Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

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Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027223008



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Dimitritsch, sagen Sie mir, womit kann ich euch beweisen, daß ich es mit euch aufrichtig meine?«

      »Es ist ein Verbrechen,« wiederholte Sascha leidenschaftlich. »Was könnten Sie wohl noch mehr tun? Es ist unmöglich! Jeder Mensch muß das begreifen.«

      »Schicken Sie Wladimir Wassilitsch zu mir; noch heute. Ich will selbst mit ihm reden.«

      »Das wird das Beste sein, dann ist alles gut; er wird Ihnen Abbitte tun.«

      Wera plötzlich mit Sie anredend, verabschiedete die Prinzessin die beiden.

      »Ich hoffe, Sie zuweilen bei mir zu sehen. Sie sind zwar vollständig frei und Ihre eigene Herrin, aber ich hoffe es dennoch. Vielleicht kann ich Ihnen bei Ihren Unternehmungen behilflich sein. Nur muß ich zuerst klar wissen, um was es sich handelt. Bis jetzt ist alles Wirrwarr. Wladimir Wassilitsch räsoniert, aber er handelt nicht. Solange man mich im Dunkeln läßt –«

      »Das ist es ja eben,« schnitt Sascha heftig atmend ihr das Wort ab. »Man läßt Sie im Dunkeln, man verständigt sich mit Ihnen über gar nichts, man fordert nur von Ihnen, fordert und fordert und mißtraut Ihnen, wenn Sie nicht gleich geben und geben. Was ist das für eine Sache, die so im Dunkel bleibt, die sich nicht hervorwagt, die immer spioniert und räsoniert und ihre Wohltäterin anklagt? Es ist sehr schmerzlich.«

      Er seufzte und sah tief unglücklich aus.

      »Sie sind ein guter Mensch,« sagte Anna Pawlowna ernst und entließ ihn.

      In einem wahren Rausch von Glück entfernte sich Sascha mit Wera.

      »Was habe ich dir gesagt? Sie ist ein gewaltiges Weib, ein herrliches Weib! Und wie sie das Volk liebt, wie sie sich der Sache hingibt. Es ist gar nicht zu glauben.«

      Wera schwieg.

      Sascha blickte sich scheu um und flüsterte: »Du weißt doch, daß sie mit ihrem Manne sehr unglücklich lebt? Alle Welt weiß es. Sage, kannst du das begreifen? Eine solche Frau! Überhaupt ist es sehr, sehr traurig, daß so etwas vorkommt. Es muß ein schönes Brüderchen sein, dieser Prinz Peter Petrowitsch, ein ganz abscheuliches Väterchen! Jetzt ist er wieder in Petersburg. Was er da wohl zu tun hat? Nun, alle Welt weiß es; aber es ist nicht zu glauben. Eine solche Frau wie Anna Pawlowna zu hintergehen! Wer kann das begreifen? Es heißt, daß die Ehe etwas Frommes und Heiliges sei, und dann leben sie so – die Männer natürlich. Welche Verworfenheit! Davon macht man sich gar keine Vorstellung.«

      Er ist wirklich ein guter Mensch, dachte Wera, und verehrt Anna Pawlowna aus reinem Herzen. Aber was für eine Welt ist das! Gott sei mir gnädig!

      Fünfzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      In einem der Vorzimmer stießen die beiden auf Boris Alexeiwitsch.

      »Sieh doch, Freund Sascha!« rief er in der ihm eigenen liebenswürdig-nachlässigen Weise, mit seiner weichen, einschmeichelnden Stimme. »Wie geht es Ihnen? Was machen die Studien? Sie wollen sich schon wieder entfernen? Das ist unrecht. Anna Pawlowna hat Sie so gern. – – Ist das Ihre Schwester?«

      Er sah Wera flüchtig an. Diese stand da, wie damals, als sie von ihm den Schlag empfangen.

      »Das ist ja Wera Iwanowna!«

      »Welche Wera Iwanowna, wenn ich fragen darf?«

      »Wera Iwanowna aus Eskowo,« stammelte Sascha vollständig fassungslos, daß Boris Alexeiwitsch, auf dessen Vorschlag hin man Wera hatte kommen lassen, diese gar nicht mehr zu kennen schien.

      »O wirklich! Wera Iwanowna aus Eskowo. Welches merkwürdige Zusammentreffen!« rief Boris Alexeiwitsch und lächelte in einer sonderbaren Art. »In der Tat; Wera Iwanowna aus Eskowo. Welche Überraschung! Nun, wir kennen uns.«

      Diese Worte waren direkt an Wera gerichtet, welche, statt aller Antwort, zu Sascha sagte: »Wir müssen gehen.«

      »Ich werde Sie begleiten.«

      »Ich muß zu Natalia Arkadiewna; Sascha, gehe du mit dem Herrn.«

      »Natalia Arkadiewna läßt Ihnen sagen, daß sie ausgegangen sei. Sie wüßten, wohin,« meldete ein Diener in schnarrendem Tone.

