten für Licht. Draußen dämmerte es, vor Kurzem hatte der Turmbläser vom Jakobstor zum Beginn der Nacht geblasen.

      Die Dächer der beiden gegenüberliegenden Scheunen waren weiß bepudert, es schneite. Eine Schneeflocke ließ sich auf Philipps Nase nieder, er fuhr mit dem Handrücken drüber, um die Nässe wegzuwischen.

      Kolb stapfte Richtung Kanzleigasse davon, und Philipp betrachtete dessen Fußspuren auf den drei Stufen vor sich. Ob es nötig wäre, die Treppe zu fegen, damit niemand stürzte? Er würde den Kollegen Hans darum bitten. Er selbst musste die Zollzeichen fertig machen.

      Er war im Begriff, die Tür zu schließen, als ihm eine schwarz vermummte Gestalt auffiel, die ebenfalls Richtung Kanzleigasse ging, nicht mehr als ein Schatten, mit schneebedeckter Kapuze, die das Gesicht verhüllte. Der Schatten wirkte seltsam unförmig, als habe er einen Buckel oder verkrüppelte Schwingen wie ein Dämon. Auf der Höhe der Tür verlangsamte er seinen Schritt, wandte den Kopf kurz herüber, machte eine Bewegung, als wolle er sich entschließen, heranzukommen.

      Das kam nun gar nicht infrage! Rasch schloss Philipp die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss. Sicher ein Aussätziger. Doch für Almosen war die Kanzlei nicht der rechte Ort. Was wollte der im Oberen Kalten Tal? Dem Viertel, in dem lediglich Hofbedienstete wohnten? Man würde ihn davonjagen. Vielleicht will er auch nur zum „Blauen Hut“, dachte Philipp, während er in die Stube im Erdgeschoss zurückging. Durch den schiefergedeckten Turm am Ende des Kalten Tals in der östlichen Stadtmauer gelangte man ebenfalls hinaus in die Jakober Vorstadt, wo Pilgerquartiere und Spitäler lagen.

      Philipp schloss die Tür der Schreibstube. Hier war es warm, ein Feuer brannte im Ofen, Kerzen in Wandhaltern und im Messingständer auf dem Schreibtisch erhellten den Raum, in dem es nach Papier und Kerzenwachs roch. Er setzte sich wieder an den Tisch, von dem er zuvor aufgestanden war, um Sekretarius Kolb hinauszulassen. Vor ihm lagen die Zollzeichen, die er fast fertig gestempelt hatte. Nur wenige