Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

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Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027223008



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nicht leiden kann. Wir machen alle viel zu viel Worte und versäumen darüber das Notwendige. Anstatt hier zu sitzen und in Empfindungen zu schwelgen, sollten Sie unter das Volk gehen und Propaganda machen. Gefühle allein führen zu nichts. Solange wir diese nicht los geworden sind, solange werden wir zu nichts Großem fähig sein. Doch das wollt ihr Frauenzimmer niemals begreifen.

      Natalia Arkadiewna küßte Tania und raunte ihr zu: »Er schilt unsere Liebe und liebt doch selbst; er liebt dich und möchte es gern vor sich selber verleugnen. Bete du, daß Gott, an den du glaubst, ihn nicht strafe an dieser seiner Liebe zu dir.« Und zu Wladimir gewendet, sagte sie: »Sie haben ganz recht, wir alle könnten viel mehr tun, jeder in seiner Weise. Aber unsere Zeit wird kommen. Wo ist Wera Iwanowna? Sie wollte mich begleiten.«

      Wera stand schon mit ihrem Tuche bereit. Es war ein regnerischer Abend geworden, dunkle Wolken zogen auf. Der Wind erhob sich.

      Siebzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Der Wind jagte die Wolken, daß es über Moskau hinfuhr, als würden von dem wilden Element große Stücke aus dem grauen Himmel herabgerissen. Wladimir Wassilitsch freute sich des Aufruhrs in den Lüften. Er fühlte seine Seele in Übereinstimmung mit der Natur, nur daß er der in ihm brausenden Gewalt Fesseln anlegen mußte. Aber auch seine Sturmnacht würde kommen; dann wehe den Lebendigen! Dann Tod für Tod!

      Er überlegte.

      Auf solchen nächtlichen Wanderungen, wo sein Auge und seine Gedanken nicht durch äußere Gegenstände zerstreut und abgelenkt wurden, stellten sich ihm alle Dinge und Verhältnisse weit klarer und deutlicher dar. Alle seine wichtigen Entschlüsse wurden in der Nacht geboren. Ward es dann Tag, so entsetzte er sich oft selber vor den finsteren Geburten seines Hasses, über die er dann so lange brütete und grübelte, bis er sich überzeugt hatte, daß er dazu berechtigt wäre.

      Dieser reichbegabte Mensch war zum extremen Schwärmer geboren, leidenschaftlichste Parteinahme für die einmal von ihm erwählte Sache für ihn eine innere Notwendigkeit, Fanatiker zu sein der ihm natürlichste Zustand. Die Natur selbst, die ihn mit solchen verhängnisvollen Gaben ausgestattet, hatte ihn zu jedem anderen Lebensberuf untauglich gemacht. Freie Selbstbestimmung ist bei derartigen Charakteren ausgeschlossen: sie mögen wollen oder nicht, sie müssen erfüllen, wozu sie geschaffen worden. Ihre Entwicklung, die sich durch keine äußerlichen Zufälligkeiten von ihrer Bahn ablenken läßt, führt sie mit unerbittlicher Konsequenz früher oder später zu dem einen Punkt hin, der ihnen sicher das Verderben bringt. Versucht dieser oder jener von solchen Märtyrern der Phantasie sich mit Aufwendung aller seiner Kraft gegen die tyrannische Gewalt in seinem Innern aufzulehnen, so werden in dem Streite gegen sich selbst von zwölfen zehn zugrunde gehen. Es sind tragische Existenzen.

      Zum Fanatiker ward Wladimir Wassilitsch geboren, zum Nihilisten schuf ihn der Zufall und daß er Russe war, Russe in einer solchen Zeit, unter solchen politischen und sozialen Verhältnissen. Unter günstigeren Umständen hätte sich dieser Geist ebensogut zum Fanatiker für die höchsten und edelsten Güter der Menschheit entwickeln können. Er nannte sich selbst mit Nachdruck Terrorist. Denn der Nihilismus bedeutete für ihn den menschlichen Egoismus in anarchistischer Form. Der Nihilist – so reflektierte er – denkt an sich, der Terrorist nur an andere. Der Nihilist begehrt das eigene Wohlergehen, der Terrorist bezweckt das Glück von Tausenden, das Wohlergehen eines ganzen Volkes. Zur Erreichung dieses idealen Zweckes darf er kein Mittel scheuen, selbst nicht das blutigste.

      Schwer hatte er gekämpft, bis er zu diesem Äußersten gelangte. Aber er hatte das Unglück, zu einer Zeit verfolgt, eingekerkert und mißhandelt zu werden, da er noch nichts begangen hatte, als daß er die Handlungsweise der Regierung als eine schreiende Ungerechtigkeit empfunden.

