Название | Im Hause des Kommerzienrates |
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Автор произведения | Eugenie Marlitt |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
Endlich schlugen draußen die Hofhunde an, und rasche Schritte kamen über das Steinpflaster und die Treppe herauf. Doktor Bruck blieb einen Moment wie versteinert in der Stubentüre stehen, dann legte er schweigend seinen Hut auf den Tisch und trat an das Bett. Welche atemlose Stille bei einem solchen Erscheinen! Sie breitet gleichsam die Schwingen aus, um feierlich den Ausspruch über Leben und Tod zu empfangen.
»Wenn er doch nur erst wieder zu sich käme, Herr Doktor!« flüsterte endlich die Haushälterin beklommen.
»Das wird er schwerlich«, versetzte Doktor Bruck von seiner Untersuchung aufblickend – jede Spur von Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Mäßigen Sie sich!« gebot er ernst, als Jungfer Suse in ein Klagelied ausbrechen wollte. »Sagen Sie mir lieber, weshalb der Kranke das Bett verlassen hat!« Er hatte die Lampe vom Tisch genommen und beleuchtete den Fußboden – die Dielen vor dem Bette waren mit Blut bespritzt.
»Das rührt von den vollgesogenen Tüchern her«, erklärte der Kommerzienrat mit blassem Gesicht, aber großer Bestimmtheit, während die Haushälterin heilig und teuer versicherte, dass der Schlossmüller bei ihrem Wiedereintreten noch genauso im Bett gelegen, wie es der Herr Doktor angeordnet habe.
Doktor Bruck schüttelte den Kopf. »Die Blutung ist nicht ohne alle äußere Veranlassung eingetreten; es muss eine heftige Erschütterung eingewirkt haben –«
»Dass ich nicht wüsste – ich versichere Dir, nein!« sagte der Kommerzienrat, ziemlich fest dem ausdrucksvollen Blick des Arztes begegnend. »Übrigens, was soll dieser Inquisitorenblick? Ich sehe nicht ein, weshalb ich es Dir verheimlichen sollte, wenn der Kranke wirklich in einem Fieberanfall aus dem Bette gesprungen wäre.« Er bliebe unbeirrt auf dem Wege, den er eingeschlagen. Fast wollte es ihm die Kehle zusammenschnüren bei seinen letzten Worten. Um den äußeren Ehrenschein zu retten, gab er die wahre innere Ehre hin – er leugnete mit eherner Stirne, aber er war ja auch in Wirklichkeit ohne alle Schuld; er war der an Leben und Gesundheit Schwerbedrohte gewesen. Nicht ein einziges Motiv lag nahe, welches das Bekennen des wahren Sachverhaltes zur Gewissenspflicht gemacht hätte.
Der Arzt wandte sich schweigend von ihm ab. Unter seinen Bemühungen schlug zwar der Schlossmüller die Augen wieder auf, aber er stierte mit wirrem, erloschenem Blick ins Leere, und der Versuch, zu sprechen, erstarb in einem schwachen Gurgeln und Lallen.
Mehrere Stunden später verließ der Kommerzienrat Römer die Schlossmühle – es war alles vorüber. Über die Türen des Sterbezimmers und des Alkovens spannten sich bereits breite Papierstreifen. Der Kommerzienrat hatte sofort nach dem letzten Atemzuge des Schlossmüllers bei den Gerichten Anzeige gemacht und als vorsichtiger und gewissenhafter Mann vor seinen Augen versiegeln lassen.
