Das Buch des Kurfürsten. Marlene Klaus

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Название Das Buch des Kurfürsten
Автор произведения Marlene Klaus
Жанр Языкознание
Серия Kurpfalz-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941408364



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den kleinen turmartigen Anbau mit der Wendeltreppe, die alle Stockwerke bis zum untersten Giebelgeschoss miteinander verband. Sie stieg hinunter, die Hand tastend am Mauerwerk streichend, denn im Turm war es inzwischen dunkel. Sie erreichte das erste Obergeschoss. Der Vorraum war mit Steinfliesen ausgelegt. Er erstreckte sich über die ganze Breite der Hoffront, und Hedwig erkannte am gelblichen Flackern, das durch das Fenster hereinfiel, dass unten im Hof bereits die Fackeln brannten. Auch hier legte sie Holz im Kamin nach, entzündete einen Kienspan an einem brennenden Scheit und hielt ihn an den Docht der großen Hauskerze, die auf einer Gipssäule stand. Zufrieden blickte sie umher. Gleich würden sich die Beliers mit dem Gesinde in diesem schmucken Vorraum versammeln. Herr Belier würde die Löhne auszahlen und das Abendgebet mit den Seinen sprechen. Hier, wo die prunkvollsten Räume der Familie lagen, hier, wo sonst nur Handelsvertreter, Hofangestellte, Geldgeber und Gäste empfangen wurden.

      Hedwig überlegte, ob die Zeit wohl noch reichte, um einen Blick auf Juli zu werfen, als sie hastiges Trappeln auf der Wendeltreppe hörte. Unwillkürlich schmunzelte sie. Das konnte nur eine sein. Und richtig, Appel, ebenfalls Magd im Hause Belier, schnellte durch die Tür, ihre kleinen schwarzen Locken wirbelten um ihren Kopf. Sie brachte kalte Luft mit herein. Ihre Miene hellte sich auf, als sie Hedwig sah, die Wangen gerötet vom Laufen und der Erregung. Sie drehte sich um sich selbst, griff nach den Enden ihres wollenen Umhangtuches und schwang es mit ausgestreckten Armen über dem Kopf. Sie lachte und summte. Dann hielt sie inne und blitzte Hedwig mit ihren großen schwarzen Augen an.

      Hedwig verschränkte die Arme vor der Brust und unterdrückte das Grinsen.

      Appel stapfte trotzig mit dem Fuß auf. „Nun frag schon!“, befahl sie.

      Hedwig zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Welcher also?“

      Wieder stapfte Appel mit dem Fuß. „Dummes, niederträchtiges Weib! Nicht welcher! Wann!“

      „Also gut. Wann triffst du welchen deiner unzähligen Verehrer?“

      „Oh du Schändliche! Da eile ich mich, um es dir zu erzählen, bevor du nach Hause gehst, und du, du hast nichts Besseres im Sinn, als mich zu … zu …“

      „Zu?“

      „Zu beleidigen!“

      „Aber Appel! Jeden Tag nennst du mir einen anderen Namen, wie soll ich mir die alle merken?“ Vorsichtshalber duckte sie sich. Und richtig, in gespieltem Zorn ließ Appel das Umhangtuch in Hedwigs Richtung schwingen.

      „Ach du!“, schmollte ihre Kollegin.

      Hedwig betrachtete sie. Appel war schön. Auch wenn sie selbst mit ihrem dunkelbraunen Haar und den blauen Augen nicht unansehnlich war, so kam sie nicht gegen Appels milchweiße Wangen an und deren schwarze Augen, die Unschuld und Versprechen zugleich waren. Hedwig lächelte. Appel tändelte sowohl mit Bäcker Henrichs Lehrling als auch mit Timotheus, dem vierzehnjährigen Lehrjungen des Hauses Belier. Sogar dem Gesellen Meinrad Lücke machte sie schöne Augen. Und wer wusste, wem sonst noch. Sie setzte sich damit gewitzt über das eine oder andere Gebot des Herrn Belier hinweg. Aber Appel strahlte dabei so viel Leben aus, so viel Schalkhaftigkeit. Hedwig hatte die ein Jahr ältere Kollegin gern. „Nun sag schon“, lachte sie daher.

      „Adam hat mich gefragt!“, strahlte Appel.

      „Adam?“

      „Ach Hedwig, du vergisst ja wirklich alles! Adam! Goldschmied Adelmanns Lehrling!“

      „Ach der.“

      Appel drehte sich erneut um sich selbst. „Er hat mich gefragt, ob ich übermorgen den Einmarsch des Tataren mit ihm zusammen anschauen will!“ Ein holdseliges Lächeln lag auf ihrem Gesicht.