      »Also kommen Sie!« rief Boris Alexeiwitsch fröhlich. »Sie begeben sich gewiß zu Wladimir Wassilitsch.«

      »Ja. Wir wollen in die Nowaja-Andronowka-Vorstadt.«

      »Nichtswürdige Gegend! Was treibt dieser schöne Fanatiker? Ein Prachtexemplar von einem Gesinnungsgenossen!« Und er lächelte wieder. Dann meinte er nachlässig: »Ich will ihn bald aufsuchen. Er interessiert mich. – – Nicht dort, meine Herrschaften. Dort ist der Ausgang für das Gesinde. Wera Iwanowna, so kommen Sie doch.«

      Er wußte sehr wohl, daß sie schwankte, ob sie nicht, trotz seiner Aufforderung, die andere Treppe hinuntersteigen sollte; und er triumphierte, als sie, obgleich mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Brauen, ihm folgte. Er geriet in die beste Stimmung und lachte innerlich über das verstörte Aussehen Saschas, dessen Gesicht ganz deutlich sagte: Boris Alexeiwitsch, Brüderchen, du bist doch eigentlich ein widerwärtiger Patron.

      Lebhaft plaudernd stieg er neben ihnen unter Palmen und blühenden Rhododendren die Marmortreppe hinunter, auf welcher Wera ihn in der Frühe an der Seite der Fürstin gesehen hatte. Im Vestibül grüßte der Portier nur Boris Alexeiwitsch. Dieser stellte sich vor den Mann hin und schrie ihn an: »Du Hund von einem Wortschik; siehst du nicht, daß sich in meiner Gesellschaft eine Dame befindet?«

      Hätte er eine Reitgerte bei sich gehabt, so würde das Gesicht des Menschen sie sicher zu fühlen bekommen haben. Wera zuckte zusammen, als ob es geschehen und sie selbst getroffen worden wäre.

      Boris Alexeiwitsch ging neben Sascha, zu dem er eifrig sprach. Von Alexander Herzen, der bald ein überwundener Standpunkt sein werde; von John Mill, den er einen Schwärmer und von Moleschott, den er einen Salon-Atheisten nannte. Er schwatzte von Poesie und Kunst, welche die Nihilisten verneinten, was ihnen bei Puschkin und Raffael etwas schwer gelingen würde. Apropos: Puschkin! Sein »Onegin« sollte in jedem russischen Bürgerhause zu finden sein, ebenso wie in Deutschland in jedem Bauernhause der »Faust« und in England Byrons »Don Juan«. Boris erklärte, daß die moderne Literatur »gar nichts« wert sei und daß Turgenjew in lächerlicher Weise überschätzt werde; allerdings nur im Auslande. Dostojewsky sei viel großartiger, aber in Deutschland und Frankreich kenne man ihn nicht. Was das für ein geschmackloses Volk sei, diese Deutschen! Kneipen und Renommieren sind ihre besten Tugenden. Und die langweiligen deutschen Frauen. Scheinbar tugendhaft, während sie doch im Grunde ihrer Seelen frivol wären wie eine Französin auf dem bal mabil. Er kenne welche von Baden-Baden und Ischl. Freilich die Wienerinnen – –

      So ging es fort. Sascha verstand wenig von dem eleganten Geschwätz und Wera gar nichts. Trotzdem mußte sie immer dabei denken: Gott sei mir gnädig! Welche Welt! Welche Welt! Und sich Zwang antun, es Boris Alexeiwitsch nicht ins Gesicht zu sagen, was diesen wahrscheinlich höchlichst amüsiert hätte.

      Auf dem Taganskaja-Platz blieb Boris Alexeiwitsch stehen; ihm fiel plötzlich ein, daß er für den Abend eine Einladung angenommen hatte. Wie lästig! Wann sollte die nächste Versammlung sein? Er würde seine Freunde in jedem Falle noch früher in ihrem Hause aufsuchen und für Wera den »Onegin« mitbringen. Sie wollten das Gedicht zusammen lesen, das würde reizend werden.

      Er pfiff einer Droschke und befahl dem Kutscher, nach der Eremitage am Neglinny-Projesd zu fahren. Unterwegs dachte er sich mit allem Behagen das Menü aus: Austern, potage à la reine; filets de sole frîte; pain de volaille au suprème; selle de chevreuil rôtie à la romaine;Artischocken; moscovite aux framboises. Vielleicht zog »Franzi« ein soufflet à la Schmankerle vor.

      Also ein leidlich verbrachter Abend! Nach dem Souper vielleicht ein kurzer Besuch in der »Alhambra«, Franzi walzte superb.

      Und Wera Iwanowna – – Das