2
Er schritt jetzt durch den Park nach Hause. Die Lichter der Mühle, die noch eine kleine Strecke weit einen schwachen Schein auf seinen Weg herausgeworfen, verschwanden hinter ihm; er wandelte nun allein mit sich selbst in tiefster Finsternis, und nicht der scharfe Windhauch, der ihn anblies, nicht die vereinzelten Schneeflocken, die wie flatterndes Nachtgevögel eisigkalt an seiner Wange niederstrichen, nein, seine aufgeregten Gedanken und die Erinnerung an den Anblick, den er stundenlang hatte ertragen müssen, sie waren es, die einen Schüttelfrost durch seine Glieder jagten. Auf demselben Wege, dessen Kieselgeröll jetzt misstönend unter seinen Füßen rasselte, war er heute Nachmittag gekommen, eben aufgestanden vom reichbesetzten Mittagstisch, sorglos, seinen vielberufenen Glücksstern über sich wähnend – und nun, nach wenigen Stunden, wollte es fast scheinen, als trage er Mitschuld am Tode eines Menschen, er, der Kommerzienrat Römer, der um seiner empfindlichen Nerven willen nicht einmal ein Tier leiden sehen mochte! Bah, das war der Neid der Götter, der kein ungetrübtes Menschenlos duldet, der dem Glücklichen gern Steine auf die glatte Bahn wirft, und welcher jetzt auch bemüht war, ihm einen Nagel in das Gewissen zu drücken; der heitere Lebensgenuss sollte ihm vergällt werden – mitnichten! Ihn traf nur ein Vorwurf, der des Verschweigens, aber wem schadete er denn damit? niemand, niemand auf Gottes weiter Erde! Basta – er war mit sich fertig. Eben bog er in die breite Lindenallee ein, welche direkt auf die Villa zulief. Ströme silberweißen Lichtes flossen durch Fenster und Glastüren des unteren Balkonzimmers. Von dort her griff das üppige Leben voll Genuss mit weißen, schwellenden Armen nach ihm und zog ihn an sich aus Nachtdunkel und innerer Bedrängnis. Er atmete befreit auf; er warf die schlimmen Eindrücke der letzten Stunden weit hinter sich und ließ sie gleichsam verfließen mit dem Rauschen des Mühlwassers, das in der Ferne allmählich erstarb.
In dem Salon dort, am Tee- und Whisttische der verwitweten Frau Präsidentin Urach, hatte sich eine zahlreiche Abendgesellschaft eingefunden. Die sehr tiefgehenden mächtigen Glasscheiben und das klar durchsichtige Bronzegeflecht des niedrigen Balkongeländers gestatteten einen vollkommenen Einblick in den Salon. Seine farbenglänzenden Wandgemälde, die faltenschweren Türbehänge von veilchenblauem Sammet, der schwebende Kettenleuchter von Goldbronze, den die mit dem Silberlichte des Gases gefüllten Milchglaskugeln wie riesige Perlen umkreisten, ließen ihn feenhaft, aber auch herausfordernd wie eine Schaubühne aus dem intensiven Dunkel des Winterabends treten. … Ein Windstoß pfiff durch die Allee und schüttete ein Gemisch von Schneeflocken und dürren Lindenblättern wie toll über den Balkon her; die vornehme Ruhe hinter den Scheiben ließ sich nicht alterieren durch den groben Gesellen; nicht einmal das luftige Gewebe der Spitzengardinen bewegte sich – höchstens, dass der Feuerkern im Eckkamin unter seinem grimmigen Atem für einen Moment höher aufglühte.
Und der immer rascher daherschreitende Mann draußen überblickte mit einer Art von innerlich zitterndem Wonnegefühl die Gruppen der Versammelten – nicht, dass blonde und dunkle Locken, weiche, schlanke Frauen- und Mädchengestalten sein Auge entzückt hätten, die Frühlingsgenien des Deckengemäldes streckten vielmehr ihre mit Anemonen und Maiblumen gefüllten Händchen über Matronenhäubchen, über gebleichte Scheitel und Glatzköpfe hin – aber welche Namen waren da vertreten! Offiziere von hohem Range, pensionierte Hofdamen und Herren vom Ministerium saßen an den Spieltischen, oder umsaßen, ihren steifen Rücken in den blauen Sammet