      Er kam aus dem Kerker mit ersticktem Herzen. Er vermochte nicht mehr zu lieben, nur noch zu hassen; er wollte jetzt nicht allein helfen, er wollte auch rächen. Zuerst packte ihn Grausen vor seinem Haß und seinem Rachedurst, aber diese waren stärker als alle anderen Empfindungen in ihm, und als er erst von der Berechtigung seiner Empfindungen überzeugt war, gab es für ihn kein Schwanken länger: er war bereit, Verbrechen zu begehen, bereit, selbst den Mord nicht zu scheuen.

      Wladimir war bei dem Palast des Prinzen Petrowsy angelangt; bevor er jedoch eintrat, unterzog er die Umgebung desselben einer genauen Besichtigung: vielleicht, daß eine solche Kenntnis der »Sache« gelegentlich nützen konnte.

      Dem Palast gegenüber lag eine Sektiererkirche mit einem Kloster. Die Kirche war baufällig geworden und wurde gerade restauriert, das Kloster war in eine Besserungsanstalt für sittlich verwahrloste Mädchen verwandelt. Anna Pawlowna war eine der Protektorinnen dieses Instituts. Darin durch ihre mächtige Fürsprache eine Wärterin oder Aufseherin unterzubringen, mußte leicht sein; und man kam auf solche Weise zu einem Posten, den im Interesse der »Sache« auszubeuten nicht schwer fallen würde. Denn, wenn sein Argwohn sich bewahrheiten sollte, wenn Anna Pawlowna keine ehrliche Mitspielerin, wenn sie eine Verräterin war – –

      Bei ihrer sozialen Stellung, bei den Verbindungen, die der Prinz, ihr Gemahl, in Petersburg hatte, lag die Möglichkeit nahe, daß gelegentlich einer Durchreise des Zaren – – Und Wladimir maß mit den Augen die Entfernung zwischen dem Kloster und dem Palast. Die Straßenbreite betrug nicht mehr als zehn, der Abstand zwischen dem Refektorium des etwas zurückliegenden Klosters und dem Speisesaal des Palastes höchstens zwanzig Meter. Aus den höchsten Fenstern der Anstalt mußte man den Saal übersehen können. Zur Ausführung des Planes würde man eines kräftigen Mannes bedürfen, der imstande war, eine schwere, anhaltende Arbeit zu verrichten. Ihn in der Anstalt unterzubringen, gab es keine Möglichkeit. Vielleicht bei der Restauration der Kirche, Wladimir glaubte gehört zu haben, daß es dabei an Maurern fehlte.

      Der Plan kristallisierte sich.

      Achtzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die Prinzessin empfing den Nihilisten in ihrem Kabinett.

      Nur die pompejanische Lampe in der Hand des Bronzeknaben brannte und beleuchtete die vornehme Frau, ihr blasses Gesicht, ihr glänzendes Haar, die Falten ihres silbergrauen Atlaskleides. Undeutlich funkelte das goldene Gitter, schimmerten die bunten Blumen durch die Schatten. Geheimnisvolle Dämmerung füllte die Kuppel. Die hüllenlose Gestalt der Liebesgöttin schwebte wie ein abgeschiedener Geist zwischen Licht und Finsternis.

      »Ich ließ Sie auffordern zu mir zu kommen, weil ich mich mit Ihnen zu verständigen wünsche. Sie mißtrauen mir.«

      »Nicht Ihnen allein.«

      »Sprechen wir von mir.«

      »Nun denn: ja, ich mißtraue Ihnen.«

      Anna Pawlowna hatte ihm keinen Sitz angeboten, ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sich Wladimir. Aber so frei und ungezwungen er sich auch benahm, entging es der Prinzessin nicht, daß ihre Erscheinung und die Umgebung, in der er sie sah, auf den jungen, blutgierigen Anarchisten einen Eindruck machte.

      »Sprechen wir von mir,« wiederholte sie in ihrer gelassenen, gleichgültigen Weise. »Nur von mir, und lassen wir die Allgemeinheit. Ich gehöre nicht dazu. Sollte Ihnen das entgangen sein?«

      Sie lächelte. Geradezu verächtlich, dachte Wladimir, und fühlte, daß er erregt wurde. Sie verachtet uns und spielt mit uns.

      Er sagte ihr, was er dachte: »Sie spielen mit uns.«

      »Weshalb täte ich das?«

      »Das eben sollen Sie mir sagen. Ich bin gekommen, um von Ihnen zu erfahren, woran wir mit Ihnen sind.«

      »Und ich frage Sie noch einmal: Aus welchem Grunde sollte ich wohl mit Ihnen spielen? Es wäre ein zu kostbares Spiel, ein Spiel, das nicht allein ziemliche Summen verschlingt, das mir auch manches Unangenehme zumutet, zum Beispiel Ihren Besuch.«

      Sie