      „So, wie du aussiehst, hast du Ja gesagt, was?“

      Appel erwiderte, indem sie den Kopf wie in schüchterner Ablehnung neigte und den Busen vorschob: „Aber selbstverständlich! Was denkst du denn?!“

      Hedwig wollte fragen, ob Appel um Erlaubnis gebeten hatte, heute Abend ausgehen zu dürfen, als Schritte im Treppenturm das Herannahen der anderen Hausmitglieder ankündigten. So raunte sie ihr nur rasch zu: „Dann nimm dich bloß vor den Mahnreden des Paterfamilias in Acht!“ Sie betonte das Wort verschwörerisch. Charles Belier wurde nämlich nicht müde, Appel vorzuhalten, was geziemendes Verhalten sei, und beim täglichen Abendgebet verurteilte er leichtsinnige Reden und Taten und blickte diese dabei besonders streng an. Hedwig wusste dies nur, weil Appel es ihr erzählt hatte. Sie selbst musste nicht mit der Familie Belier beten. Man ging davon aus, dass ihr Eheherr diese Pflicht zu Hause erfüllte und abendlich aus dem Katechismus vorlas.

      Herr Belier betrat den Vorraum, gefolgt von Wittib Zwengel, der Kinderfrau, und den Kindern Daniel und Susanna. Zuletzt folgte Margret, die fünfzehnjährige Küchenhilfe.

      Charles Belier war ein Mann in seinen besten Jahren. Ein gebildeter, die Schönheit liebender und in edle Stoffe gewandeter Kaufherr mit einer lustigen Färbung in der Sprache, die Hedwig gefiel.

      „Liebe ’ausverwandte“, hob er mit seiner ruhigen Stimme an, „bevor wir dem ’errn für geistige Führung danken und seinen göttlichen Schutz vor nächtlichen Übeln erflehen, gebietet die Sitte des ’eutigen Tages, dass ihr für eure Dienste entlohnt werdet.“

      Hedwig mochte, wie er die H’s verschluckte. Wenn er mit ihr sprach, hoffte sie, er möge ihren Namen aussprechen und Wörter mit vielen H’s verwenden. Sie fand es erstaunlich, eine fremde Sprache zu beherrschen und bewunderte Familie Belier dafür, dass sie die ihre aufgegeben und das Deutsche gelernt hatten. Sie schnappte einiges an Wörtern in dem Handelshaus auf, in dem Käufer und Freunde aus dem gesamten Reich, aus Italien, England oder Polen ein und aus gingen.

      Herr Belier räusperte sich und blickte Hilfe suchend zum Treppenturm. Da das Kommen seines Eheweibs nicht zu hören war, wandte er sich an Hedwig. „’edwig, du bekommst als Erste deinen Lohn. Schicke Frau Spahr ’erauf, sobald du dein Töchter geholt ’ast.“

      „Ja, Herr Belier.“

      „Und Velten soll sich eilen, sobald er ’inter dir abgeschlossen ’at.“

      „Gewiss, Herr Belier.“

      Ein seltsamer Augenblick des Schweigens entstand, in dem Hedwig der unheimliche Schemen einfiel und sie sich erneut fragte, ob sie Herrn Belier warnen sollte. Aber wovor eigentlich? Vor einer dunklen Ahnung, die sie beim Anblick eines wartenden Mannes befallen hatte?

      Endlich vernahm man Schritte auf der Treppe, hastige von unten, vom Rascheln des Rockes begleitete, und deutlich gemächlichere von oben. Ein freundlicher Wortwechsel, dann betrat Madame Belier den Vorraum, gefolgt von Meinrad Lücke, dem Gesellen, welcher der Hausherrin den Vortritt gelassen und ihr offenbar auch die Kiste abgenommen hatte, die er wie eine Jagdbeute hinter ihr hertrug. Auf seinem gefütterten violetten Wams schmolzen Schneeflocken, er brachte einen kalten Windhauch mit herein. Er stellte die Kiste neben Frau Belier auf dem Boden ab, rieb die Handflächen aneinander, äugte dankbar zum Kamin und reihte sich schließlich bei den Kindern ein. Wie jeden Abend hatte er zusammen mit Velten, dem Knecht, und dem Lehrjungen Timotheus die Läden und Türen in den Verkaufsräumen im Erdgeschoss verschlossen. Das quietschende Klirren, Rasseln und Scheppern war dumpf bis nach oben gedrungen.

      Frau Belier stand neben ihrem Eheherrn. Sie sah eindrucksvoll aus in ihrer braunen Schoßjacke mit den gepufften Ärmeln und mit dieser ausladenden Hüfte unter dem Hüftpolster, an der der riesige Schlüsselbund im Kaminfeuerschein glänzte. Sie war füllig, hatte gerötete, volle Wangen und strahlte jene stolze Zufriedenheit aus, die eines erfolgreichen Bürgers Eheweib wohl anstand. Sie öffnete den großen Leinenbeutel, den sie an einer Schnur am Arm getragen hatte.

      Es klimperte, als Herr Belier den großen Lederbeutel von seinem Gürtel nahm, um die Gulden herauszuzählen. „’edwig“, sagte er und winkte sie zu sich.

      Hedwig trat vor und nahm die Münzen in Empfang. Madame zog ein Paar Halbstiefel aus dem Leinenbeutel und gab sie ihr. Hedwig wurde vor Freude rot. Es waren schöne Stiefel aus Rindsleder, dunkelbraun, und sie hatten einen breiten Schaft. Madame beugte sich hinunter,